Hamburg. Der neue Chef startet eine Verjüngungskur beim Lebensmittelkonzern. Was die 300 Jahre alte Firma konkret für das Sortiment plant.
In dem halben Jahr, seitdem er Chef ist bei der Carl Kühne KG, hat Kai Boris Bendix ziemlich viel gelernt über den traditionsreichen Feinkost-Hersteller mit Sitz in Bahrenfeld. Er weiß jetzt zum Beispiel, dass in China die Kühne-Dressings nicht über den Salat gegossen werden, sondern als Dip in Schälchen auf dem Tisch stehen. Oder, dass Kanadier ihre Burger gern mit deutschem Sauerkohl aufpeppen und sein Arbeitgeber in Amerikas Norden Marktführer ist im „Kraut“-Segment.
Doch es gibt immer noch Dinge, die den Vorsitzenden der Geschäftsführung überraschen: „Noch nie gehört“, hatte er bis vor Kurzem, warum und wofür Japanerinnen den Kühne-Apfelessig besonders schätzen. „Er wird in Kosmetiksalons bei der Gesichtsbehandlung verwendet“, weiß Marketing-Chefin Kirsten Trenkner.
Im Döner statt zum Braten – Gurken-Kühne erfindet den Rotkohl neu
Das mit dem Apfelessig ist eher staunenswert. Eine wirklich wichtige Erkenntnis aber ist für den neuen Kühne-Chef, dass manche der Firmenprodukte in anderen Ländern ganz anders konsumiert werden als hierzulande. Denn Bendix’ Plan für das vor 301 Jahren gegründete Familienunternehmen heißt kurz gefasst „Internationalisierung und Innovation“.
Und er verordnet der Traditionsfirma eine Verjüngungskur, die auch vor dem Kühne-Klassiker Rotkohl nicht halt macht. „Man kann sagen, dass wir den Rotkohl gerade neu erfinden“, sagt Bendix. Zumindest wird es bald einen neuen Kühne-Rotkohl geben, der einen Döner gemüsig macht, nicht aber als süß-saure Beilage zum Gänsebraten passt.
Essig, Gurken, Rotkohl – das war viele Jahre lang das, wofür der Name Carl Kühne vor allem stand und bei nicht wenigen Kunden bis heute steht. Markentreue Verbraucher, die Wert auf hohe Qualität legen, sichern dem Unternehmen einen Großteil des Umsatzes. Zugleich aber sind Käufer von Kühne-Produkten in einem vergleichsweise hohen Lebensalter.
„Der Altersschnitt bei vielen unserer Produkte liegt bei 55plus bis 60plus“, sagt Bendix. Zugleich habe sich auf die Sauerkonserven-Marke, so seine Analyse, „da und dort eine gewisse Staubschicht gelegt“. Jüngere Käuferschichten mit neuen, innovativen Produkten zu gewinnen, ist für das Unternehmen eine pure Notwendigkeit.
Kühnes Gemüsechips waren dauerhaft kein Erfolg
Die Erkenntnis ist nicht neu. Schon Bendix’ Vorgänger hatten sich daran gemacht, neue Zielgruppen zu erschließen. Nicht immer mit dauerhaftem Erfolg. Von einem Ausflug in den Snackbereich mit Gemüsechips Mitte der 2010er-Jahre sind nur noch Knuspererbsen und Kichererbsen-Nachos im Portfolio geblieben. „Das war damals eine gute Idee, aber das Thema ist abgeschlossen“, sagt Bendix.
Bei Saucen, Dressings. Gewürzgurken dagegen sind bereits zahlreiche Innovationen, die jüngere Käuferschichten erreichen sollen, im Sortiment. Seit einigen Monaten auch erste vegane Salatdressings auf Haferbasis. „Von den etwa 220 Kühne-Produkten im Einzelhandel sind etwa ein Drittel vegan und schätzungsweise 98 Prozent vegetarisch“, sagt Marketingchefin Trenkner. Bendix’ Vorgänger Alexander Kühnen gab dem Unternehmen Anfang 2022 den Untertitel „The Veggie Company“.
Zuletzt wurde das Gänseschmalz im Grünkohl durch eine pflanzliche Alternative ersetzt. Das Fasskraut mit Schinkenwürfeln wird künftig kein geräuchertes Fleisch mehr enthalten. „Wir werden diesen Weg konsequent weitergehen“, sagt Bendix. Ihm ist das nur recht. Seitdem er einige Jahre in Indien gelebt und gearbeitet hat, ernährt sich die ganze Familie vegetarisch.
