Hamburg. Der Wettbewerb der Firmen um Azubis wird immer härter. In welchen Branchen es jetzt noch freie Ausbildungsplätze gibt.

Erst einer von insgesamt zwei Ausbildungsplätzen für Kfz-Mechatroniker für Nutzfahrzeuge hat Thomas Streichert von Bremsenservice besetzen können. Doch die Situation bei ihm ist besser als vor einem Jahr, als noch beide Lehrstellen für die Kfz-Mechatroniker zu diesem Zeitpunkt unbesetzt waren.

Das gilt nicht nur für diesen Reparaturbetrieb, sondern insgesamt für Hamburg. Handelskammer und Handwerkskammer melden unmittelbar vor Ausbildungsbeginn rund 1700 freie Lehrstellen in Hamburg. Das sind 23 Prozent weniger als im Vorjahr zu diesem Zeitpunkt.

Vor Ausbildungsstart 1700 Lehrstellen in Hamburg unbesetzt

Der positive Trend aus dem Vorjahr setzt sich fort, stellt die Handwerkskammer fest. Denn insgesamt stieg das Angebot an Ausbildungsplätzen, und gleichzeitig sind vor Lehrbeginn am 1. August weniger unbesetzte Lehrstellen vorhanden – eine positive Entwicklung.

Die Unternehmen hoffen wieder auf steigende Ausbildungszahlen. Insgesamt registrierte die Arbeitsagentur Hamburg bis Anfang Juni 9650 von den Unternehmen gemeldete Ausbildungsplätze.

Ausbildungsplätze schneller als im Vorjahr besetzt

Inzwischen werden wieder mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt, nachdem das Angebot als Folge der Corona-Pandemie zurückgegangen war. Bisher wurden in der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer 1547 Ausbildungsplätze gemeldet, das ist ein Plus von 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem der Handelskammer gelang es, wesentlich mehr Stellen zu besetzen als im Vorjahr. Gibt es jetzt bei ihr derzeit 1000 freie Ausbildungsplätze, so waren es im Vorjahr noch 1450.

Hier finden Bewerberinnen und Bewerber noch unbesetzte Ausbildungsstellen.
Hier finden Bewerberinnen und Bewerber noch unbesetzte Ausbildungsstellen. © HA Infografik | Frank Hasse

Noch hat Streichert Hoffnung, alle Ausbildungsplätze in diesem Jahr zu besetzen. „Wir haben einen Praktikanten, wenn alles gut geht, kann er Anfang September in die Ausbildung einsteigen.“ Auch der Ausbildungsplatz einer Kauffrau für Büromanagement ist besetzt. „Neben Kranen kann man hier an Nutzfahrzeugen arbeiten, die das oberste Segment dieser Klasse darstellen“, sagt Streichert von der Tochtergesellschaft von Knaack-Krane. Doch das ist eine körperlich herausfordernde Arbeit, auch wenn es Minikrane für schwere Teile in der Werkstatt gibt. „Bewerber brauchen technisches Verständnis und physische Belastbarkeit“, so Streichert.

Noch offene Stellen für Außenhandelskaufmann und Fachinformatiker

Wer noch keinen Ausbildungsplatz hat, profitiert jetzt von den vielen offenen Stellen. Allein die Top Ten (s. Grafik) von Handelskammer und Handwerkskammer vereinen rund 1000 unbesetzte Lehrstellen. Darunter sind gefragte Berufe wie Außenhandelskaufmann, Kauffrau für Büromanagement, Fachinformatiker, Elektroniker und Kfz-Mechatroniker.

Die meisten offenen Ausbildungsplätze gibt es im Bereich der Handwerkskammer noch bei Maurern und Straßenbauern. Solche Berufe sind schwierig zu besetzen. Doch es geht auch anders, wie Hendrik Wolfgramm, Geschäftsführer des Hamburger Bauunternehmens F. Wilken & Sohn, zeigt. „Für das neue Ausbildungsjahr haben wir fünf Lehrlinge gewonnen: zwei Maurer, zwei Fliesenleger und einen Stahlbetonbauer. Auch für das nächste Jahr stehen schon zwei Azubis bereit“, sagt der 33 Jahre alte Geschäftsführer.

