Hamburg. Das Geschäft “Unverpackte Insel“ ist ein Herzensprojekt. Doch die Zahlen sehen schlecht aus. Auch andere Händler sind in Sorge.
Das kleine Ladengeschäft liegt ein bisschen versteckt am Ende der Veringstraße. Wer von Norden kommt, fährt vorbei an türkischen Supermärkten, Handyshops, Kebab-Imbissen, einem Eisenwarenhändler und einem Wollladen. „Unverpackte Insel“ steht über dem Schaufenster von Hausnummer 153. Drinnen steht Josefina Beeger hinter einem Verkaufstresen aus weißem Holz. An der Wand hängen mehrere Dutzend Spender mit Nudeln, Mehl, Müsli und Nüssen. In Regalen reihen sich Ketchup, Nuss-Nougat-Creme, Apfelsaft, auch Gin und Wodka aneinander – in Bioqualität, möglichst regional und in Pfandbehältern. Es gibt auch eine Auswahl an Drogerieartikeln, Haushaltswaren und Geschenken. Alles ohne Verpackungsmüll.
Im Oktober 2021 hat die Hamburgerin ihren Unverpackt-Laden in Wilhelmsburg eröffnet. Ein Herzensprojekt. „Es gibt hier auf der Insel sonst keine Möglichkeit, Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs unverpackt einzukaufen. Es existiert nicht mal ein Biomarkt“, sagt sie. Trotzdem ist nicht sicher, wie lange es die „Unverpackte Insel“ noch geben wird.
Unverpackt-Läden in Gefahr: Viele Menschen versuchen derzeit zu sparen
„Nach einem guten Start sind die Umsätze im vergangenen Jahr eingebrochen“, sagt Josefina Beeger. Das habe vor allem mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, der das Käuferverhalten stark verändert hat. „Die Menschen gucken mehr aufs Geld.“ Dazu macht ihr eine langfristige Baustelle vor dem Haus zu schaffen.
Im Schnitt kommen 15 Kunden am Tag in den Unverpackt-Laden. Wenn es schlecht läuft, die Hälfte. „Das reicht nicht, um den Laden auf die Dauer zu betreiben“, sagt die 45-Jährige mit paraguayischen Wurzeln, die 2017 mit ihrer Familie aus Altona nach Wilhelmsburg gezogen war. Es ist ein Hilferuf, um das Ruder noch herumzureißen.
Das Pionier-Geschäft Stückgut meldete Insolvenz an
Die Branche wurde hart von der Corona-Pandemie, dann von Inflation und Kostensteigerungen getroffen. Deutschlandweit schlagen Unverpackt-Händler Alarm, weil Käufer wegbleiben und Finanzierungen wackeln. Bekanntester Fall in Hamburg ist Stückgut. Nach einer monatelangen Hängepartie musste das Unternehmen, das 2017 als eines der ersten in der Hansestadt mit einem Null-Abfall-Konzept gestartet war, im Juli 2022 Insolvenz anmelden. Die Filiale in Ottensen ist seit Oktober geschlossen, den Standort in der Rindermarkthalle auf St. Pauli hat Konkurrent Muttels übernommen.
Inzwischen zeigt sich: Das Ladensterben geht weiter. Nachdem Anfang des vergangenen Jahres schon Unverpackt-Läden in Niendorf und Bramfeld dichtgemacht hatten, stand Ende November Loko-unverpackt in Eppendorf vor dem Aus. Auch die Gründer von Unverpackt Süderelbe, die mit einem Verkaufswagen auf Wochenmärkten in Wilhelmsburg, Harburg und Neugraben unterwegs waren, haben aufgegeben.
Twelve Monkeys auf St. Pauli schließt Ende März
Nur noch bis Monatsende gibt es Twelve Monkeys. Das Geschäft auf St. Pauli nahe der Davidwache hatte zuletzt vor allem auf vegane Lebensmittel gesetzt, trotzdem reichte es nicht. Nach sieben Jahren schließt Inhaberin Sandra Neumeier für immer. Der Räumungsverkauf mit Rabatten von 20 Prozent läuft. „Es sind wirtschaftliche Gründe, aber auch gesundheitliche“, sagt die 32-Jährige, die zuletzt vier Jobs hatte, um sich und ihr Geschäft über die Runden zu bringen.
