Hamburg. Arne Eggers verbraucht im Jahr mehr als eine Million Kilowattstunden Energie. Er hat ein Kostenproblem – und Lösungen gefunden.
Wenn es morgens noch nicht hell und nachmittags schon wieder dämmerig ist, finden selbst Ortsunkundige den Gemüsehof Eggers recht einfach: immer dem Lichtschein nach. Das hell leuchtende Gewächshaus hinter dem Elbdeich ist in Kirchwerder und Ochsenwerder weithin zu sehen. Seit ein paar Tagen ist das wieder so. Arne Eggers hat 9000 Pflanzen unter Glas aufgestellt, das Licht ein- und die Heizung angeschaltet.
Trotz der immens gestiegenen Preise für Strom und Gas wird Hamburgs einziger Gemüsebauer, der ganzjährig Tomaten im Gewächshaus anbaut, das auch in diesem Jahr tun. Er hat sogar noch einmal kräftig investiert, um zwischen Ende März und Anfang November durchgängig ernten zu können.
„Die Tomate ist ja das beliebteste Gemüse der Deutschen“, sagt Eggers. Er schätzt, dass zehn bis 20 weitere Betriebe in den Vier- und Marschlanden sie ebenfalls anbauen – allerdings in deutlich kleinerem Stil als er und ohne Kunstlicht in einem aufwendig beheizten Gewächshaus. Der Gärtnermeister der Fachrichtung Gemüsebau hat das in seinem 1886 gegründeten Familienunternehmen bis vor einigen Jahren auch so gehalten. In dem 5000 Quadratmeter großen Gewächshaus zog er Salate und Stiefmütterchen.
300.000 Euro für Hamburger Tomaten
Sobald die Tage lange genug hell und warm waren, für einige Zeit im Jahr zusätzlich auch Tomaten. „Geerntet haben wir nur einige Wochen lang und liefern konnten wir erst, wenn die Ware der Konkurrenz vom Niederrhein, aus Süddeutschland und Holland längst in den Geschäften war. Die Abnehmer haben gefragt, warum sie dann auch noch unsere Tomaten ins Sortiment nehmen sollten.“
In Hamburg gewachsene Tomaten für den Hamburger Markt, möglichst früh und bis möglichst spät im Jahr lieferbar – um dieses Geschäftsmodell umsetzen zu können, musste Eggers jedoch erst mal erheblich investieren. „Etwa 200.000 bis 300.000 Euro“ hat er nach und nach in das Treibhaus gesteckt. Seit 2019 wachsen dort nur mehr Tomaten, seit 2020 unter Kunstlicht.
Es sind 13 unterschiedliche Sorten von der gelben Cherry- über Dattel- bis zu Vierländer Tomaten und der fleischigen Regionalsorte Vierländer Platte. 35 bis 36 Kilo Ertrag pro Quadratmeter, alles in allem um die 175 Tonnen in der Saison. Es lief gut mit den Tomaten von Eggers Gemüsehof.
Energiekrise: Wetter hilft Hamburger Tomaten
Dann ließ Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine überfallen, und die Energiepreise gingen durch die Decke. Energie aber ist neben Personal der größte Kostenfaktor eines beleuchteten und beheizten Gewächshauses. „Wir brauchen etwa eine Million Kilowattstunden Wärme und 80.000 bis 100.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das ist schon industrieller Maßstab“, sagt Eggers.
Dass er einen langfristigen Stromvertrag abgeschlossen hatte, nützte ihm nichts. Der Anbieter habe seine Lieferverpflichtung mit wenigen Tagen Frist gekündigt. Die Gasverträge für 2023 und 2024 gleich mit. Sein Rechtsanwalt riet Eggers davon ab, dagegen juristisch vorzugehen.
Das Glück des Tomatenbauern: Der Gaslieferant, mit dem er für 2022 im Geschäft war, lieferte weiter zu den vereinbarten günstigen Konditionen. Strom aber musste er zum Spotmarktpreis einkaufen. „Die Lampen habe ich schon Ende März abgeschaltet, sonst bleiben sie etwa bis Ostern an.“ Eggers hatte ein zweites Mal Glück: Das Wetter war günstig. Warm, viel Sonnenschein. Die Ernte war in etwa so groß wie in den Vorjahren.
40 Prozent höhere Kosten für Tomatenbauer
Aber vermarkten ließen sich die Tomaten viel schwerer. Eggers verkauft sie an Großmarkthändler, an Hamburger Wochenmarkthändler, und er beliefert 25 Rewe-Märkte in der Stadt. Dort können sich die Kundinnen einen Mix aus allen aktuell reifen Sorten vom Eggers-Hof am Ochsenwerder Elbdeich zusammenstellen. Der Einheitspreis lag schon vor der Energiepreis-Explosion mit 9,90 Euro pro Kilo am oberen Ende der Preisskala am Tomatenregal. Jetzt sind es 10,90 Euro. „Im Lebensmittelhandel eine Preiserhöhung von zwölf Prozent durchzusetzen ist immerhin gelungen“, sagt Eggers.
Nur sind seine Produktionskosten sehr viel stärker gestiegen. Die Jungpflanzen, die bei einem Anzuchtbetrieb in den Niederlanden kauft, das Substrat, in dem sie wachsen, der Dünger im Wasser, das aus dünnen Schläuchen an die Wurzeln tröpfelt – das alles ist teurer geworden seit dem Überfall auf die Ukraine. Die neue CO2-Abgabe und der Mindestlohn für die Erntehelfer kommen noch hinzu.
