Hamburger Kühne-Konzern gibt sich mit neuen Produkten ein junges Image und greift im Ausland an – China ist ein wichtiger Markt.

Sauerkonserven. Klingt nach 50er-Jahre, vielleicht sogar eher 20er, in jedem Fall angestaubt. „Das Wort gefällt mir auch nicht besonders“, sagt Stefan Leitz. Das ist ein mindestens etwas gewagter Satz für den Chef eines Unternehmens, das wesentliche Teile seiner mehr als 300 Millionen Euro Jahresumsatz mit eben solchen Sauerkonserven erwirtschaftet. Ein Unternehmen, das hierzulande als Inbegriff für Sauerkraut, tafelfertigen Rotkohl und eingelegte Gurken gilt und pro Jahr 140 Millionen Liter Essig herstellt. „Aber ich habe keine bessere Idee. Der Handel benutzt das Wort, wir auch“, schiebt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Hamburger Carl Kühne KG schnell nach.

Leitz führt das vor fast 300 Jahren gegründete Unternehmen mit Sitz in Bahrenfeld seit April 2013. Er hat ihm eine Verjüngungskur verordnet, einen Imagewandel angestoßen. „Wir sind dabei, die Marke Kühne zu verjüngen“, sagt er. Und es sieht so aus, dass die Firma auf einem guten Weg dahin ist, dass Kunden beim Markennamen Kühne nicht als Erstes und ausschließlich an Essiggurken, Rotkohl und mittelscharfen Senf denken, sondern auch an Gemüsechips und vegane Salatsauce. Ein bisschen weniger Sauerkonserven-Image, bitte gern mehr Lifestyle-Food-Gedanken.

Das Familienunternehmen ist im Besitz der elften Generation

Der wohl wichtigste Grund für diesen neuen Weg findet sich in den Geschäftsberichten des Familienunternehmens im Besitz der mittlerweile elften Generation: Die sonst umfangreichen Zahlenwerke über Aktiva und Passiva, Umsatz und Gewinn fallen für mehrere Jahre vor Leitz’ Amtsantritt kurz und knapp aus. Mal ist aus den Berichten ein Rückgang der Erlöse um zehn Millionen Euro und damit drei Prozent herauszulesen, mal heißt es nur, die Anteilseigner hätten zugesichert, die angefallenen Verluste auszugleichen.

Nach Kostenreduzierungen und der Verringerung der Mitarbeiterzahl von etwa 1500 auf 1300 Festangestellte berichtet Kühne mittlerweile wieder ausführlich über einträgliche Geschäfte: 2014/15 kletterte der Umsatz erneut über die 300-Millionen-Euro-Marke, der Jahresüberschuss des Konzerns lag bei 6,5 Millionen Euro. Für das Ende Juni abgeschlossene Geschäftsjahr 2015/16 spricht Leitz vom „zweiten Jahr in Folge mit einem Rekordumsatz“. Um die 320 Millionen Euro waren es, ein Zuwachs um drei Prozent. „Das ist auch die Zielgröße für die nächsten Jahre“, sagt er.

Kühne setzt auf neue Verpackungen und neue Produkte

Wie aber macht man drei Prozent mehr Wachstum mit einem Unternehmen, das mehr als die Hälfte der Erlöse im weitgehend gesättigten deutschen Markt erwirtschaftet? Wie verändert man das Image einer Marke, deren Essig-, Gürkchen- und Rotkohlprodukte von Kunden im Durchschnittsalter 55 plus gekauft werden, die man – so Leitz – „weiter glücklich machen will“? Die Antwort lautet: neue Verpackungen, mehr Internationalisierung und ganz neue Produkte.

„Wir haben früh gemerkt, dass sich da etwas Neues entwickelt und wollten schnell auf dem Markt sein“, sagt Leitz über Kühnes Gemüsechips. Gerade einmal zwölf Monate nach den entscheidenden Verbrauchertests hätten die ersten Tüten beim Handel im Regal gestanden. „In einem Konzern kann so etwas schon mal drei Jahre dauern“, sagt Leitz, der von Unilever zu Kühne wechselte. Seit Herbst 2015 sind die in Sonnenblumenöl gebackenen Snacks aus Roter Bete, Pastinake und Süßkartoffel in drei Gewürzvarianten auf dem Markt. Es war natürlich ein Risiko. „Umsonst kommt man leider nicht ins Regal des Handels. Er verlangt ein sogenanntes Listungsgeld. Wenn die neuen Produkte sich nicht gut verkaufen, ist man schnell wieder raus aus dem Sortiment, und das Geld ist weg“, sagt Leitz.

Umsatz mit Chips liegt bereits bei sechs Millionen Euro

Doch es hat funktioniert. Ein Jahr nach dem Marktstart tragen die Chips bereits sechs Millionen Euro zum Umsatz bei, im Frühjahr wird es zwei neue Geschmacksrichtungen geben. Kühne sei auf Anhieb zur fünftgrößten Marke auf dem deutschen Chipsmarkt aufgestiegen, sagt Leitz. Bald soll das Produkt auch in sieben bis acht weiteren europäischen Ländern verkauft werden. Entwickelt wurde es mit einem Partnerunternehmen, dort wird es auch hergestellt. Aber bei Kühne gebe es jetzt Bestrebungen, die Chips selbst zu produzieren, sagt Leitz.