Auch für die Wilhelmsburger Unverpackt-Händlerin Josefina Beeger ist der Laden mehr als ein Arbeitsplatz. Nach ihrem Umzug hatte sie zunächst mit anderen ehrenamtlich eine Food-Kooperative aufgebaut, um auf der Elbinsel an unverpackte Biolebensmittel zu kommen. „Das wurde sehr gut angenommen. Und daraus ist die Idee entstanden, einen eigenen Laden zu eröffnen“, sagt Beeger, die Betriebswirtschaft studiert, eine kaufmännische Ausbildung absolviert und danach lange als Buchhalterin gearbeitet hat.
Bundesweit hat fast jeder fünfte Unverpackt-Händler aufgegeben
Mit viel Engagement und Idealismus hat die Mutter von zwei Kindern ihr Geschäft aufgebaut. Dabei immer die Zahlen im Blick gehabt, wie sie betont. Klein, aber fein. Gerade mal 35 Quadratmeter misst die Verkaufsfläche. Auch nach eineinhalb Jahren macht sie fast alles allein. Trotzdem sagt die Unverpackt-Händlerin: „Ich schaffe es gerade so, kostendeckend zu arbeiten. Aber es bleibt am Monatsende nichts übrig.“„Es sind bundesweit die gleichen Probleme“, sagt Insa Dehne.
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Die Betriebswirtin gehörte zum Gründungsteam des Unverpackt-Pioniers Stückgut und ist mit der Übernahme zum neuen Eigentümer Muttels gewechselt. „Die Kunden sind verunsichert und sehr preissensibel. Gekauft wird weniger im Fachhandel, sondern eher im Supermarkt oder Discounter“, so Dehne, die bis Ende Februar im Vorstand des Bundesverbands Unverpackt war. „Wir beobachten, dass weiterhin Läden vor dem Aus stehen. Auch alteingesessene.“ Allein 2022 sank die Zahl der Unverpackt-Händler hierzulande nach Angaben des Verbands von 337 auf 286 – ein Schwund von 15 Prozent. Für die sogenannte Zero-Waste-Bewegung ist das ein schwerer Schlag. Trotzdem wollen viele Inhaber sich nicht geschlagen geben und kämpfen weiter.
Rabatte über neuen Kundenclub bei Ohne Gedöns
„Von Entspannung kann keine Rede sein“, sagt Maren Schöning, die mit einer Geschäftspartnerin den Unverpackt-Laden Ohne Gedöns in Volksdorf führt. Um Kunden zurückzuholen, haben die beiden Inhaberinnen in den vergangenen Monaten einiges verändert. Unter anderem sind zusätzlich Brot und Backwaren im Angebot, auch das Non-Food-Sortiment wurde erweitert und der Gastrobereich ausgebaut. „Außerdem haben wir einen Kundenclub eingeführt“, sagt Schöning. Das Prinzip: Die Mitglieder zahlen einen Monatsbeitrag zwischen 10 und 40 Euro und bekommen dafür gestaffelte Rabatte von fünf bis 15 Prozent auf ihre Einkäufe.
„Wir merken, dass Menschen ganz langsam zurückkommen“, macht sich die Händlerin selbst Mut. Viele fänden das Konzept des Unverpackt-Einkaufs wichtig, aber es gehe natürlich immer auch ums Geld. Genau in dem Punkt gibt es aus ihrer Sicht falsche Vorstellungen. „Alle reden von Preissteigerungen. Aber anders als im konventionellen Lebensmittelhandel haben wir die Preise im Biobereich nicht oder kaum erhöht“, betont Maren Schöning. Einfach aufgeben ist für die Mutter von drei Kindern keine Option. „Wir finden das Konzept wichtig. Es geht schließlich um Umwelt und Klimaschutz, um unser aller Zukunft.“ Auch deshalb haben die Gründerinnen sich einiges vorgenommen, um den Laden zu erhalten. Unter anderem soll ein Onlineshop aufgebaut werden. Ob es reicht, muss sich in den nächsten Monaten zeigen. Als Frist haben sie sich den Herbst gesetzt.
