Hamburg. Die Deutschen lieben sie aus Alaska-Seelachs. Doch der stammt vorwiegend aus Russland. Müssen wir das Fischstäbchen neu denken?

Ältere erinnern sich noch gut, dass Fischstäbchen einst anders schmeckten, irgendwie fischiger. Das war in den 1970er-Jahren, und unter der Panade steckte zumeist Kabeljau. Doch dann kam die große Kabeljaukrise, und die Hersteller mussten umdenken. Seitdem ist der Fisch im Stäbchen hierzulande ganz überwiegend Filet vom Alaska-Seelachs.

Doch das könnte sich ändern, sagen Experten. Zumindest dürften die Hersteller intensiv darüber nachdenken, woher und von wem sie den Seelachs künftig bekommen – und ob sie auch die tiefgefrorenen Filetblöcke von anderen Fischarten zersägen und panieren. Das hat sehr viel mit den aktuellen Verwerfungen in der Weltpolitik zu tun.

Fischstäbchen – wie die Weltpolitik das Lieblingsgericht verändern könnte

„Die großen Produzenten tun sicherlich gut daran, zu prüfen, ob sie Alaska-Seelachs auch aus anderen Quellen beziehen können und ob sie Stäbchen auch mit anderen Fischarten, zum Beispiel aus Pangasius, produzieren“, ist Petra Weigl, die neue Vorsitzende des in Hamburg ansässigen Fisch-Informationszentrums (FiZ), überzeugt. Denn: Etwa 80 Prozent der von den vier weltweit größten Fischstäbchen-Fabriken in Bremerhaven und an der niedersächsischen Nordseeküste verarbeiteten Seelachsfilets stammen derzeit letztlich aus Russland.

„Trotz des Ukrainekriegs laufen die Importe weiterhin gut und reibungslos“, sagt Matthias Keller, der im FiZ die Geschäfte führt. Kaum einer weiß besser Bescheid über die deutsche Fisch- und Meeresfrüchtebranche und ihre tiefen Verflechtungen mit den weltweiten Märkten.

Etwa 80 Prozent des Alaska-Seelachses stammen aus Russlands Fanggründen

Dass der russisch-deutsche Handel mit Alaska-Seelachs weiterhin funktioniert als wäre nichts geschehen, liegt auch an der EU. Anders als für Kaviar und hochpreisige Meeresfrüchte hat sie gegen den Fischstäbchen-Rohstoff aus Putins Reich bislang keinen Importstopp verhängt. Und wird es voraussichtlich nicht mehr tun. Zu groß ist die Abhängigkeit.

Sehr wahrscheinlich ist diese Abhängigkeit der Stäbchen-Hersteller von Importen aus Russland zuletzt sogar noch gewachsen. Laut Statistik kommen zwar nur 22 Prozent der 140.000 Tonnen importierter Seelachs direkt aus Putins Reich und 57 Prozent aus China. „Aber man muss davon ausgehen, dass ein Großteil der Importe aus China in russischen Gewässern gefangen wurden“, sagt Keller. Aus den USA dagegen kommen nur mehr 14 statt 25 Prozent der Einfuhren für die Stäbchen, von denen jeder Einwohner Deutschlands im Schnitt pro Jahr knapp 30 verspeist.

Fischstäbchen – Hersteller experimentieren mit Pangasius

Auch wenn derzeit wenig dafür spricht, dass Putin nach dem Erdgas die Alaska-Seelachsfilets als Druckmittel gegen den Westen nutzen wird – die Hersteller müssen auf den Fall der Fälle vorbereitet sein. Pangasius unter der Panade wäre nicht revolutionär neu. „Es hat bereits Pangasius-Fischstäbchen gegeben“, sagt Petra Weigl. Sie treibt im Hauptberuf von Hamburg aus die Geschäfte der Firma Regal Springs in Europa voran, die in Fischfarmen in indonesischen und mittelamerikanischen Seen Buntbarsche (Tilapia) züchtet.

