Hamburg. Wer ist schuld am Aus des Hamburger Lkw-Bauers? Was wurde aus Steuergeldern? Warum schweigen die Verantwortlichen?

Als der Hamburger Hersteller für Lkw mit Wasserstoffantrieb, Clean Logistics, im Juni 2022 seinen ersten selbst zusammengebauten Wasserstofflaster der Öffentlichkeit vorstellte, setzte die dafür eigens angesetzte Show Maßstäbe. Als Veranstaltungsort war der Flugplatz Stade angemietet worden. Hunderte Besucher waren eingeladen, aus der Wirtschaft, aus der Gesellschaft und auch aus der Politik.

Alle waren zu dem vierstündigen „Event der Extraklasse“ gekommen, das von Kathi­ Wörndl und NDR-Mann Hinnerk Baumgarten moderiert wurde. Wer nicht kommen konnte, sendete Videobotschaften – wie der damalige niedersächsische Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD), der seine zugeschaltete Rede mit den Worten begann: „Nirgendwo wäre ich heute lieber als bei Ihnen.“

Clean Logistics war der Hoffnungsträger der Politik

Zahlreiche Vertreter Niedersachsens und des Bundes ließen sich den „Fyuriant“, so der Name des Zukunftsfahrzeugs, präsentieren – auch in voller Fahrt. Denn Clean Logistics ließ den Wasserstoff-Sattelschlepper in einem Rennen gegen einen herkömmlichen Laster über die Piste rasen. Als Kommentator hatten die Veranstalter Formel-1-Kultmoderator Kai Ebel gebucht.

„Dieses Fahrzeug setzt Maßstäbe für innovative und klimaneutrale Mobilität“, lobte der damalige Finanzminister Niedersachsens, Reinhold Hilbers (CDU). Clean Logistics war der große Hoffnungsträger der Politik: Denn wenn die Bundesregierung ihre ambitionierten Klimaziele erreichen will, dann benötigt Deutschland genau solche Fahrzeuge.

Vergangene Woche wurde Insolvenz angemeldet

In den Hollywoodstreifen „Zurück in die Zukunft“ sahen sich Besucher anschließend versetzt, als ein wasserstoff­betankter DeLorean über die Startpiste raste. Doch für Clean Logistics endete die erhoffte glorreiche Zukunft vergangene Woche. Eine dürre Insolvenzbekanntmachung des Insolvenzgerichts Lüneburg unter dem Aktenzeichen 46 IN 15/23 hat die Hoffnung der Firma und vieler Politiker zerschlagen.

Clean Logistics mit Hauptsitz in Hamburg und Produktionsstandort in Winsen (Luhe) ist das Geld ausgegangen. Auch für die vier Tochtergesellschaften (Clean Logistics Technology GmbH, E-Cap Mobility GmbH, Clean Logistics Assets GmbH, Xpanse Powertrain GmbH) sei ein Insolvenzantrag gestellt worden oder werde zeitnah gestellt, sagte der vorläufige Insolvenzverwalter, der Hamburger Rechtsanwalt Peter-Alexander Borchardt. Rund 100 Mitarbeiter sind betroffen.

Aktie ist zu einem Pennystock geworden

Viele Anleger haben viel Geld verloren. Die Aktie, die seit Sommer 2021 an der Börse gehandelt wird, ist abgestürzt. Im August des vergangenen Jahres, nach der großen Show in Stade, kostete sie 17,50 Euro. Zuletzt war sie für etwas mehr als 30 Cent zu haben.

Doch nicht nur Anleger sind betroffen. Auch die Steuerzahler haben Clean Logistics gestützt, und zwar mit Millionenbeträgen. Denn die Politiker lobten das Unternehmen nicht nur, sondern förderten es auch kräftig, um die Fahrzeuge zur Serienreife zu bringen.

Vom Bund gab es einen Förderbescheid über 3,8 Millionen Euro

Mit einem Förderbescheid über 3,8 Millionen Euro war der damalige parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Enak Ferlemann (CDU) 2019 nach Winsen gereist. Damals war Clean Logistics gerade gegründet worden. Lediglich eine Handvoll Mechaniker war in der Werkshalle damit beschäftigt, bestehende Sattelzugmaschinen und Busse auszuschlachten und auf Wasserstoff umzurüsten. „Wir setzen auf Wasserstofftechnologie, aber kein deutscher Hersteller bietet das. Da müssen mittelständische Schrauber kommen und zeigen, wie das geht“, sagte er damals.

Was aus dem Geld geworden ist, das Ferlemann versprach, kann der Bund auch 26 Stunden nach einer Anfrage des Abendblatts nicht erklären: „Das Bundesministerium wird den Sachverhalt unter Zugrundelegung aller vorhandenen Informationen eingehend prüfen. Zum aktuellen Zeitpunkt können noch keine Aussagen dazu getroffen werden“, sagte ein Sprecher.

