Hamburg. Philipp Schröder wuchs auf einem Biohof auf, Elon Musk holte ihn zu Tesla. Seine neue Energiefirma ist ein Liebling der Investoren.

Am Ostufer der Binnenalster heißt die Bar „Ciu’“, das Restaurant „Grill Royal“, das Bistro „Ballintimes“. Mittendrin sitzt ein Unternehmen namens „1Komma5Grad“. Dessen Geschäftsräume am Ballindamm sind ortsüblich stylish designt. Etwas kaufen und nach Hause tragen kann man dort nicht. Es ist ein Showroom mit Touchscreen-Tisch und Riesenbildschirm an der Wand. Auf einem Postament ist eine bierdeckelgroße weiße Box platziert. An der Wand sind Module installiert, die auch nicht auf Anhieb verraten, wofür sie gut sind. Mehr ist nicht zu sehen.

Schon als 1Komma5Grad im August 2022 seine Repräsentanz an einer der besten und teuersten Adressen der Stadt eröffnete, war das ein Statement. Das Unternehmen war gerade einmal ein Jahr zuvor gegründet worden.

Hamburger Firma 1Komma5° ist zwei Jahre nach Gründung eine Milliarde Euro wert

Weitere elf Monate später hat es eine Schallmauer durchbrochen: Die Firma mit dem Symbol für die Maßeinheit Grad im Namen ist seit Kurzem mehr als eine Milliarde Euro wert. In der Start-up-Szene nennt man so was „Einhorn“, weil es ähnlich selten ist. Gründer und Chef Philipp Schröder ist sichtlich stolz darauf, wie man im Gespräch mit ihm schnell feststellt.

Im Firmennamen klingt die Branche an: Energiewende-Technik als ein Beitrag dazu, das 1,5-Grad-Ziel nicht zu überschreiten. Bei 1Komma5Grad kann man Wärmepumpen kaufen, Solarmodule, Ladepunkte für das E-Auto, Batteriespeicher. Entweder einzeln oder gleich im Paket. Auf „50.000 bis 60.000 Euro“ schätzt Schröder die Kosten der Vollausstattung eines Einfamilienhauses.

Hamburg: Philipp Schröder gründet ein Energie-Start-up, das zum Einhorn wird

Die bierdeckelgroße Box heißt „Heartbeat“ (Herzschlag). Sie macht die einzelnen Komponenten zu einem Netzwerk und verknüpft sie zugleich mit dem allgemeinen Stromnetz. So können Privathaushalte nicht nur zum Verbraucher des eigenen Stroms werden, sondern zum Erzeuger, der Strom auch verkauft.

Ähnliche Geschäftsmodelle verfolgen andere schon länger. Der deutsche Ökostrompionier Lichtblick aus Hamburg etwa und das Berliner Solarmodul-Unternehmen Enpal. „Bei uns kommt alles aus einer Hand. Es gibt nur eine App, und wenn mal etwas nicht funktionieren sollte, gibt es eine klare Zuständigkeit und nur einen Ansprechpartner: uns“, sagt Schröder, was 1Komma5Grad seiner Meinung nach von anderen Anbietern unterscheidet.

Elektrik und Heizung – Start-up ist auch ein Handwerksbetrieb

Philipp Schröder gründet mit 1Komma5° ein Start-up, das bei Investoren sehr beliebt ist.
Philipp Schröder gründet mit 1Komma5° ein Start-up, das bei Investoren sehr beliebt ist. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Alles aus einer Hand ist wörtlich zu nehmen. Denn die Firma verkauft nicht allein die Komponenten, die sie teils selbst in Deutschland produzieren lässt, sie ist zugleich ein Montage-, Elektro- und Heizungstechnikunternehmen, das installiert und wartet, was die Kunden kaufen. Nach zwei Jahren seien es bislang 80.000. „Wir haben derzeit 1300 Mitarbeiter und 60 Standorte, davon 28 in Deutschland und vier in Hamburg und Umgebung“, sagt Schröder.