Pangasius stammt zumeist aus Aquakulturen in Asien – und ist teurer als in Meeren und Süßwasser gefangene Fische. Das war wohl der wichtigste Grund dafür, dass sich Pangasius-Stäbchen hierzulande bislang nicht durchgesetzt haben. Die aus Seelachs sind billiger.

Petra Weigl ist die neue Vorsitzende des Fisch-Informationszentrums mit Sitz in Hamburg.
Petra Weigl ist die neue Vorsitzende des Fisch-Informationszentrums mit Sitz in Hamburg. © Heiner Schmidt | Heiner Schmidt

Und zugleich ein sehr deutsches Lieblingsgericht. „In Frankreich bestehen die Stäbchen teils aus Fischmus, in Großbritannien und Italien vorwiegend weiterhin aus Kabeljau“, sagt Keller. Die Hersteller an der deutschen Nordseeküste müssten sich im Fall einer tiefgreifenden Seelachs-Krise jedenfalls gar nicht groß umstellen. Frosta, Frozen Fish und Co. produzieren dort ohnehin schon die Kabeljau-Fischstäbchen unter anderem für den britischen Markt.

Klimawandel: Essen wir bald Kalmare aus der Nordsee?

Dass sich der Fischgeschmack bisweilen verändern muss, hat vielerlei Gründe: Der einstige Brot-und-Butter-Fisch Hering spielt auf dem deutschen Markt eine zunehmend geringere Rolle. Zugleich breiten sich in den sich wegen des Klimawandels erwärmenden Meeren inzwischen weitere Arten auf. So schwimmen im Nordatlantik vor Island inzwischen Makrelen. In der Nordsee machen sich Tintenfische breit.

Essen wir wegen des Klimawandels bald zehnfüßige Kalmare, die von deutschen Küstenfischern angelandet werden? „Bislang landen Tintenfische sicher immer mal wieder in den Netzen“, sagt Claus Ubl, der Sprecher des Deutschen Fischerei-Verbands. „Aber in den Niederlanden haben sich bereits einige Fischer darauf spezialisiert, Tintenfische zu angeln.“

Unabhängig von Weltpolitik und Klimawandel kaufen die Menschen in Deutschland angesichts gestiegener Preise weniger Fisch, berichtete das FiZ am Mittwoch: In der Menge kauften Verbraucher im ersten Halbjahr 2023 demnach 6,6 Prozent weniger Fisch und Meeresfrüchte, gaben dafür aber 11,6 Prozent mehr Geld aus. Insgesamt waren es 2,2 Milliarden Euro.

Fischstäbchen und Co. – die Preise dürften hoch bleiben

Hoffnung, dass die Preise wieder sinken, konnte Weigl den Verbrauchern nicht machen. Zwar stiegen die Transportkosten für Importe etwa aus Asien zwar nicht mehr stark, dafür kletterten hierzulande die Logistikaufwendungen und die Personalkosten wegen des Fachkräftemangels. Hinzu komme, dass der meiste Fisch in Dollar gehandelt werde und die Euro-Schwäche 2022 allein 25 Prozent der Preissteigerungen ausgemacht habe. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir zumindest das jetzige Preisniveau leider weiter sehen werden“, sagte Weigl.

Bereits im vergangenen Jahr haben deutlich gestiegene Preise den Privathaushalten die Lust auf Fisch und Meeresfrüchte vermiest. Insgesamt kauften sie nach Erkenntnissen des FiZ 434.413 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte und gaben dafür 4,9 Milliarden Euro aus. Das war deutlich weniger als in den Corona-Jahren 2020 und 2021.

Beim Lachs, dem über Jahre beliebtesten Fisch der Verbraucher in Deutschland, waren die Preissteigerungen besonders stark. Das kostete ihn im vergangenen Jahr seinen Platz eins in der Beliebtheitsskala. Neuer Spitzenreiter: der Alaska-Seelachs.