Auch das Land Niedersachsen wollte viel Geld geben

Noch während der Show in Stade vor sieben Monaten hatte der Leiter des wichtigen Referats für Grundsatzangelegenheiten im Ministerium, Klaus Bonhoff, Clean Logistics die weitere Unterstützung zugesagt – ebenso wie die Geschäftsführerin der staatlichen Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW), Alina Hain.

Mehr Glück dürfte das Land Niedersachsen haben, das 7,6 Millionen Euro für ein Forschungsvorhaben versprochen hatte, davon 1,6 Millionen Euro für Clean Logistics, 5,5 Millionen für deren Tochterunternehmen Xpanse Powertrain sowie 400.000 Euro für die TU Braunschweig. Das Geld ist noch nicht geflossen: Bislang gab es nur die im Oktober 2022 vom damaligen Umweltminister erteilte Förderzusage.

Seit Dezember waren Schwierigkeiten bei Clean Logistics bekannt

„Die entsprechenden Fördermittel daraus sind noch nicht abgerufen, und es muss daher auch kein Geld zurückgefordert werden“, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. „Die Förderzusage bezog sich auf den Forschungsverbund mit der TU Braunschweig. Sie stand unter dem Vorbehalt des Nachweises der nötigen Eigenmittel, dieser ist bisher nicht erbracht.“ Er kann auch nicht erbracht werden, weil die Mittel fehlen.

Im Dezember hatte Clean Logistics die finanzielle Schieflage bekannt gemacht. Ein letzter Rettungsversuch mithilfe einer Notkapitalerhöhung Anfang dieses Jahres scheiterte. Ein Blick in die Handelsregistereintragungen zeigt, dass bei Clean Logistics immer wieder Kapitalerhöhungen vorgenommen wurden – aber offenbar ohne nachhaltigen Erfolg. Die Ausgaben blieben gegenüber den Einnahmen in einem krassen Missverhältnis.

Die Verantwortlichen schweigen

Doch wie konnte es soweit kommen? Sämtliche Verantwortliche schweigen sich aus – sofern sie überhaupt erreichbar sind. Die beiden Hauptgründer und Chefs von Clean Logistics, die bekannten Hamburger Unternehmer Dirk Lehmann und Dirk Graszt, äußern sich nicht. Sie sind beide aus ihren Funktionen ausgeschieden.

Lehmann verschob zunächst einen zugesagten Interviewtermin mit dem Abendblatt, dann sagte er ihn komplett ab. „Bitte haben Sie Verständnis, ich kann im Moment nichts sagen“, lautete sein einziger Satz. Und auch Jürgen Akkermann, der von August bis Dezember 2022 Finanzchef bei Clean Logistics war, geht Presseanfragen aus dem Weg.

Kunden und Geschäftspartner halten sich bedeckt

Auch ehemalige Kunden und Geschäftspartner halten sich zu dem Thema bedeckt: „Zu offenen Forderungen und Aufträgen an Clean Logistics kann ich Ihnen an dieser Stelle keine weiteren Auskünfte erteilen“, hieß es beispielsweise bei der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft, die zwei auf Wasserstoffantrieb umgerüstete Busse von Clean Logistics übernommen hat und betreibt.

Vom Auto-Veredler Neidfaktor, der für das Innen­design des Fyuriant verantwortlich war, wurde mitgeteilt: „Wir äußern uns nicht über unsere Kunden. Schon gar nicht, wenn es ihnen schlecht geht.“

Schleswig-Holsteiner Firma wollte 5000 Wasserstoff-Lkw beziehen

Lediglich der Energiekonzern GP Joule, der mit einem milliardenschweren Auftrag an Clean Logistics in die Zukunft starten wollte, äußert sich. Die Schleswig-Holsteiner hatten im August 2022 einen Rahmenvertrag zur Lieferung von 5000 Wasserstoff-Lkw geschlossen, der nun wohl hinfällig ist.

„Es ist keine einfache Zeit für neue Hersteller in der Mobilitätsbranche. Aber wir merken jeden Tag, dass das Kundeninteresse an emissionsfreiem Transport groß ist. Unser Ziel bleibt unverändert, die Schwerlastmobilität zu einem Teil der neuen, nachhaltigen Energiewirtschaft zu machen und die Emissionen im Transportverkehr zu senken. Daran arbeitet GP Joule weiterhin mit vielen verschiedenen Partnern“, sagte ein Sprecher.

Arbeitsagentur zahlt vorerst die Löhne für Beschäftigte

Clean Logistics arbeitet nun auch in der Insolvenz weiter, mithilfe der Arbeitsagentur, die vorerst die Löhne zahlt. In der Zwischenzeit versucht der Insolvenzverwalter, neue Investoren für das Unternehmen zu finden. Vielleicht sind die Verantwort­lichen im Falle einer erfolgreichen Investorensuche ja wieder gesprächiger, sollte sie tatsächlich gelingen.