„Wir haben 40 Prozent höhere Kosten“, sagt Eggers. Der Familienbetrieb habe 2022 zwar trotzdem schwarze Zahlen geschrieben. „Aber der Gewinn war eine ganze Ecke niedriger. Mit den Energiekosten darf es so nicht weitergehen. Sonst wird es eng.“
Lösungen gegen die Energiekrise
Dem 40 Jahre alten Gärtnermeister mit dem beleuchteten Gewächshaus setzt das alles besonders stark zu, den anderen Betrieben in Hamburg, die „unter Glas“ Gemüse, überwiegend aber Blumen wachsen lassen, aber ebenfalls. Deutschlands Bauernpräsident Joachim Rukwied fürchtet, wegen der hohen Energiepreise werde ein Teil der Gewächshäuser hierzulande in diesem Jahr leer bleiben.
Sascha Gohl, Gartenbauberater der Landwirtschaftskammer Hamburg, sieht diese Gefahr für die Höfe in den Vier- und Marschlanden allerdings nicht. „Das dürfte eher Betriebe treffen, die – etwa am Niederrhein – in großem Stil Basilikum und andere Kräuter anbauen, die ihnen von den Lebensmittelketten nicht mehr voll abgenommen werden“, sagt er. Die Betriebe im Hamburger Südosten seien weniger stark von den Discountern abhängig.
Wirkung zeigt die teure Energie aber auch in den Zierpflanzenbetrieben: „Es kann durchaus sein, dass ein Gewächshaus länger ins Frühjahr hinein leer bleibt oder jetzt nur so beheizt wird, dass es frostfrei bleibt“, sagt Gohl. Denkbar sei, dass Betriebe weniger besonders wärmebedürftige Blumen anbauen, um die Heizkosten in Grenzen zu halten. Beim Gartenbau-Betrieb Klemmer in Kirchwerder haben sie die Gewächshäuser, in denen die Jungpflanzen von Sommerblumen wie etwa Begonien heranwachsen, erst Anfang Januar auf 20 Grad aufgeheizt statt wie üblich schon Mitte Dezember, sagt Geschäftsführerin Dagmar Kohlepp. Kunden werden die Sommerblumen aus den Vierlanden daher erst einige Wochen später als üblich kaufen können. Für die beliebten Stiefmütterchen gilt das nicht. Sie brauchen keine Wärme.
Wie es mit Hamburgs Tomaten weitergeht
Arne Eggers bleibt trotz alldem beim ganzjährigen Tomatenanbau. Auf den knapp zwei Dritteln seines Gewächshauses, die beleuchtet sind, haben die Jungpflanzen schon erste Blütenansätze. Ein Klima-Computer simuliert Temperaturschwankungen und Lichtveränderungen wie in einem Tagesablauf. Morgens um 7 Uhr schaltet er die Lampen mit dem gelblich-warmen Licht ein, spätestens um 16 Uhr wieder aus. Wenn zwischendurch genug natürliches Licht herrscht, ebenso.
Drinnen ist es mittags mollige 21 Grad warm, selbst wenn der Frost Raureif auf den Wiesen und Gemüseäckern von Ochsenwerder hinterlässt, nachts sind es dann 12 Grad. Einen Zentimeter wachsen die Jungpflanzen jetzt pro Tag, sie werden sich später mehr als zehn Meter lang an Fäden entlangschlängeln. Für nächste Woche hat Arne Eggers die ersten Hummeln bestellt, die die Blüten bestäuben. Und in ein paar Wochen will er weitere 6000 Tomaten pflanzen, die ohne Beleuchtung groß werden.
Der Strom und die Wärme kommen jetzt aus einen Blockheizkraftwerk, das neuerdings gleich neben dem Gewächshaus steht. „Das ist eine Art überdimensionaler Lkw-Motor, der mit Bio-Methan betrieben wird“, sagt der Tomatenbauer. Der Strom, den er nicht für die Beleuchtung benötigt, wird ins Netz eingespeist.
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Hamburgs Tomatenbauer investiert gegen Krise
Die Abwärme wärmt die Jungpflanzen und lässt sich speichern, wenn sie es ausreichend mollig haben. Ein Unternehmen aus Nürnberg hat das Kraftwerk auf den Hof gestellt, Eggers hat einen langfristigen Vertrag mit der Firma. Der Preis: „Ich habe noch einmal etwa 100.000 Euro investiert.“ Erdwärme, Pelletheizung, Wasserstoff – all das hatte er vorher in Erwägung gezogen. Doch die Alternativen wären viel zu teuer gewesen oder hätten sich nicht schnell realisieren lassen.
Und für ein weiteres Problem ist eine mögliche Lösung zumindest in Sicht. Der Gemüsehof geht einen neuen, den vierten Vertriebsweg für seine Tomaten. Weil die Verbraucher wegen der hohen Inflation beim Einkauf sehr viel stärker auf den Preis schauen, lässt sich das regional angebaute, aber teure Gemüse schlechter verkaufen. Nicht nur im Supermarkt, sondern auch an die Groß- und Wochenmarkthändler. Überall ist der Absatz zuletzt gesunken.
Wohin dann mit der Ernte? „Wir werden aus einem Teil künftig eigene Tomatenprodukte machen“, sagt Arne Eggers. Diverse Ketchups, Saucen, Pesto, Salsa, Suppe und gar Tomatenschnaps und -senf sind bereits fertig entwickelt und zertifiziert. Ein Hersteller in der Region ist gefunden. Der Familienbetrieb will die insgesamt 14 Produkte heimischen Gastronomen anbieten, Wochenmarkt- und Lebensmittelhändlern – als Erstes den 25 Rewe-Märkten, die jetzt schon die Tomaten aus Ochsenwerder im Sortiment haben.
Arne Eggers Ziel: „Wenn Ende März oder Anfang April im Gewächshaus die Ernte beginnt, sollen die Tomatensaucen von Eggers Gemüsehof in den Supermarktregalen stehen.“