Hamburg. Nach neuer Schätzung kostet Projekt fünf Milliarden Euro. Bund hält sich bei Finanzierung bedeckt. Doch die Zeit wird knapp.
Es ist ein Mammutprojekt und für den Wirtschaftsverkehr in Hamburg unverzichtbar. Ebenso für den Hafen, der ohne verlässliche Hinterlandanbindung im europäischen Wettbewerb weiter an Boden verlieren würde. Die Rede ist von einer neuen Köhlbrandquerung.
Wie berichtet muss eine Ersatzlösung gefunden werden, weil die 1974 eröffnete Köhlbrandbrücke immer baufälliger wird. In sieben Jahren dürfte ein kritischer Schwellenwert überschritten werden, ab dem die Brücke nur noch mit sehr hohem Aufwand und Verkehrseinschränkungen nutzbar wäre.
Deshalb haben sich Hamburg und der Bund auf den Bau eines großen Köhlbrandtunnels geeinigt, der die alte Brücke ersetzen soll. Er wäre länger haltbar und seine Betriebskosten wären geringer, weil das Bauwerk unter der Erde nicht der Witterung ausgesetzt wäre.
Köhlbrandtunnel: Experten schätzen Kosten auf mehr als fünf Milliarden Euro
Doch mit der Konkretisierung der Planung steigen bei den Verantwortlichen offenbar selbst die Zweifel, ob und wie dieses gewaltige Projekt gestemmt werden kann. Trotz des Wettlaufs gegen die Zeit befindet sich das Projekt immer noch in der Vorplanung.
Hamburgs neue Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) hat jetzt ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem die Verlässlichkeit und Nachvollziehbarkeit der bisherigen Planungen überprüft werden sollen. „Gegenwärtig befindet sich das Vorhaben noch in der Phase der Vorplanungen“, sagt Behördensprecher Martin Helfrich auf Anfrage des Abendblatts. „Dabei geht es auch darum, Ergebnisse bisheriger Planungen zu validieren.“ Zu diesem Zweck habe die Senatorin ein Gutachten „zur Plausibilisierung bisheriger Planungen“ veranlasst. Dessen Ergebnis stehe aus.
Bisher hatte man mit 3,2 Milliarden Euro gerechnet
Ein Problem könnten die Kosten werden. Nach Informationen des Abendblatts gehen interne Berechnungen der für den Tunnelbau zuständigen Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) davon aus, dass das Bauwerk mehr als fünf Milliarden Euro verschlingen könnte. Bisher hatte man mit 3,2 Milliarden Euro gerechnet.
Die Wirtschaftsbehörde will die neue Zahl nicht bestätigen, schließt sie aber auch nicht aus: „Eine seriöse Einschätzung dazu ist derzeit noch gar nicht möglich, weil zunächst das Bauprogramm zu definieren ist: Erst, wenn feststeht, was genau gebaut wird, kann eine verlässliche Zeit- und Kostenplanung aufgestellt werden“, sagt Helfrich.
Köhlbrandtunnel: Wirtschaftssenatorin lässt Pläne überprüfen
Eine Planung der HPA aus dem November, die dem Abendblatt vorliegt, zeigt welch großer Aufwand hinter dem Projekt Köhlbrandtunnel steckt. Zunächst einmal handelt es sich nicht nur um einen Tunnel, der gegraben werden müsste, sondern überraschenderweise um drei. Neben dem eigentlichen Bohrtunnel unter dem Köhlbrand mit zwei Röhren auf einer Länge von 1748 Metern, bedarf es wegen der Zufahrten bei den engen Hafenflächen zwei weiterer Tunnel: einem auf der Westseite mit 309 Metern Länge und einem im Osten mit 350 Metern.
Dazu kämen vier offene Trogbauwerke mit einer Gesamtlänge von mehr als 600 Metern. Auch zehn Brücken, von denen die längste – über die Gleise der Hafenbahn – 637 Meter misst, sowie 18 weitere Bauwerke wie Schiffsanprallschutzanlagen wären notwendig. Das Projekt müsste unter anspruchsvollsten Bedingungen realisiert werden, denn neben dem Köhlbrand selbst sind eine Reihe weiterer Wasserflächen zu queren wie Roßhafen, Roßkanal, Travehafen und Rugenberger Hafen. Insgesamt umfasst der Köhlbrandtunnel damit 25 größere und kleinere Bauwerke.
Köhlbrandtunnel: Bauuntergrund schwammig und feucht
Als zusätzliches Problem hat sich nach den bisherigen Untersuchungen herausgestellt, dass der Untergrund der Trasse nicht so tragfähig ist wie erhofft. Er ist schwammiger und feuchter. Der mögliche Grund: eine Trinkwasserblase. Deshalb soll zunächst anhand von Probebelastungen die Tragfähigkeit von Gründungspfählen geprüft werden. Dazu sollen testweise Pfähle auf hierfür vorgesehenen Probefeldern eingebracht werden. Die Vorbereitungen laufen dafür bereits.
Nach Abschluss der Untersuchungen müssen die Probepfähle dann wieder ausgegraben werden. An anderer Stelle – vor allem entlang des Rosskanals – sind zudem noch Kampfmitteluntersuchungen und -räumungen durch Taucher vorgesehen. Auch damit will man in diesem Jahr starten.
Völlig offen ist hingegen, welchen Kostenanteil der Bund an dem spektakulären Bauprojekt übernimmt. „Aussagen, ob und in welcher Höhe Zuwendungen gewährt werden können, sind aufgrund des frühen Planungsstandes derzeit noch nicht möglich“, sagte eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums. Hamburg habe angekündigt, Entwurfsplanungen vorzulegen. Diese seien die Voraussetzung für eine „parlamentarische Befassung“, heißt es. „Sobald aktuelle Projektkosten vorliegen, wird das Ministerium die Parlamentsbeteiligung auf den Weg bringen“, so die Sprecherin. Der Grundsatz des Bundes: „Hamburg ist als Baulastträger zuständig. Das Bundesverkehrsministerium begleitet den Prozess konstruktiv.“
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Köhlbrandbrücke: 2034 muss der Neubau fertig sein
Könnte das ganze Projekt sogar noch gestoppt und stattdessen eine neue Köhlbrandbrücke gebaut werden? Die wäre immerhin nur halb so teuer. Malte Siegert vom Naturschutzbund (Nabu) Hamburg glaubt nicht daran. „Eine Umplanung ist faktisch kaum möglich, weil sich die Ausführungsplanung auf den Tunnel bezieht und eine Brückenplanung mindestens weitere drei Jahre in Anspruch nehmen würde“, sagt er. Auch er geht davon aus, dass der neue Köhlbrandtunnel deutlich teurer wird. Eine Alternative dazu sieht der Umweltschützer aber nicht.
Die Planungen müssen nun zügig vorangetrieben werden. Denn die Zeit drängt. Vom Jahr 2030 an rechnet die HPA mit deutlichen Verkehrseinschränkungen auf der maroden Köhlbrandbrücke. Zudem können bereits heute viele Schiffe, die den Hamburger Hafen anlaufen, nicht mehr am Containerterminal Altenwerder anlegen.
Dieser ist zwar der modernste und klimafreundlichste Umschlagplatz in Hamburg, doch Altenwerder liegt hinter der Köhlbrandbrücke, und die modernen Schiffe sind zu hoch, um unter ihr durchzufahren. Die Reederei Hapag-Lloyd, guter Kunde von Altenwerder, muss bereits umplanen. Ihre neuen Schiffe werden alle andere Terminals anfahren.