Bergedorfer Unverpacktladen findet einen Investor
„Schwierig, aber nicht aussichtslos“, beschreibt der Bergedorfer Unverpackt-Händler Florian Giese die Lage. Seine Rettung: Er konnte einen neuen Gesellschafter ins Boot holen. Als die Geschäfte immer schlechter liefen, hatte er seinem Laden Onkel Emma einen rigorosen Sparkurs verordnet. Eine Dependance in einem Reformhaus ist seit Ende 2021 dicht, nach und nach hat er alle sechs Mitarbeiter entlassen. Seit Ende 2022 betreibt er Onkel Emma allein. „Man muss sich den Gegebenheiten anpassen“, sagt er.
Das sieht auch Victoria Seidel so. Die Hamburgerin steht mit ihrem Ehemann Guy hinter dem Unternehmen Seesource, das unter dem Markennamen Muttels zwei Unverpackt-Läden auf der Uhlenhorst und in Winterhude betreibt. Im Oktober 2022 übernahmen die Seidels zudem die Stückgut-Filiale in der Rindermarkthalle samt zwölf Beschäftigten aus der Insolvenz. „Es geht jetzt Stück für Stück nach oben“, sagt Victoria Seidel.
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Einige Veränderungen sind bereits umgesetzt, unter anderem wurde das Sortiment erweitert. Als Nächstes ist ein Umbau und die Eröffnung eines Gastrobereichs mit Frühstück, Mittagstisch und Kuchenangebot in der Rindermarkthalle geplant. Zudem sollen eigene Feinkostprodukte angeboten werden: Nussmus, Müslis, Gewürzmischungen. Seidel setzt auf Wachstum. „Wenn es so weitergeht, kommen wir 2023 gut über die Runden“, sagt die Unternehmerin, die inzwischen 35 Mitarbeiter an ihren drei Standorten beschäftigt.
Genossenschaft soll Simple Unverpackt retten
Einen ganz anderen Weg schlägt Simple Unverpackt in Elmshorn ein. Der Händler macht als Genossenschaft weiter. Mit einer groß angelegten Öffentlichkeitskampagne hat ein Team um den bisherigen Geschäftsführer Jannes Meyer binnen sechs Wochen mehr als 600 Genossenschaftsanteile unter die Leute gebracht – ein Anteil kostet 70 Euro. „Ich bin sehr glücklich, dass es so schnell ging. Das Wichtigste ist, dass das Projekt Unverpackt Einkaufen in Elmshorn weitergeht“, sagt Meyer.
Dabei können die Mitglieder sich künftig nicht nur finanziell, sondern auch beim Betrieb des Unverpackt-Handels engagieren. Inzwischen ist die Genossenschaft offiziell gegründet worden. Der Laden, in dem aktuell nur mittwochs und sonnabends verkauft wird, soll ab April wieder an mindestens vier Wochentagen geöffnet sein.
Josefina Beeger hofft in Zukunft auf junge Familie und Studierende
Wie es in Wilhelmsburg weitergeht, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. „Mein Mietvertrag läuft bis nächstes Jahr“, sagt Josefina Beeger. Noch hat sie die Hoffnung auf eine Kehrtwende nicht aufgegeben. „Wilhelmsburg ist im Wandel. Es ziehen immer mehr junge Familien und Studenten auf die Insel, weil man hier günstiger wohnen kann. Für die ist mein Angebot wichtig.“ Aber klar ist auch: „Wenn nicht mehr Kunden kommen, muss ich den Laden schließen. Ich muss Geld verdienen.“