Das rasante Wachstum basiert auf dem Expansionsmodell des Buy and Build. 1Komma5Grad baut einerseits eigene Handwerksstandorte auf, kauft aber vor allem Handwerksunternehmen auf, die bereits auf dem Markt tätig sind. Deren Eigentümer erhalten einen Teil des Kaufpreises in bar, den anderen Teil als Beteiligung. Im Abstand weniger Wochen melden die Hamburger derzeit weitere Übernahmen, mittlerweile sind es mehrere Dutzend in Deutschland, Italien, Finnland, Schweden, Dänemark, Österreich und Australien.

1Komma5° – Expansion durch Übernahme von Handwerksfirmen

Bei kleineren Firmen einzusteigen oder sie zu übernehmen sei ein Trend bei Investoren, sagt Kai Hesselmann. Er ist Co-Gründer und-Chef von DealCircle, einem stark wachsenden Firmenmakler-Start-up mit Sitz nur wenige Hundert Meter vom Ballindamm entfernt, das in diesem Jahr für den Deutschen Gründerpreis nominiert ist.

Hesselmann sagt: „Für eine Buy-and-Build-Strategie generell gut geeignet sind Märkte, in denen es viele kleine Unternehmen gibt, die sich zu einer größeren Firmengruppe zusammenschließen lassen. Dazu gehört der Handwerksbereich, der unter dem Einfluss des Fachkräftemangels steht.“ Genau das tut 1Komma5Grad.

Um in kurzen Abständen immer neue Firmen zu übernehmen, braucht es Geld, viel Geld. Bei der Gründung hatte Schröder drei befreundete Teilhaber, brachte sein gesamtes Vermögen ein. Genaue Zahlen nennt er nicht, doch nach einigen Jahren in führenden Positionen in der CleanTech-Branche war bei dem 39-Jährigen wohl einiges zusammengekommen. Aufgewachsen „auf einem Demeter-Biobauernhof im Landkreis Lüneburg“, brach er das Jura- und BWL-Studium in Hamburg ab, ging zum deutschen Stromspeicher-Unternehmen Sonnen.

Elon Musk machte Gründer Philipp Schröder zum Tesla-Chef in Deutschland

Elon Musk machte ihn 2013 zum Deutschland-Chef von Tesla, zwei Jahre später kehrte er zu Sonnen zurück, avancierte dort zum Chef und Teilhaber, stieg beim Verkauf an den Ölkonzern Shell 2018 wieder aus. „Aus Gewissensgründen“, sagt er. Dann folgte ein Ausflug in die Fintech-Branche. Sein Start-up verkaufte Schröder nach wenigen Jahren „an eine große Bank“.

Doch für das rasante Expansionstempo und die großen Ziele im Businessplan reicht das Geld der Gründer nicht. In einer vor Kurzem beendeten Finanzierungsrunde geriet 1Komma5Grad zum Investoren-Liebling, sammelte weitere 430 Millionen Euro ein – und wurde so zum mit mehr als einer Milliarde Euro bewerteten Einhorn.

Ein beträchtlicher Teil der Summe wird in absehbarer Zeit auf das Firmenkonto bei der Volksbank Lüneburger Heide eingehen. Auch wenn er heute mit ganz anderen Summen hantiert als vor 20 Jahren, ist Schröder ihr treu geblieben.

1Komma5° – Porsche und deutsche Milliardäre sind Teilhaber

Wie viele Anteile die neuen Miteigentümer erhielten, bleibt geheim. 40 Prozent? „Weniger“, sagt Schröder. Nur so viel gibt er preis: „Die Gründer halten heute noch 40 Prozent, Investoren und frühere Eigentümer übernommener Firmen insgesamt 60 Prozent.“ Schröders Aufzählung der Geldgeber und Teilhaber gerät zum Namedropping bekannter Konzerne und milliardenschwerer Familien: Porsche, der CleanTech-Investor G2VP aus dem Silicon Valley, die Haniel-Familie, Jan Klatten, der deutsche Konzern Wacker Chemie, der den wichtigsten Rohstoff für die Solarzellenproduktion liefert.

