Hamburg. Trotz Defiziten bei der Batterieleistung ist der Projektleiter vom Versuch überzeugt. Kommen mehr Oberleitungen über die Autobahn?
Der Sommer hat begonnen – und auf der Autobahn 1 nimmt der Verkehr in die auch bei Hamburgern so beliebten Badeorte an der Ostsee wieder zu. Zwischen den Tausenden Fahrzeugen rollt ab und zu ein Lkw, der den deutschen Schwerlastverkehr revolutionieren soll. Anstatt mit Diesel fährt er mit Strom, den er direkt von einer Oberleitung über dem rechten Fahrstreifen aufnimmt. „E-Highway“ heißt das Projekt, das den Schadstoffausstoß der Transportbranche auf der Straße angesichts des Klimawandels eines fernen Tages auf null senken soll.
Fünf Kilometer lang ist die Teststrecke, zwischen der Anschlussstelle Reinfeld und Lübeck versehen mit rund 250 Masten in beide Richtungen, an denen die Oberleitungen angebracht sind. Sobald die Testfahrzeuge ins Versuchsfeld fahren, werden die Stromabnehmer wie bei einer Lok automatisch nach oben ausgefahren, um die Fahrenergie aufzunehmen. Fünf Fahrzeuge der Spedition Bode aus Reinfeld pendeln täglich zum Lübecker Hafen und zurück. „Das sind etwa 25 Fahrten am Tag“, sagt der E-Highway-Projektleiter Jan Bachmann vom Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel.
Verkehr A1: Pilotprojekt E-Highway wird trotz Problemen ausgeweitet
Eigentlich sollten es inzwischen viel mehr Fahrten sein, aber das letzte Fahrzeug ist an die Spedition erst Ende 2022 ausgeliefert worden. Da wäre der auf zwei Jahre angelegte Versuch der ursprünglichen Planung folgend schon vorbei gewesen. Denn das Projekt sollte nur bis Ende 2022 laufen. Doch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat den Test bis Ende 2024 verlängert. Und er wird sogar ausgeweitet: In den nächsten Monaten soll eine weitere Spedition aus Lübeck mit in den Feldversuch einsteigen – dann das erste Mal mit einem rein elektrischen Lkw.
Bisher hat die Spedition Bode nämlich Hybrid-Sattelschlepper in ihrem Fuhrpark, deren Batterien nur für einen Teil der 28 Kilometer langen Strecke zwischen dem Lager und dem Lübecker Hafen genug Energie liefern. Sobald die Speicher leer sind, schaltet sich ein Dieselmotor zu. Dabei haben die gelieferten Fahrzeuge je nach Entwicklungsstand unterschiedlich starke Batterien. Der erste der fünf Versuchs-Lkw hat gerade einmal genug Leistung für elf Kilometer reine Stromfahrt, der jüngste kommt 40 Kilometer weit. Den Strom muss die Spedition nicht bezahlen. Laut Projektleitung handelt es sich um Ökostrom aus dem schleswig-holsteinischen Mittelspannungsnetz.
Steuerzahlerbund kritisiert „Geldverschwendung“
19 Millionen Euro hatte die Bundesregierung für den Bau der Oberleitungsstrecke zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen sieben Millionen Euro für Betrieb und die wissenschaftliche Begleitung des Versuchs durch die Fachhochschule Kiel, die Hochschule Heilbronn sowie die Technischen Hochschulen Jena und Dresden. Das sind 26 Millionen Euro. Hinzu kommen noch einmal 1,6 Millionen Euro für die Verlängerung des Projekts.
Das sei zu viel, findet der Bund der Steuerzahler und spricht von Geldverschwendung. In seinem Schwarzbuch 2019 prangerte er die „unsinnige Oberleitung für Lastwagen“ an. Zumal das Projekt zunächst mit 14 Millionen Euro veranschlagt war und wegen notwendiger Nachbesserungen an den Stahlträgern und der Leitungen teurer geworden ist.