Auf den Chipstüten steht der neue Markenname Kühne Enjoy, was „genießen“ bedeutet. Auf der Packung ist das „Enjoy“ sehr viel größer als das grüne Firmenlogo mit dem gelben Kühne-Schriftzug und dem Ritterkopf. Das ist auch bei den beiden anderen neuen Enjoy-Produktlinien so: Fruchtessige, etwa in der Geschmacksrichtung Traube-Cranberry mit Aronia, und Salatdressings, die zum Beispiel Mango Power mit Superfruits oder Himbeer-Vinaigrette heißen, und aus Essig und Öl in einer Flasche bestehen. „Die Marktforschungszahlen belegen, dass allein durch unsere neuen Enjoy-Produkte der deutsche Dressingmarkt um drei Prozent gewachsen ist“, sagt Leitz. Auch die Dressings soll es bald in weiteren Geschmacksvarianten geben. Wird es weitere Enjoy-Produkte geben? Die Marke biete das Potenzial, heißt es.

Jüngere Kunden bevorzugen Standbeutel

Um zwei Geschmacksrichtungen erweitert wird in den nächsten Monaten auch die neue Steaksaucen-Linie namens Made for Meat. Die allerdings ist eher ein Premium- als ein Wohlfühlprodukt und kostet mit 2,99 Euro für 375 Milliliter deutlich mehr als die herkömmlichen Kühne-Saucen in der 250-Milliliter-Glasflasche, die im Aktionsverkauf des Handels schon mal für 69 Cent angeboten werden.

Um neue Kunden in der Altersgruppe ab Mitte 30 zu gewinnen, müssen es aber nicht zwingend neue Produkte sein. Manchmal genügt schon eine neue Verpackung. Rotkohl etwa füllt Kühne nicht mehr nur in Gläser, sondern nun auch in Standbeutel. „Zeitgemäß“ sei das, sagt Leitz, und die Erwartung ist, dass jüngere Verbraucher häufiger zugreifen. Beim mittelscharfen Senf hat das überraschend gut funktioniert. Der wurde in Deutschland bislang auch in einem auf dem Kopf stehenden eher flachen Plastikspender, der sogenannten Standtube, verkauft, in Holland dagegen seit Langem schon in einer runden Plastikflasche, dem Squeezer. „Wir haben den Squeezer auch in Deutschland eingeführt, mit einem erstaunlichen Effekt. Dasselbe Produkt, derselbe Inhalt und Preis, aber 30 Prozent mehr Umsatz“, sagt Leitz.

45 Prozent des Umsatzes werden im Ausland erzielt

Er setzt zugleich auf ein verstärktes Wachstum im Ausland. Der Umsatzanteil der gut 80 Märkte außerhalb Deutschlands ist zuletzt auf 45 Prozent geklettert, der Geschäftsführer erwartet, dass es mittelfristig mehr als 50 Prozent sein werden. Die höchsten Zuwachsraten gibt es in China, zuletzt etwa 20 Prozent. „Unsere eingelegten Gurken gelten dort als Luxusprodukt. Sie werden oft direkt aus dem auf dem Tisch stehenden Glas gegessen, um zu signalisieren: Ich kann mir so etwas leisten“, weiß Leitz. Allerdings rief der Erfolg Produktpiraten auf den Plan, bis ins Detail perfekt kopierte Kühne-Gurkengläser tauchten auf. „Der Inhalt schmeckte grässlich.“ Die Hamburger engagierten Detektive. „Das hat sich offenbar herumgesprochen. Die Detektive konnten zwar niemanden überführen, aber seit einem halben Jahr haben wir Ruhe“, sagt Leitz.

Der Aufbau einer Produktion in China ist eines von „drei bis vier“ großen Investitionsprojekten, die Kühne derzeit prüft. Ein bis zwei sollen realisiert werden. Eine geplante Fabrik in Russland ist auf Eis gelegt, seitdem der Kühne-Umsatz dort im Zuge der politischen Krise um zwei Drittel einbrach. In China allerdings würde nicht Feinkost produziert werden, sondern Essig für Großabnehmer aus der Lebensmittelindustrie. Das ist neben der Feinkost das zweite große Standbein des Konzerns und das Produkt, mit dem er ab 1722 in Berlin groß wurde.

Am Kühne-Hauptsitz wird nicht mehr produziert

Hamburg ist erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs der Kühne-Hauptsitz, gehört aber nicht mehr zu den derzeit fünf deutschen Produktionsstandorten, zu denen Fabriken in Polen, Frankreich und der Türkei hinzukommen. Als Kühnes Hamburger Fabrik im Jahr 1997 niederbrannte, lohnte der Neuaufbau einer Produktion mitten in der Stadt nicht. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände stehen jetzt moderne Büro- und Geschäftshäuser an der Straße Kühnehöfe.

Das Verwaltungsgebäude des Namensgebers wirkt daneben etwas in die Jahre gekommen. Doch auch in ihm und an ihm wird die Verjüngungskur sichtbar. Im Inneren werden nach und nach offenere Arbeitsräume geschaffen, um die Kommunikation der 160 Mitarbeiter in der Zentrale zu fördern. Draußen, an der Fassade entlang der Schützenstraße, haben Graffitikünstler ein riesiges Bild auf den Backstein gesprüht. Es ist eine Auftragsarbeit. Ein riesiger Rotkohl ist da unter anderem zu sehen, eine überdimensional große Flasche Steaksauce, aber natürlich auch ein Glas Kühne-Gurken. Eine Sauerkonserve.