Hamburg. An der Bundeswehr-Uni entwickelt, demnächst vielleicht auch in Hamburg: ein System, das private Drohnen abschießt und einfängt.
Manche bangen Blicke gehen an diesem Vormittag im Gebäude der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) aus dem Fenster. Der Himmel ist wolkengrau verhangen, Nieselregen ist zu sehen, immer mal wieder biegen sich die Bäume im Wind. Böen bis zu 50 Kilometer pro Stunde sagen Wetter-Apps voraus. Das wäre für den geplanten Demonstrationsflug des Drohnenabfangprojekts Falke eigentlich zu viel.
Ende September 2021 musste schon einmal eine geplante Vorführung ausfallen. Am Hamburger Flughafen wehten damals Winde mit Böen von 60 Kilometer pro Stunde. Da legte die Deutsche Flugsicherung (DFS) ihr Veto ein. Schließlich sollte parallel dazu der Flugbetrieb am Helmut-Schmidt-Airport weiterlaufen. Doch auf dem Gelände der Bundeswehruniversität in Jenfeld ist Versuchsleiter Ralf Heynicke am Dienstag gelassen. Er schaut raus und sagt: „Wir fliegen.“
Flughafen Hamburg: Nur Bundespolizisten dürfen den Abschuss von Drohnen veranlassen
Dann setzt er sich an seinen Rechner und begeht „Amtsmissbrauch“. Der HSU-Wissenschaftler schlüpft für den Versuch in die Rolle von Bundespolizisten – denn in der Realität dürfen nur diese den Abschuss einer Drohne veranlassen. Auf dem Bildschirm wird ihm angezeigt, dass die draußen über dem nahe gelegenen Sportplatz aufgestiegene Drohne als gefährlich eingestuft wird. Die Entwicklung so eines softwaregesteuerten Meldesystems, auf das alle im Entscheidungsprozess beteiligten Parteien zurückgreifen können, ist ein wesentlicher Teil des Falke-Programms.
Der Projektname steht für „Fähigkeit des Abfangens von in gesperrte Lufträume eindringenden Kleinfluggeräten durch zivile Einsatzmittel“. Neben HSU, DFS, Flughafen und Bundespolizei gehören Lufthansa, der IT-Dienstleister Frequentis und der Verteidigungstechnikspezialist Hensoldt zu den Partnern.
Künstliche Intelligenz steuert den Abschuss
„Es soll ein Abfangprogramm durchgeführt werden“, sagt Heynicke mit Blick auf den Bildschirm und gibt dem System den entsprechenden Befehl. Die eingedrungene Drohne ist in 5,50 Meter Höhe aufgestiegen.
Nun hat das System sie erkannt und markiert. Auf dem Bildschirm erscheint ein magentafarbener Rahmen und macht damit das Personal aufmerksam. „Ich aktiviere nun, dass die Drohne verfolgt werden soll“, sagt Heynicke. Die Abfangdrohne fliegt hinterher – und der Wind spielt mit Geschwindigkeiten von knapp 30 km/h auch mit.
Wenn dann am Flughafen die Entscheidung getroffen wurde, dass die Drohne abgefangen werden soll, geht die Drohne aus dem Verfolgungsmodus hinaus. „Ich aktiviere jetzt den Schuss“, sagt Heynicke. Zunächst nähert sich die Falke-Drohne als sogenannte Counter-UAV (Abfangdrohne unbemannter Luftfahrzeuge) dem Eindringling an – und das vollautomatisch. Denn gesteuert wird der Vorgang nun von künstlicher Intelligenz, „Bundespolizist“ Heynicke hat keinen Einfluss mehr auf das Geschehen. Er könnte nur noch einen Abbruch des Abschusses veranlassen.
Nach 0,8 Sekunden ist die Drohne gefangen
Der Eindringling wehrt sich noch und fliegt eine Kurve, aber dann hat Falke ihn fest im Visier und schießt. „Hat er getroffen? Ja, Gott sei Dank“, sagt Heynicke und lacht. 0,8 Sekunden dauerte es vom Abschuss bis die gejagte Drohne ihre Freiheit verlor.
