Hamburg. Energiemangel und Klimakrise zwingen die Reedereien zu immer neuen Ideen: Da rückt die Windkraft auf den Meeren in den Fokus.

Langsam schiebt sich die Fähre „Berlin“ dem Scandlines-Terminal des Fährhafens Rostock entgegen. Touristen bietet sie einen seltsam anmutenden Anblick. Denn neben den üblichen Decksaufbauten eines Schiffes wie Schornstein und Kommandobrücke, verfügt die unter deutscher Flagge betriebene „Berlin“ über einen 30 Meter hohen zusätzlichen Schornstein, aus dem gar kein Rauch aufsteigt.

Schnell werden Passagiere und Fahrzeuge, der aus dem dänischen Gedser kommenden Fähre gewechselt, dann heißt es wieder: „Volle Windkraft voraus!“ Denn hinter der wie ein Schornstein aussehenden runden Röhre verbirgt sich in Wahrheit eine Art Segel. Es ist ein rotierender Zylinder, der durch die Nutzung des sogenannten Magnus-Effekts dazu beiträgt, das Schiff vorwärtszubewegen.

Schiffahrt: Erzeugter Druckunterschied bringt Schiff voran

Und das geht so: Wenn der Wind auf den rotierenden Zylinder trifft, wird er auf der einen Seite des Zylinders beschleunigt und auf der anderen Seite des Zylinders verlangsamt. Der Unterschied in der Windgeschwindigkeit führt zu einem Druckunterschied, der eine Kraft senkrecht zum Wind erzeugt. Diese zieht das Schiff schließlich voran.

Die Fähre kann den Gebrauch ihrer Dieselmotoren reduzieren und spart so nach Angaben der Reederei vier bis fünf Prozent CO2-Emissionen. Die „Berlin“ ist bereits das zweite Schiff von Scandlines das mit einem sogenannten Flettner-Rotor ausgestattet ist. Bereits vor zwei Jahren hat die dänisch-deutsche Reederei, die ein großes Büro am Gänsemarkt betreibt, das Schwesterschiff „Copenhagen“ mit einem Flettner-Rotor ausgestattet. „Die Einspareffekte wurden voll erzielt. Deshalb haben wir in diesem Jahr die zweite Fähre auf der Linie aufgerüstet“, sagt eine Sprecherin.

Schiffahrt: Über acht Prozent Treibstoff eingespart

Das Beispiel Scandlines ist kein Einzelfall. Der 2020 in China gebaute Erzgutfrachter „Sea Zhoushan“ verteilt über eine Länge von 340 Metern fünf Rotoren. Bereits 2018 wurde der Tanker „Pelican“ der Reederei Maersk mit einem solchen ausgestattet. Ein Jahr später schaute man, wie viel Treibstoff eingespart wurde: Es waren 8,2 Prozent.

„Der Rotor hat technisch überzeugt“, so ein Maersk-Sprecher. Wirtschaftlich sei der Einbau allerdings nur erfolgreich gewesen, weil er finanziell gefördert wurde. Auf allen Schiffen lasse sich so ein Rotor nicht installieren: „Auf Containerschiffen wäre dafür kein Platz.“

Schiffahrt: Zeit der Segelschiffe vorbei?

Auf Tankern oder Massengutfrachtschiffen sieht das anders aus. Die japanische Reederei MOL testet seit Jahren den Einsatz von Windsegeln auf Frachtschiffen. Die französische Firma TOWT (Trans Oceanic Wind Transport) lässt
gerade zwei Frachter bauen, die nur mit Segelleistung fahren, auch die Firma Neoline arbeitet daran.

Dabei ist das Zeitalter der Segelschifffahrt eigentlich vorbei. Wurde über Jahrhunderte hinweg praktisch alles auf dem Wasser mit Segelschiffen transportiert, läutete Mitte des 19. Jahrhunderts das aufkommende Dampfschiff das Ende der
Segelschiffe ein. In der Handelsschifffahrt verloren Segelschiffe rasch ihre Bedeutung.

