Hamburg. Airbus will mehr Flugzeuge bauen, davon profitieren die Zulieferer. Doch das Geschäft mit dem Konzern hat auch Schattenseiten.

Die Auftragsbücher sind voll, die Fertigung ist auf Jahre ausgelastet, die Produktionsraten werden hochgefahren: Die Weichen bei Airbus stehen wieder auf Wachstum. Dennoch wählte Guillaume Faury Anfang Mai deutliche Worte. „Wir blicken nach wie vor auf ein widriges Geschäftsumfeld“, sagte der Vorstandschef, als er einen Gewinneinbruch im ersten Quartal vermeldete: „Insbesondere die Lage der Lieferkette bleibt weiterhin angespannt.“

Mit der Aussage muss man automatisch in Richtung des Werks auf Finkenwerder blicken. Hamburg ist das Kompetenzzentrum beim Bau der A320-Familie, die der Verkaufsschlager des Konzerns ist. Mehr als drei Viertel aller ausgelieferten Maschinen gehören zu der Flugzeugreihe. Etwa jede zweite davon wird an der Elbe endmontiert. In diesem Jahr sollen konzernweit rund 50 Maschinen pro Monat gefertigt werden. Ende 2024 sollen es 65 sein, zwei Jahre später sogar 75. Gibt es mit dem Ratenhochlauf in der Hansestadt Probleme?

Airbus: Hamburgs Luftfahrt-Zulieferer kämpfen mit Problemen

Der Flugzeugbauer will sich dazu nicht konkret äußern. „Auf den Standort Hamburg heruntergebrochene Aussagen wollen wir nicht machen“, sagt Sprecher Daniel Werdung auf Anfrage. Die Hansestadt sei aber wie alle Airbus-Standorte von den Schwierigkeiten in der Zulieferkette betroffen, die voraussichtlich bis Ende 2024 anhalten dürften.

Da überrascht es nicht, dass auch die hier angesiedelten vorgelagerten Unternehmen mit den Gegebenheiten hadern. „Die Hamburger Zulieferer kämpfen mit mehreren Problemen. Dazu gehören allgemeine wirtschaftliche Faktoren wie demografischer Wandel, Ukraine-Krieg und das Sterben von Unternehmen nach Corona, weil sie Schwierigkeiten haben, Kredite zurückzuzahlen – und zum Beispiel als Vorlieferanten wegfallen“, sagt Nils Stoll im Gespräch mit unserer Redaktion.

Auftraggeber bezahlt Zulieferer oft erst nach Monaten

Der Geschäftsführer des Barsbüttler Unternehmens Krüger Aviation kennt die Nöte. Denn neben seinem Hauptberuf ist er Erster Vorsitzender von Hanse-Aerospace, dem nach eigenen Angaben größten unabhängigen Verein von Zulieferern und Dienstleistern der Luft- und Raumfahrtindustrie. Bei den rund 120 Mitgliedsunternehmen sind etwa 14.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Jahresumsatz in der Branche wird mit etwa zwei Milliarden Euro angegeben.

Zudem gibt es branchenspezifische Probleme – vor allem die Liquidität. „In der Branche gibt es Zahlungsziele von 120 Tagen und mehr“, sagt Stoll. Kleine und mittelständische Unternehmen müssten die von ihnen bei Konzernen wie zum Beispiel Mitsubishi oder Evonik eingekauften Materialien aber innerhalb von 30 Tagen zahlen. Das treibe die Vorfinanzierungen in die Höhe. Und Kredite sind infolge des Zinsanstiegs bekanntlich deutlich teurer geworden.

Zulieferer: „Einfach mal so Preise bei Airbus erhöhen, ist nicht machbar“

Zusätzlich belastet die Inflation. „Wegen der stark gestiegenen Preise für Strom und Materialien ist die Kostenstruktur eine große Herausforderung für alle“, sagt Stoll. Häufig müssten Unternehmen eine Preisbindung über fünf Jahre eingehen. „Einfach mal so Preise bei Airbus zu erhöhen, ist nicht machbar“, sagt Stoll und ergänzt, dass er dafür auch Verständnis habe.

