Hamburg. Der tragische Tod des Hamburger Reeders hat über die Stadt hinaus Bestürzung ausgelöst. Die Flagge am Firmensitz weht auf halbmast.

Die Nachricht vom tragischen Tod des Hamburger Reeders Bertram Rickmers sorgt für Bestürzung. Nicht nur in der Schifffahrtsbranche, sondern auch in der Hamburger Gesellschaft, der er angehörte. Ob bei Charity-Veranstaltungen, Prominenten-Partys auf Sylt oder kulturellen Ereignissen: Der Mann mit dem markanten Gesicht und den streng zurückgekämmten grauen Haaren, die er immer ein Tick länger trug als es sich gehört, war ein gern gesehener Gast, sofern er nicht selbst als Gastgeber einlud, etwa zu einer Vernissage, wenn es galt, einen begabten Künstler zu feiern.

Betram Rickmers war ein Mäzen, der gerne Geld spendete. Und er war ein Bonvivant, ein Genussmensch, der das Leben liebte. Nicht zuletzt deshalb löste die Meldung, dass er mitten aus dem Leben gerissen wurde, so große Betroffenheit aus. Vor allem weil die Umstände von Bertram Rickmers’ Ableben noch nicht vollständig geklärt sind. Untersuchungen dazu laufen noch.

Rickmers war in der Nacht von Sonntag auf Montag in der heimischen Familienvilla die Treppe herabgestürzt – am 60. Geburtstag seiner Frau Franziska. Die Feier war gerade zu Ende. Die letzten Gäste waren gegangen. Ein schnell herbeigerufener Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. Schon vor 20 Jahren war Bertrams Mutter Christa bei einem Treppensturz ums Leben gekommen.

Bertram Rickmers war ein mutiger Hamburger Reeder

Ein tragisches Ende überschattet ein mutiges Leben. Denn unternehmerischen Mut hat Bertram Rickmers mehrmals im Leben bewiesen. Das erste Mal sicherlich, als er 1992 mit seinem zwölf Jahre jüngeren Bruder Erck einen Neuanfang ausgerechnet in der Branche wagte, der das Firmenimperium der Familie zuvor zum Opfer gefallen war.

Ein anderes Wahrzeichen hat Bertram Rickmers immer gepflegt und hielt bis zuletzt an dem Emblem fest. Es sind die Helgoländer Farben Grün, Rot und Weiß, die auch heute noch die Firmenflagge zieren. In den 1970er-Jahren geriet die Schifffahrtsbranche in eine schwere Krise. Und Rickmers musste als Jugendlicher in Bremerhaven miterleben, wie das maritime Imperium seiner Familie verfiel. Hapag-Lloyd stieg bei der Rickmers-Linie ein, übernahm diese 1988 komplett. Zwei Jahre zuvor hatte der Schiffbauzweig bereits wegen hoher Schulden Konkurs anmelden müssen.

Bertram Rickmers, der zunächst Jura und Volkswirtschaft studiert hatte, hätte aufgrund dieser Erfahrungen der Branche den Rücken kehren können – aber er machte das Gegenteil. Er gründete 1992 mit seinem Bruder Erck in Hamburg Nordcapital: ein Emissionshaus, das Geld für Schiffsneubauten sammelte. Nach nur vier gemeinsamen Jahren trennten sich die Brüder beruflich wieder. So ähnlich sich die beiden auch äußerlich sind, so unterschiedlich sind sie doch in ihren Wesen.

Bertram Rickmers und der Streit mit der HSH Nordbank

Erck Rickmers gründet 1998 die Schifffahrtsgruppe E.R. Schifffahrt, eine der weltgrößten Charter-Reedereien für Containerschiffe. Bertram kaufte 2000 die Rickmers-Linie von Hapag-Lloyd zurück und baute ein neues Firmenimperium auf. Einer der großen Geldgeber an seiner Seite war die HSH Nordbank. Sie lieh ihm bis zu 1,5 Milliarden Euro, um neue Schiffe zu bauen. Das ging gut, solange die auf Kredit finanzierten Schiffe so viel Gewinn abwarfen, dass davon nicht nur die Kreditzinsen bedient werden konnten, sondern sogar Geld für weitere Expansionen übrig blieb.

Infolge der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers gerieten aber zunächst Banken und der Handel in schweres Fahrwasser, was die globale Weltschifffahrt für mehr als ein Jahrzehnt in eine schwere Krise stürzte. Und plötzlich waren die Reeder nicht einmal mehr in der Lage, ihre Zinsen zu bedienen. Das traf nicht nur, aber auch Bertram Rickmers, dessen Holding zuletzt eine Flotte von 130 Schiffen umfasste.