Schiffahrt: Windkraft könnte Segelschiffe wieder populär machen

In einer globalisierten Welt, in der Produkte „just in time“ ohne Verzug geliefert werden müssen, sind sie zu langsam und zeitlich unzuverlässig. Zuletzt haben Segelschiffe mit Ausnahme des Kreuzfahrtgeschäfts lediglich noch in der Ausbildung bei Seestreitkräften gedient oder Repräsentationszwecke erfüllt.

„Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass sich das ändern wird, weil die Reeder gar nicht umhinkommen die Windkraft auf dem Meer zu nutzen, wenn sie den Einsatz ihrer fossilen Brennstoffe reduzieren wollen“, sagt Stefan Wrage, Chef der Hamburger Firma Skysails, die als einer der Pioniere in der Branche gilt, und bereits vor Jahren Frachtschiffe mit einem Zugdrachen ausrüstete.

Per Knopfdruck entfaltet sich ein 1000 Quadratmeter großer Schirm

Erlebt das Segelschiff im maritimen Handel aufgrund der Energiekrise seine Renaissance? Bei der weltgrößten Schiffbaumesse SMM, die vor zwei Wochen in Hamburg stattfand, wurde deutlich, dass das Interesse der Reeder riesig ist. Zahlreiche Firmen, wie der spanische Anbieter Bound4Blu, präsentierten Lösungen für Segelfrachtschiffe.

Die Airbus-Ausgründung Airseas greift die Idee vom Zugdrachen auf und entwickelt ein System, mit dem sich per Knopfdruck von der Brücke aus am Schiffsbug ein 1000 Quadratmeter großer Schirm entfaltet, der das Schiff zieht. „Wir bringen unsere Erfahrung und unser Wissen aus der Luftfahrt aufs Wasser“, sagt Airseas und verspricht Treibstoffeinsparungen von bis zu 20 Prozent.

Die Hamburger Firma Becker Marine Systems, die eigentlich für treibstoffsparende Ruder und Propellerantriebe bekannt ist, hat bei der Messe ein Kielschwert vorgestellt, das moderne Segelschiffe auf Kurs hält und daran hindert, zur Seite zu driften. Selbst der Konzern Liebherr, der für seine Kräne bekannt ist, zeigte auf der SMM andere Produkte, wie widerstandsfähige Drehkränze, mit denen sich Flettner-Rotoren und Segel in die richtige Richtung ausrichten lassen.

Moderne Steuerung benötigt geschultes Personal

Doch woher kommt das Personal, das diese modernen Schiffe steuern kann? Eine Zusatzqualifikation ist dafür notwendig. Das Münchener Start-up CargoKite, das sich mit der Entwicklung kleiner, autonomer Schiffe beschäftigt, die mit einem Kite-Antrieb fahren, hat sich dieses Problems angenommen. Trotz der autonomen Steuerung benötigen die Schiffe nämlich geschultes Personal an Bord.

CargoKite greift dabei auf eine Software zurück, die das Hamburger Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) entwickelt hat und sich mit der Personalbedarfs- und Crew-Einsatzplanung an Bord befasst. Mithilfe des Programms kann CargoKite berechnen, was eine Crewbesetzung für die neuartigen Frachter lernen muss.

Investment in Windkraftnutzung lohnt erst nach zehn Jahren

Es wird also auf vielen Feldern an der Rückkehr zu Segelschiffen gearbeitet. Einziges Problem: Man steckt bei den Entwicklungen meist noch in der Pilotphase. „Es gibt noch keinen signifikanten Markt für die Windkraftnutzung auf dem Meer“, sagt Skysails-Chef Wrage. „Zwar registrieren wir seit ein paar Monaten eine starke Zunahme der Anfragen aus der Schifffahrtsindustrie, doch deren Erwartungen an Rendite und Amortisation sind noch unrealistisch.“

So würden Reeder verlangen, dass sich ihr Investment innerhalb von fünf Jahren auszahle. Ein Windpark amortisiere sich trotz finanzieller Förderung und Einspeisevergütung erst nach zehn bis zwölf Jahren, so Wrage. „Da haben Reeder falsche Zeitvorstellungen.“