Nun hängt sie – unbeschädigt als Ganzes, aber schwer in den Maschen verhakt – unter der Falke-Drohne im Netz und kann zum Ablageort transportiert werden. Dort wird das Netz ausgeklinkt und die Drohne kann detailliert untersucht werden. Schließlich könnte sie im Ernstfall bei Eindringen auf das Flughafengelände zum Beispiel Sprengstoff an Bord haben, um ein Attentat zu verüben.
Staatssekretär ist „sehr beeindruckt“
„Sehr beeindruckend“, findet Hartmut Höppner die Demonstration. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr ist extra aus Berlin angereist.
Schließlich hat die Behörde in den vergangenen drei Jahren das Projekt Falke mit rund zwei Millionen Euro gefördert. Gesucht wurde ein Gesamtkonzept zur Abwehr von illegal operierenden Drohnen im Bereich von Flughäfen, das als Blaupause für andere Airports überall angewendet werden kann.
152 Drohnen wurden 2022 in Deutschland gesichtet
Im vergangenen Jahr gab es im deutschen Luftraum laut DFS 152 Behinderungen durch Drohnen. 80 Prozent davon spielten sich im Großraum von Flughäfen ab. Am stärksten betroffen war das größte deutsche Drehkreuz in Frankfurt mit 26 Vorfällen, Hamburg folgte mit 17 auf Platz zwei noch vor Berlin (14), München und Leipzig (jeweils 10). Mehr Sichtungen von unbemannten Flugobjekten gab es zuletzt 2018 mit 158.
Drohnen und Flugtaxis würden zu den Technologien gehören, die das Leben nachhaltig verändern und verbessern würden, sagt Höppner und nennt die Anwendungsbereiche Logistik, Landwirtschaft und Katastrophenschutz.
Im medizinischen Bereich gibt es mit „Medifly“ ein weiteres Hamburger Projekt. Dabei werden Schnellschnitte bei Tumoroperationen per Drohne in eine Pathologie gebracht, denn nicht jede Klinik verfügt über diese. Das soll die Operationszeit verringern und für weniger Nachoperationen sorgen, weil schneller klar sein soll, ob der Tumor komplett entfernt wurde.
Offen, ob die Falke-Technik bald eingesetzt wird
„Es ist einerseits gigantisch zu erleben, welche Chancen mit Drohnen einhergehen, und gleichzeitig ist es bitter, dass mit der Nutzung der Chancen von Drohnen auch Chancen des Missbrauchs einhergehen“, sagt Höppner im Gespräch mit unserer Redaktion. „Daher ist es wichtig, dass es Leute gibt, die mit Kreativität und enorm hohen Sachverstand und Kompetenz sich heute schon der Frage widmen, wie können wir unsere Gesellschaft vor Schaden bewahren.“
Ob die Falke-Technik bald an deutschen Flughäfen angewendet werden soll, wolle er allerdings den Experten überlassen. Es sei zunächst einmal wichtig, „dass heute der Beweis der Praktikabilität erbracht wurde und wir wissen: Wir sind da nicht schutzlos“.
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Flughafen Hamburg: Die Abfangdrohne hat einen Durchmesser von 1,40 Meter
Die eingesetzte Drohne ist mit verschiedenen Kameras und Lidar-System ausgestattet und wurde von den HSU-Wissenschaftlern aus Komponenten europäischer Hersteller zusammengebaut – bis auf das Radarsystem aus US-Produktion. In den vergangenen Monaten arbeiteten sie vor allem an der Treffsicherheit. Mittlerweile treffe man eigentlich fast immer, heißt es. Die Abfangdrohne wiegt 25 Kilogramm, hat einen Durchmesser von 1,40 Meter und zwei Netzwerfer an Bord, die nicht mehr wie anfangs auf Sprengstoffbasis, sondern nun auf Druckluft ausgelöst werden. 100 Kilometer pro Stunde kann sie fliegen, eine zehn Kilogramm schwere Angreiferdrohne kann die Abwehrdrohne im Netz unter sich transportieren.
Für die HSU-Wissenschaftler ist der Einsatz von Falke in einigen Monaten an Flughäfen denkbar. „Was jetzt ansteht“, sagt Projektleiter Gerd Scholl, der die Professur für Elektrische Messtechnik innehat, „ist mit der Drohne in die Industrialisierung zu gehen.“ Interesse dafür gibt es.