2017 meldet die Rickmers Holding Insolvenz an

Rickmers selbst sprach von der schlimmsten Krise der Schifffahrt seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Und wieder machte er mitten in der Krise einen mutigen Schritt: Er entwickelte eine neue Kapitalmarkt-Strategie, in deren Zentrum eine Anleihe über 275 Millionen Euro stand, die Rickmers in den Jahren 2012/13 platzieren konnte.

Für den Schritt wurde er gelobt: von den Anlegern, weil er satte Zinsen von mehr als acht Prozent versprach; von der Politik und Experten, weil er mit börsennotierten Anleihen einen neuen Weg in der Schiffsfinanzierung beschritt. Denn das zunächst erfolgreiche sogenannte KG-Modell, die Zusammenfassung des Kapitals von Kleinanlegern in sogenannten Schiffsfonds, hatte sich in der Krise als ein großes Problem herausgestellt.

Doch der Schritt rechnete sich nicht. Irgendwann konnte die Holding, die aufgrund der geringen Fracht- und Charterraten auf See bereits 2015 und 2016 erhebliche Verluste produzierte, die Zinsen jener Anleihe nicht mehr bedienen. 2017 musste die Rickmers Holding Insolvenz anmelden.

Neues Unternehmen nach der Insolvenz

Eine nicht unerhebliche Rolle hatte dabei die HSH Nordbank gespielt. Sie hatte zunächst noch fleißig an einer Sanierung des Unternehmens mitgewirkt, dann aber überraschend einen Rückzieher gemacht. Rickmers gab der Bank bis zuletzt die Schuld an der Insolvenz. „Gier frisst Hirn“, sagte er auf die Bank angesprochen. Wer schließlich wen im Stich gelassen hatte, ist bis heute umstritten und Gegenstand mehrerer juristischer Verfahren.

Dass man ihn für die Pleite verantwortlich machte, habe ihn schwer getroffen, sagte Bertram Rickmers vor einem Jahr im Gespräch mit dem Abendblatt. Zumal er selbst bereit gewesen wäre, Millionen aus seinem Privatvermögen in die Rettung der Firma zu investieren. „Das war mein Lebenswerk“, sagte er damals.

Aber anstatt sich zurückzuziehen, stand Bertram Rickmers wieder auf. Nur zwei Jahre nach der Insolvenz gründete er ein neues Unternehmen – man ahnt es: Die Schifffahrt ließ ihn nicht los. Er gründete die Asian Spirit Steamship Company (ASSC) und baute eine neue Flotte von elf besonders spritsparenden Feederschiffen mit einer Kapazität von jeweils 1600 Standardcontainern (TEU) auf.

Und er holte seinen Sohn in die Firma, dem er den Namen des Begründers der Rickmers-Dynastie, Rickmer Clasen, gegeben hatte. Der hatte nach seinem Studium in Asien das Handwerk eines Schiffmaklers und Befrachtungsagenten gelernt. Erst als das Unternehmen seines Vaters in die Insolvenz rutschte, kehrte der Sohn zurück und stieg in die neue Firma mit ein.

Begonnen hatte alles 1834, als der Helgoländer Holzschiffbauer Rickmer Clasen Rickmers in Bremerhaven eine Werft gründete. Schnell wurde diese größer, expandierte auch in die Linienschifffahrt. Ein Zeugnis jener glorreichen Zeit liegt heute in Hamburg als Museum an den Landungsbrücken: das Segelschiff „Rickmer Rickmers“.

Firmenflagge weht auf halbmast: Bertram Rickmers ist tot

Bertram Rickmers hatte noch viel vor. Er nahm aktiv an der Transformation der Schifffahrt auf dem Weg zur Klimawende teil. Die See ließ den begeisterten Segler nicht los. „Ich habe Marine-Diesel im Blut oder, um es in zeitgemäße Worte zu kleiden: Wasserstoff“, sagte er dem Abendblatt.

Jetzt weht die grün-rot-weiße Flagge vor dem Firmensitz am Alsterufer auf halbmast. Aus der ganzen Welt kommen Beileidsbekundungen. „Das ist ein großer Verlust für die Familie“, sagte Bertrams Bruder Erck Rickmers am Dienstag dem Abendblatt. „Es erscheint mir alles noch surreal.“