Nils Stoll ist Geschäftsführer von Krüger Aviation und Erster Vorsitzender des Zuliefererverbandes Hanse-Aerospace.
Nils Stoll ist Geschäftsführer von Krüger Aviation und Erster Vorsitzender des Zuliefererverbandes Hanse-Aerospace. © Andreas Laible

Der Hintergrund sind die dicken Airbus-Auftragsbücher. Wenn Fluggesellschaften heute einen A320 bestellen, dürften sie das zumeist auf der Kurz- und Mittelstrecke eingesetzte Flugzeug wohl erst gegen Ende dieses Jahrzehnts erhalten. Bis dahin sind alle Bauplätze belegt. Der Verkaufspreis steht hingegen weitgehend fest. Airbus müsse sehr viel vorfinanzieren, bis der Konzern das Geld für das Flugzeug bekomme. „Entsprechend nehmen sie die Lieferanten mit in die Verantwortung“, sagt Stoll. Bei den großen Zulieferern – den sogenannten Tier-1-Suppliern, die direkt an den Flugzeugbauer liefern – sei das schon immer so gewesen. Nun schlage es aber auch auf die kleineren durch.

Hamburger Zulieferer Diehl spürt die Probleme in der Lieferkette

Zu den Tier-1-Zulieferern gehören Unternehmen wie Safran, Collins – und Diehl Aviation. Die Tochter des Nürnberger Konzerns liefert mit rund 600 Mitarbeitern in Hamburg in erster Linie komplette Bordtoiletten in unterschiedlichen Ausstattungen an Airbus. Dort werden die Module vor allem in die A320-Familie, aber auch in den Langstreckenjet A330 eingebaut.

„Als Tier-1-Zulieferer spüren wir die problematischen Lieferketten ebenfalls deutlich“, sagt Unternehmenssprecher Guido van Geenen. Materialengpässe gebe es in der Luftfahrtindustrie schon seit geraumer Zeit, und auch die eigenen Lieferanten seien von Schwierigkeiten in der Beschaffung betroffen.

Das Unternehmen kämpfte in den vergangenen Jahren mit großen Problemen und baute in Hamburg Hunderte Jobs ab. „Das Hochfahren der Produktion durch unseren Kunden Airbus ist für uns daher in aller erster Linie sehr positiv“, sagt van Geenen.

Das sieht Stoll als Unternehmenschef von Krüger Aviation grundsätzlich auch so. Er erlebe Airbus als fairen, sehr mittelstandsgerechten Verhandlungspartner. „Wir kriegen klare und verlässliche Ansagen, was von uns an Materialien wann gewünscht wird und gute Unterstützung vom Konzern“, sagt er.

Zulieferer-Verband: „Bei vielen ist Unzufriedenheit spürbar“

Die Barsbüttler Firma gewann in der Krise Aufträge, legte 2022 ein Rekordjahr hin und ist sowohl Tier-1- als auch Tier-2-Zulieferer. Gleitstücke aus Kunststoff, die für Landeklappen und Notrutschen benötigt werden, sowie Rohmaterialien liefert das Unternehmen direkt an Airbus. Die Spiegel für Wascheinheiten, bei denen man Weltmarktführer in der Flugzeugbranche ist, werden an Diehl geliefert, dort eingebaut und dann als fertiges Modul an Airbus geliefert.

Doch einige Mitgliedsunternehmen von Hanse-Aerospace haben eine andere Meinung. „Die Gefühlslage bei den Hamburger Zulieferern ist gespalten“, sagt Stoll. „Bei vielen Mitgliedern ist eine gewisse Unzufriedenheit spürbar, weil sich der Ratenhochlauf nicht so schnell vollzieht wie einst angekündigt.“ Airbus hatte die Rate 65 eigentlich schon in diesem Sommer erreichen wollen, im vergangenen Juli aber den Zeitplan nach hinten geschoben. Danach folgten weitere Verschiebungen.

Airbus-Zulieferer besorgt: Wann fährt der Konzern die Produktion hoch?

„Zwar gehen alle davon aus, dass Airbus mit seinen Plänen ernst macht“, sagt Stoll: „Aber seitdem herrscht eine große Verunsicherung in der Zulieferbranche: Kommt der Ratenhochlauf? Kriegen wir ihn alle zusammen hin? Wann kommt er? Und kommt er wirklich in diesem Umfang?“ Alle Zulieferer kämpften derzeit damit, dass Bestellungen später als geplant abgenommen werden. Bisher produziere man daher noch nicht wirklich mehr, aber man stehe dafür in den Startlöchern.

Die Produktionsausweitung wird allerdings durch ein hartes Feilschen um Arbeitskräfte erschwert. Mitarbeiter würden abgeworben, indem Gehälter überboten und mit Vier-Tage-Woche und viel Freizeit geworben werde. „Das ist zum Teil ein harter, schmutziger Wettbewerb“, sagt Stoll: „Es wird fernab von Vernunft um Mitarbeiter geworben.“