Auf Gewinnausschüttungen können die Investoren nicht hoffen. „Der Gewinn wird komplett ins Unternehmen investiert“, sagt Schröder. Im ersten vollen Geschäftsjahr seien das etwa 20 Millionen Euro bei 206 Millionen Euro Umsatz gewesen. Für dieses Jahr stehen 500 Millionen Euro Erlöse und 50 bis 60 Millionen Euro Gewinn im Plan.

Für 1Komma5Grad-Kunden steht mindestens eine deutliche Senkung ihrer Stromkosten in Aussicht. „Mit eigenen Solarmodulen kann man eine Kilowattstunde für 7 bis 8 Cent erzeugen, statt sie für derzeit 40 Cent einzukaufen“, sagt Schröder, der ausführlich über Förderprogramme und Steuervorteile für private Stromerzeuger referieren kann.

Das Herz der Technik ist groß wie ein Bierdeckel – aber viel schlauer

Mehr noch: Der Heartbeat ist eine Art intelligenter Energiemanager. Er ist mit der Strombörse vernetzt, kennt die Wettervorhersage, weiß, wie sich die Preise voraussichtlich entwickeln werden. Und er hat Antworten auf wichtige Fragen: Wird der eigene Strom in Batteriespeicher oder E-Auto-Batterie zwischengeparkt oder besser ins Netz gespeist und verkauft, weil der Börsenpreis gerade hoch ist? Wann ist Ökostrom an der Börse absehbar günstig und sollte gekauft werden? All das, heißt es, habe dieses schlaue Bierdeckel-Ding drauf.

Das Heartbeat-Modul ist so klein wie ein Bierdeckel, aber das Herzstück der Technik. Es ist mit der Ökostrombörse vernetzt und kennt die Wettervorhersage.
Das Heartbeat-Modul ist so klein wie ein Bierdeckel, aber das Herzstück der Technik. Es ist mit der Ökostrombörse vernetzt und kennt die Wettervorhersage. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Ob 1Komma5Grad-Kunden auch nennenswerte Einnahmen durch den Verkauf ihres Solarstroms erzielen können, will und kann Schröder nicht vorhersagen: „Das hängt stark von den Umständen ab, und ich weiß natürlich nicht, wie der Energiemarkt in drei Jahren aussieht. Wir machen da keinerlei Versprechen, denken aber, dass bis zu 1800 Euro Einnahmen im Jahr möglich sein können.“

Sicher ist, dass 1Komma5Grad die Expansion mit dem frischen Geld fortsetzen kann. Der Halbleiter- und Fachkräftemangel bremst allerdings. „Die Nachfrage ist teilweise größer als unsere Kapazität, in einigen Regionen gibt es Wartezeiten“, sagt Schröder. Kein Mangel herrsche an Handwerksfirmen, die Teil des Unternehmens werden wollen. „Wir suchen sie, sie melden sich bei uns.“ Nicht jedes habe eine Chance. „Wir machen keine Geschäfte mit Chefs, die keinen Bock mehr auf ihre Firma haben und sie loswerden wollen.“

Hamburger Firma 1Komma5° – zehn Milliarden Umsatz sind das Ziel für 2030

Ein Vorurteil über das Handwerk haben die 1Komma5Grad-Gründer abgelegt. „Anfangs haben wir befürchtet, dass die junge Software-Entwicklerin in Berlin und etablierte, knorrige Handwerksunternehmer nicht zusammenpassen könnten. Heute wissen wir, dass es viele sehr innovative Betriebe gibt, die wirklich etwas verändern und Teil unserer Mission sein wollen, die Energiewende und den Klimaschutz voranzubringen.“

In den Zahlen des Businessplans ausgedrückt, lautet die Mission: Im Jahr 2030 hat das Hamburger Einhorn 10.000 Beschäftigte, macht mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz pro Jahr und hat in der EU und in Australien 1,5 Millionen Kunden, die Solarstrom selbst erzeugen. „Etwa so viel, wie 22 große Atomkraftwerke erzeugen können“, sagt Philipp Schröder.