Seit Gurkenscheiben neuen Namen haben, verkaufen sie sich besser
Nachdem die ärgsten Auswirkungen des Ukraine-Kriegs überwunden sind, soll nun eine Innovationsoffensive Fahrt aufnehmen. Bisweilen fängt sie mit neuen Verpackungen, Etiketten und Produktnamen an. So wie bei den Gewürzgurkenscheiben. Die heißen neuerdings „Gurken für Burger“ und „Gurken für Sandwich“.
Die Hoffnung, dass ein Produktname, der erklärt, wofür der Inhalt des Glases zu gebrauchen ist, Erfolg bringt, scheint aufzugehen. „Nach der Namensänderung ist der Umsatz mit den Gurkenscheiben um 15 bis 20 Prozent gestiegen“, sagt Kirsten Trenkner. Die zweite Hoffnung: Mehr junge Käufern steuern im Supermarkt das Regal mit Gewürzgurken an. „Bislang hat ein 20-Jähriger ja nicht wirklich einen Grund, dort hinzugehen“, sagt Bendix.
Produkte mit selbsterklärenden Namen, die Kunden ohne große Erfahrung in der Essenszubereitung an die Hand nehmen, sind ein Teil der Kühne-Zukunft. Nach den Gewürzsaucen-Linien „Made for Meat“ und „Made vor Veggies“ werden absehbar „Made for Fish“-, „Made for Pizza“- und „Made for Döner“-Produkte kommen. Zum Beispiel der neu erfundene Kühne-Rotkohl.
Hamburger Traditionsunternehmen Carl Kühne„Warum nicht auch mal Senf mit Wasabi?“
Und auch bei Senf kann sich der neue Konzernlenker mehr vorstellen als mittelscharf, süß und körnig. „Warum nicht auch mal mit mehr Schärfe. Nichts spricht gegen Senf mit Wasabi oder mit Chili“, sagt Bendix. Man muss das so verstehen, dass sie in Bahrenfeld schon intensiv dran arbeiten.
Keine Zukunft haben dagegen die angestammten bauchigen Salatdressing-Flaschen, deren Form leicht an einen Tennisschläger erinnert – und die deshalb firmenintern auch so genannt werden. Die Flaschenform ist seit der Einführung im Jahr 1973 unverändert – und fällt damit in die Kategorie „leicht angestaubt“. Die neue Form hat den erfreulichen Nebeneffekt, dass für sie 20 Prozent weniger des teuer gewordenen Glases benötigt wird.
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Die Kostenersparnis soll zu Bendix’ wohl wichtigsten Ziel beitragen: Die Carl Kühne KG soll profitabler werden. Der Umsatz stieg in den vergangenen Jahren zwar kräftig und wird im Ende Juni abgeschlossenen Geschäftsjahr voraussichtlich erstmals „nördlich der 400 Millionen Euro liegen“, wie Bendix sagt. Doch davon bleibt unter dem Strich vergleichsweise wenig als Gewinn. Im Jahr 2021/2022 lag das Konzernergebnis nach Steuern bei gerade einmal 4,75 Millionen Euro.
Weltweit fokussiert sich das Unternehmen auf die Wachstumsmärkte
Für die geplante Internationalisierung aber braucht es Geld. Wobei der neue Chef darunter keine Expansion in noch mehr als die jetzt schon gut 80 Länder weltweit versteht, in denen das Unternehmen derzeit seine Produkte verkauft. Sondern eine Fokussierung auf Länder und Regionen mit Wachstumspotenzial wie etwa Großbritannien, China und den Mittleren Osten – und den Rückzug aus Märkten, die nichts einbringen. „Man muss sich schon fragen, ob ein Unternehmen in Ländern wie Vietnam oder den Philippinen präsent sein muss, die pro Jahr vielleicht 100.000 oder 200.000 Euro Umsatz bringen und in denen der Ertrag nicht den Aufwand rechtfertigt.“
Für die künftigen Fokusmärkte soll gelten, was im Heimatland gilt, in dem das Unternehmen 60 Prozent seiner Umsätze erzielt: Näher ran an die Lebens- und Ernährungsrealität der Endkunden. Geschichten wie die von den Chinesen, die Salatdressings lieber dippen, will Bendix daher nicht als lustige Anekdote mit einem Anklang von europäischer Hochnäsigkeit verstanden wissen. Er findet es eher unverständlich, warum Kühne die Dressings auch in China als Salatdressings bezeichnet. „Wir überlegen gerade mit unserem Team in China, welche Bezeichnung dort sinnvoller wäre.“ Wenn die Chinesen nun mal lieber Garnelen reindippen, könnte Garnelen-Dip die Lösung sein.