Elektromobilität: Fahrzeuge sind nicht ausgereift und teuer
Sprechen die Projektverantwortlichen von einem „vollen Erfolg“ und träumt Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) bereits davon, die Strecke auszuweiten, zeigen sich im täglichen Betrieb doch Probleme. Hauptnachteil laut Projektleiter Bachmann ist, dass es bisher nur einen einzigen Lieferanten für die Oberleitungssattelschlepper gibt, nämlich die schwedische VW-Tochter Scania. Sie hat in Gemeinschaftsarbeit mit Siemens – dem Lieferanten des Pantographen (Stromabnehmer) – das System entwickelt. „Besser wäre es für den Versuch, wenn es mehrere Anbieter gäbe. Dann könnte man die Leistung der Strecke viel besser testen“, sagt Bachmann.
Die Monopolstellung von Scania hat zudem Auswirkungen auf die Preise: Ein normaler 40-Tonner kostet 120.000 Euro. Das neueste Versuchsmodell bei Bode 600.000 – wobei die Spedition diese Summe nicht bezahlt, sondern die Fahrzeuge gemietet hat. Für wie viel, will Geschäftsführer Marc-Philipp Bode nicht verraten. „Es ist eben nur ein Prototyp“, sagt er.
Verkehr auf der A1: E-Highway zu kurz, um Batterien zu füllen
Das zweite Problem ist, dass die Laster bei größeren Störungen – etwa am Getriebe – nicht in Deutschland repariert werden können, sondern nur am Scania-Sitz im schwedischen Södertälje. Bei Reparaturbedarf fallen sie also wochenlang aus.
Als Problem sieht Bode zudem die Kürze der Strecke. „Auf den fünf Kilometern können wir die Batterien gerade einmal zu acht oder neun Prozent füllen.“ Deshalb würde der Dieselmotor sich häufiger zuschalten als gewünscht. „Sparen wir Diesel und damit CO2? Ich glaube schon. Viel ist es aber nicht.“
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Projektleiter Bachmann ist nicht so skeptisch, sagt aber auch: „Richtig rechnen wird sich der E-Highway erst, wenn möglichst viele Fuhrunternehmen ihn nutzen.“ Etwa 8000 Lkw befahren die A1 auf der Strecke täglich. Gleichwohl sieht Bachmann schon bei diesem sehr begrenzten Versuch erhebliche Vorteile fürs Klima: „Rechnen wir die Fahrten von Bode zusammen, kommen wir auf eine CO2-Einsparung von 37 Prozent, obgleich nur ein Fünftel der gesamten Pendelstrecke elektrifiziert ist.“
Verkehrsprojekt wird ausgeweitet. Jetzt fahren die Lkw Kolonne
Gibt es bei den Fahrzeugen noch Nachholbedarf, bereitet die Oberleitung hingegen keine Probleme mehr. „Es gab anfangs noch Störungen im Winter, wenn Streusalz die Kontakte angegriffen hat, aber das ist vorbei. Das Oberleitungsnetz ist ausgereift“, so Bachmann. Auch die Befürchtungen von Umweltschützern, Vögel könnten sich in den Drähten verfangen und dort verenden, hätten sich nicht bewahrheitet. „Es gab Untersuchungen mit Wärmebildkameras, die keine Auswirkungen auf die Vogelwelt zeigten.“
Ungeachtet der eingeschränkten Möglichkeiten, wurde die Verlängerung des Projekts dazu genutzt, weitere Tests durchzuführen. Derzeit sind es Kolonnenfahrten, bei denen alle fünf Bode-Fahrzeuge zugleich auf die Reise geschickt werden. „Unter anderem wird das Schwingungsverhalten der Oberleitung vermessen, um zu sehen, ob beispielsweise der Abstand der Lkw Einfluss auf die Qualität des Stromabnehmerlaufs hat“, so Bachmann. Aber auch der Energiebedarf, das Verhalten der Unterwerke bei hohen Lasten – etwa durch gleichzeitige Beschleunigung der Lkw sowie die elektrotechnischen Regelmechanismen bei Überlast stünden auf dem Prüfstand.
Nur zu sehen bekommen die Autofahrer auf der A1 die Oberleitungs-Lkw höchst selten. „Da muss man sich schon neben die Autobahn stellen und den richtigen Moment abwarten“, sagt Bachmann.