Ausbildung: Empfehlungen der Mitarbeiter bringen neue Beschäftigte

Das Unternehmen mit rund 60 Mitarbeitern, das innerhalb von anderthalb Jahrzehnten die Beschäftigtenzahl mehr als verdreifacht hat, setzt auf einen Umgang auf Augenhöhe und einen kooperativen Führungsstil.

„Wir sind sofort per Du, und mein Vater und ich sind für jeden Mitarbeiter jederzeit ansprechbar“, sagt Wolfgramm. Aktuell hat das Unternehmen elf Azubis, da ist es auch kein Problem, wenn in den nächsten fünf Jahren zwei Beschäftigte altersbedingt ausscheiden.

Zwar ist das Unternehmen auch in den sozialen Medien unterwegs, um auf sich aufmerksam zu machen, aber der entscheidende Faktor für die Nachwuchsgewinnung sind die Mitarbeiter selbst, die sich bei F. Wilken & Sohn wohlfühlen.

„Die meisten Empfehlungen kommen aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis der Mitarbeiter“, sagt Wolfgramm. „So stellt ein Mitarbeiter gleich noch seinen Bruder vor, der sich beruflich verändern möchte.“

Budni: Aufwand für Nachwuchsgewinnung immer größer

Neben dem Baugewerbe gilt auch der Einzelhandel als schwierige Branche. Mehr als 50 unbesetzte Ausbildungsplätze gibt es im Bereich der Handelskammer für die Kauffrau im Einzelhandel. Doch der Drogeriemarktkette Budni gelang es, alle 43 Ausbildungsplätze zu besetzen, darunter 14 Kaufleute im Einzelhandel und 21 Verkäuferinnen. „Zu uns kommen Schulabgänger ebenso wie Umsteiger“, sagt Budni-Sprecherin Claudia Schulz. „Die jüngste Auszubildende des neuen Jahrgangs ist 15 Jahre alt, die älteste 27.“

Aber der Aufwand für die Nachwuchsgewinnung werde immer größer. Viele Plätze werden erst kurz vor Ausbildungsbeginn besetzt. „Wir bespielen alle Kanäle, um auf uns aufmerksam zu machen“, sagt Schulz. Das reicht von Social Media über Ausbildungsmessen bis zum Speed-Dating.

Betriebe müssen aktiver werden, um Azubis zu gewinnen

Dennoch sehen Handelskammer und Handwerkskammer große Probleme bei der Gewinnung von Azubis. „Für die Betriebe wird es immer schwieriger, junge Menschen zu erreichen“, sagt Stephanie Anders, Bildungsreferentin der Handwerkskammer. Teilweise bekommen die Unternehmen gar keine Bewerbungen mehr für einen Ausbildungsplatz. „Die Betriebe müssen aktiv in die Schulen gehen, an Messen teilnehmen, Praktika anbieten und niedrigschwellig schnell erreichbar sein, um ihre Chancen auf potenzielle Bewerber zu erhöhen“, sagt Anders.

Die Handelskammer verweist darauf, dass es generell weniger Bewerber gibt. „Einerseits zieht es weniger junge Menschen aus dem Umland wegen einer Ausbildung nach Hamburg“, sagt ein Sprecher der Handelskammer. „Andererseits ist vielen jungen Menschen nicht bewusst, dass die duale Ausbildung mit anschließendem Meister zu dem gleichen Qualifikationsniveau führen kann wie ein Bachelor- oder Masterstudiengang. Hier fehlt es bei den Schulabgängern, aber auch bei deren Eltern, an Orientierung und Wissen.“ Der Markt biete derzeit auch schwächeren Schulabsolventen große Chancen.

Nur 40 Prozent der Schulabgänger in Hamburg machen direkt eine Ausbildung

Rund 55 Prozent der Schüler machen das Abitur, und ihr Fokus liegt zunächst auf einem Studium. Von den Schulabgängern findet zunächst nur ein kleiner Teil direkt in eine Ausbildung. „Knapp 40 Prozent der Schulabgänger in Hamburg gehen nach der zehnten Klasse direkt in eine Ausbildung. Das mag wenig erscheinen, aber vor zehn Jahren war dieser Wert noch viel niedriger“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer.

„Weitere 40 bis 50 Prozent der Schulabgänger nach der zehnten Klasse absolvieren eine sogenannte Ausbildungsvorbereitung mit weiterem Unterricht und Praktika. Von denen gehen dann etwa 40 Prozent ein Jahr später in eine duale Ausbildung. Diese Quote wollen wir noch weiter steigern.“