Hamburg. Trotz Fachkräftemangel – schwache Konjunktur und Konsum als Ursachen. Welche Rolle Ukrainerinnen spielen und wo es Chancen gibt.
Die ausbleibende Frühjahrsbelebung und das Ende der Ausbildungszeit haben auf dem Hamburger Arbeitsmarkt deutliche Spuren hinterlassen. Erstmals seit zwei Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen wieder über die Marke von 80.000. Im Juli gab es 81.900 Jobsuchende in Hamburg.
Üblicherweise kommt es in den Sommermonaten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, weil Auszubildende von manchen Betrieben nicht übernommen werden und auch die Einstellung in Unternehmen in der Ferienzeit auf Sparflamme läuft.
Im bisherigen Jahr konnte Arbeitslosigkeit kaum reduziert werden
Doch das allein erklärt nicht den dramatischen Anstieg. Schon im bisherigen Jahresverlauf lief es nicht gut am Hamburger Arbeitsmarkt. Anders als im Vorjahr konnte die Zahl der Arbeitslosen 2023 nicht wirklich abgebaut werden und bewegte sich unter leichten Schwankungen meist nach oben.
„Die schwache Konjunktur in Deutschland hat Hamburg seit vielen Monaten im Griff und sorgt dafür, dass die Arbeitslosigkeit seit Beginn des Jahres auf hohem Niveau verbleibt“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. Die Frühjahrsbelebung in diesem Jahr sei ausgeblieben.
Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Arbeitslosigkeit um 6,6 Prozent oder 5090 Personen an. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 7,5 Prozent. Im Vergleich zum Vormonat gibt es jetzt 2542 Arbeitslose mehr. Das ist ein Anstieg von 3,2 Prozent.
Lage am Arbeitsmarkt jetzt so schlecht wie während der Corona-Pandemie
Die Zahl von 82.020 Arbeitslosen wurde zuletzt während der Corona-Pandemie im Juli 2021 erreicht. Ein Jahr davor lag die Zahl der Jobsuchenden sogar bei 91.140. Das war der höchste Stand seit 2007. Seit Beginn des Jahres konnte die Schwelle von 78.000 Arbeitslosen nie nach unten durchbrochen werden.
Schleichend hat sich das Niveau der Arbeitslosigkeit schon seit längerer Zeit erhöht. In den ersten sieben Monaten lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in Hamburg bei rund 79.000. Das sind rund neun Prozent mehr Jobsuchende als vor einem Jahr. Fock begründet diese Entwicklung mit den arbeitslosen Ukrainerinnen. Allein dadurch stieg die durchschnittliche monatliche Arbeitslosigkeit in Hamburg um rund 5500 Personen, die vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geflüchtet sind.
Ukrainerinnen belasten Arbeitsmarkt, haben aber gute Perspektiven
Bei der Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt müsse man immer abwägen, ob der Einstieg schnell oder der Qualifikation entsprechend geschehen soll, sagt Fock. Denn Fachkräfte kommen ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nicht aus. Doch es braucht Zeit, um ein bestimmtes Sprachniveau zu erreichen.
Langfristig sieht aber Fock gute Perspektiven für die Ukrainerinnen, um im deutschen Markt anzukommen. Schon der demografische Wandel spreche dafür, auch wenn die Integration jetzt durch die konjunkturelle Lage etwas schwieriger werde.
Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit – wie passt das zusammen?
Doch warum steigt die Zahl der Arbeitslosen überhaupt, wenn fast alle Firmen einen Mangel an Fachkräften beklagen? Aus der überwiegenden Suche nach Fachkräften ergibt sich schon ein Teil der Antwort. Denn 58 Prozent der Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Gleichzeitig hat sich die Zahl der offenen Stellen bei der Arbeitsagentur innerhalb eines Jahres um 17 Prozent auf rund 11.500 verringert. Ein Teil des Fachkräftemangels wurde offenbar schon behoben – oder es finden sich auch nach langer Suche keine geeigneten Bewerber.
Andererseits gibt es durchaus einen Stellenaufbau in Hamburg, nur profitieren davon nicht die Arbeitslosen. Obwohl die Arbeitslosigkeit in Hamburg steigt, wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 6000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs in der Hansestadt geschaffen. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Unverändert sind mehr als eine Millionen Hamburgerinnen und Hamburger sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Schwächere Nachfrage bei Export und Konsum belastet Arbeitsmarkt künftig
„Offensichtlich ist es so, dass national und international agierende Unternehmen ihre freien Stellen überregional anbieten und mit entsprechenden mobilen internationalen Fach- und Führungskräften besetzen“, sagt Fock. Arbeitslose haben dann das Nachsehen.
- Arbeitsagentur-Chef- Beste Chancen für alle Berufseinsteiger
- Was Hamburger Experten für die Wirtschaft erwarten
- Deutschlands bekanntester Arbeitsloser Arno Dübel gestorben
In den nächsten Monaten könnte die Arbeitslosigkeit noch weiter steigen, erwartet Fock. „Die Entwicklung wird sehr stark von einer schwächeren Nachfrage im Export wie im privaten Konsum bestimmt“, sagt der Arbeitsagentur-Chef. „Aber wir werden nicht wieder den Spitzenwert vom Juli 2020 mit rund 91.000 Arbeitslosen erreichen.“
Arbeitsmarkt Hamburg: Kurzarbeit nimmt nicht zu
Die Verschlechterung der konjunkturellen Lage hat sich bisher noch nicht grundlegend im Hamburger Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Fock verweist auf die Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF). Demnach ist die deutsche Volkswirtschaft unter den 22 untersuchten Staaten die einzige, in der das Bruttoinlandsprodukt 2023 sinken soll – um 0,3 Prozent.
„Ob Kurzarbeit, Insolvenzen oder das Anzeigen von Massenentlassungen, wir registrieren bisher keine Anzeichen, dass Unternehmen ihren Personalbestand stark reduzieren“, sagt Fock. Das sei auch angesichts des demografischen Wandels kurzsichtig.
Ausbildung: noch 4240 unbesetzte Lehrstellen in Hamburg
Während sich der Arbeitsmarkt eintrübt, bestehen noch große Chancen auf dem Ausbildungsmarkt. Obwohl das Ausbildungsjahr am 1. August begonnen hat, meldet die Arbeitsagentur noch 4240 freie Lehrstellen. „Für jeden Schulabschluss gibt es freie Ausbildungsangebote“, sagt Fock.
Kürzlich hatten Handelskammer und Handwerkskammer 1700 unbesetzte Ausbildungsplätze gemeldet. Bei der Arbeitsagentur sind aber auch die Angebote einer schulischen Ausbildung etwa im medizinischen Bereich, die freien Berufe wie Steuerberater oder Berufe im öffentlichen Dienst erfasst.
Fock räumt allerdings ein, dass manche Ausbildungsplätze nur deshalb noch nicht abgemeldet sind, weil bisher die Unterschrift des Bewerbers fehlt. „Viele Schulabgänger entscheiden erst im letzten Moment, auch weil sie mehrere Ausbildungsverträge vorliegen haben.“