Hamburg. Die Stückgut-Läden in Ottensen und auf St. Pauli sind vorerst weiterhin geöffnet. Die Krise trifft auch andere Unverpackt-Pioniere.
Dass sie um ihre Existenz fürchten, hatten sie schon Ende Mai öffentlich gemacht. „Es kommen zu wenig Kunden. Wenn das so weitergeht, können wir maximal noch zwei Monate durchhalten“, sagten die Stückgut-Geschäftsführerinnen Insa Dehne und Sonja Schelbach dem Abendblatt. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Umsätze in den beiden Unverpackt-Läden in Ottensen und auf St. Pauli mehr als halbiert.
Damals waren die Händlerinnen noch voller Hoffnung, die Kehrtwende mit einem Sparprogramm und neuen Angeboten zu schaffen. Einen Monat später starteten sie mit einem dramatischen Appell einen weiteren Rettungsversuch für ihr Unternehmen in Not: „Bitte komm zu uns Einkaufen. Allein geht uns die Puste aus“, schrieben die Stückgut-Chefinnen in ihrem Newsletter. Jetzt ist klar: Es hat nicht gereicht. Stückgut ist überschuldet und hat Insolvenz angemeldet.
Einzelhandel Hamburg: Unverpackt-Laden Stückgut ist insolvent
Wie erst jetzt bekannt wurde, hat das Amtsgericht Hamburg die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Anfang Juli angeordnet. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt Joachim Büttner von der Kanzlei BRRS Rechtsanwälte in Bahrenfeld bestellt. Betroffen sind 20 Beschäftigte, deren Bezüge zunächst über das Insolvenzgeld abgedeckt sind.
Der Geschäftsbetrieb in beiden Ladengeschäften soll vorerst weiter laufen. „Es wäre schön, wenn die Läden dauerhaft fortgeführt werden könnten, da die Idee des Einkaufs möglichst unverpackter Ware des täglichen Bedarfs zutreffend und zukunftsweisend ist“, sagt Insolvenzverwalter Büttner auf Anfrage. Aktuell würden die Möglichkeiten einer Sanierung geprüft, einschließlich einer übertragenden Sanierung. Büttner: „Gespräche mit Übernahmeinteressenten haben begonnen.“
Co-Chef der Grünen-Bürgerschaftsfraktion ist Gesellschafter
Nudeln, Mehl oder Müsli aus großen Spendern, Joghurt im Pfandglas und Seife ohne Verpackung: Stückgut war 2016 als erster reiner Unverpackt-Laden in Hamburg gegründet worden. Zum Gesellschafterkreis gehören neben den beiden Geschäftsführerinnen der Unternehmer und Grünen-Politiker Dominik Lorenzen, der seit zwei Jahren auch Co-Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion seiner Partei ist, und Christiane Bors, die das erste vegane Bed&Breakfast namens Green Haven in Hamburg gegründet hatte.
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Angefangen hatte Stückgut in einer Seitenstraße der Ottenser Hauptstraße in einem Mini-Laden mit 50 Quadratmetern und 250 Produkten. 2018 war die deutlich größere Filiale in der Rindermarkthalle dazugekommen. In besten Zeiten arbeiteten 30 Männer und Frauen für das Unternehmen. Erst im vergangenen Jahr war Stückgut in Ottensen auf eine deutlich größere Ladenfläche mit einem Sortiment von mehr als 1000 Produkten gezogen. Nach eigenen Angaben wurden seit der Gründung 1,3 Millionen Verpackungen eingespart.
500.000 Euro Umsatzrückgang im Vergleich zu 2019
Bis Corona kam, liefen die Geschäfte parallel zu einem steigenden Umweltbewusstsein jedes Jahr besser. Dann der Schock: Die Kunden kamen nicht mehr, obwohl Stückgut nicht von den Schließungen während des Lockdowns betroffen war. Und vor allem kehrten die Kunden nicht zurück, als die Situation sich im vergangenen Jahr langsam entspannte.
Die Pandemie, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und die steigenden Preise haben die Konsumgewohnheiten der Menschen verändert. Der stationäre Einzelhandel, vor allem kleinere Fachgeschäfte, stecken tief in der Krise. Auf eine halbe Million Euro hatte Stückgut die Umsatzrückgänge 2021 im Vergleich zu 2019 beziffert, mit Verlusten im niedrigen sechsstelligen Bereich. Zuletzt war die finanzielle Schieflage so dramatisch, dass nur noch die Insolvenz blieb.
20 Mitarbeiter von Stückgut bangen um Jobs
„Es gibt so viele Unsicherheiten, wie es wirtschaftlich weitergeht und es ist nicht absehbar, dass sich die Lage bessert“, sagt Stückgut-Geschäftsführerin Insa Dehne. Die Anmeldung der Insolvenz sei „ein schmerzhafter Schritt“. Vor allem für die Mitarbeiter sei die Situation extrem belastend. „Das sind existenzielle Sorgen. Sie wissen nicht, wie und ob es weitergeht.“
Auch Berliner Unverpackt-Pionier insolvent
Die Krise trifft nicht nur die Hamburger Unverpackt-Pioniere. Deutschlandweit stünden Läden vor dem Aus, sagt Dehne, die im Vorstand des Unverpackt Verbandes mit 350 Mitgliedern sitzt. In Berlin hat Ende Juni Original Unverpackt, auch ein Vorreiter der Zero-Waste-Bewegung, Insolvenzantrag gestellt.
In Hamburg haben Händler in Bramfeld und Niendorf ihre Geschäfte geschlossen. Andere wie die Mitgründerin von Ohne Gedöns in Volksdorf, Maren Schöning, beklagen massive Umsatzrückgänge. „Mehrere Läden anzusteuern, das haben sich viele abgewöhnt“, sagt Schöning. Ganz ähnlich war die Situation in Frühjahr und Frühsommer in Norderstedt. Dort hat der erste Unverpackt-Laden der Stadt Die Waagschale im Juni einen Hilferuf an die Kunden gestartet. Bis Herbst haben sich die Gründerinnen als Frist gesetzt, um zu entscheiden, wie es weitergeht.
Stückgut-Chefinnen hoffen auf Fortführung
Die Stückgut-Chefinnen Insa Dehne und Sonja Schelbach hoffen jetzt auf eine Lösung für ihren Unverpackt-Handel, den sie mit viel Herzblut und Engagement aufgebaut haben. „Es besteht der Wille zur Fortführung. Aber es muss umstrukturiert werden, und dafür fehlt uns das Kapital“, sagt Betriebswirtin Dehne nach zwei Jahren im Dauerkrisen-Modus. Gesucht wird ein Investor.
Ob sie und ihre Geschäftspartnerin auch weiterhin dabei wären, lässt die 39-Jährige offen. Die Kunden in Ottensen bekommen gerade schon einen Eindruck, wie das Einkaufen ohne Unverpackt-Laden ist. Die Filiale an der Friedensallee ist bis Ende Juli geschlossen. „Eine ganz normale Sommerpause“, betont Insa Dehne. „Das hat nichts mit der Insolvenz zu tun, sondern war lange geplant.“