Hamburg. Nach Frankfurt am Main meldet Hamburg die meisten Drohnensichtungen am Flughafen. Eine Technik, die beides ist: Risiko und Chance.

Auf die jüngste Sichtung vor drei Wochen folgte das übliche Prozedere: Der Hamburger Flughafen sperrte gegen 17.30 Uhr den Luftraum, drei Flugzeuge mussten ein paar unfreiwillige Extrarunden drehen, bevor ihnen eine halbe Stunde später die Landeerlaubnis erteilt wurde. Es war nicht das erste Mal, dass eine winzige Drohne, auch UAS (Unmanned Aircraft System) genannt, den Airport lahmlegte, weil sie dem Flugbetrieb gefährlich nahe kam. Kleine Dinge können, das hat sich am 5. September wieder einmal gezeigt, eine große Wirkung entfalten.

Flughafen Hamburg: Zwischenfälle mit Drohnen kommen wieder vor

Obwohl Drohnen – häufig Quadrocopter mit vier Rotoren und einer Kamera – kaum größer sind als 50 Zentimeter, schrillen bei Piloten die Alarmglocken, sobald sie eine während des Flugs sichten. Denn kracht so ein Gerät in die Maschine, könne das zu „katastrophalen Schäden“ führen, sagt Moritz Bürger, Verkehrspilot und Experte für UAS bei der Piloten-Vereinigung Cockpit. Zwischenfälle mit Drohnen kommen auch am Hamburger Flughafen immer wieder vor. Auf der Jagd nach einem spektakulären Foto vom Start oder der Landung eines Flugzeugs scheinen Hobbyflieger mitunter jede Vorsicht zu vergessen. Sie steuern ihre Geräte in einen Bereich, der „drohnenblind“ ist, weil die meisten dieser Geräte mangels Transponder für das Radar der Flugsicherung unsichtbar sind. Piloten erkennen die UAS deshalb erst bei Sichtkontakt.

Im Umfeld des Hamburger Flughafens registrierte die Deutsche Flugsicherung (DFS) bis Ende August dieses Jahres zehn Drohnensichtungen, wie Sprecherin Kris­tina Kelek dem Abendblatt sagte. Nur in Frankfurt, dem größten deutschen und viertgrößten Flughafen Europas, kamen Drohnen mit 22 gemeldeten Sichtungen den Maschinen noch häufiger nahe. Auf den nächsten Plätzen folgen Berlin mit neun, dann Leipzig, München und Stuttgart mit je sieben Sichtungen. Im gesamten deutschen Luftraum erfasste die DFS dieses Jahr schon 116 Fälle, 82 waren es im gleichen Vorjahreszeitraum. 2021 wurden bundesweit 134 Sichtungen gemeldet – 24 weniger als im Rekordjahr 2018.

Flughafen Hamburg: "Wenn man die Drohne sieht, ist es schon zu spät"

Drohnenüberflüge an Flughäfen – eine Petitesse sei das nicht, sagt Experte Bürger. „Und das müssen Hobbynutzer unbedingt wissen!“ Ihm seien mehrere Fälle bekannt, in denen Drohnen ein Flugzeug im Landeanflug -- noch immer rund 250 km/h schnell -- nur um wenige Meter verfehlten. Solchen Objekten mit der kinetischen Energie eines Geschosses auszuweichen sei unmöglich. „Wenn man die Drohne sieht, ist es schon zu spät“, sagt Bürger. Bei einer Kollision könne etwa eine Cockpit-scheibe bersten. Die Triebwerke seien zwar so konstruiert, dass sie Vogelschlag aushielten. Knochen und Gewebe seien ja auch eher „weich“. Doch bisher wisse niemand, was passiert, wenn eine deutlich robustere Drohne ein Triebwerk rammt; eine Studie dazu sei noch in der Planung.

Moritz Bürger, VEREINIGUNG COCKPIT e.V. (Archivbild).
Moritz Bürger, VEREINIGUNG COCKPIT e.V. (Archivbild). © ROLF-DIETER HITZBLECK

Weil die Rotoren der Geräte teils aus glasfaserverstärktem Kunststoff bestehen und die Akkus ein Explosionsrisiko bergen, gehe die Vereinigung Cockpit davon aus, dass die Kollision mit einem Triebwerk zu einem „katastrophalen Ausfall“ führen könnte. Bisher seien zwar alle Zusammenstöße mit Flugzeugen glimpflich ausgegangen. „Bei Kollisionen mit Helikoptern kam es aber bereits zu Notlandungen und einem Personenschaden“, so Bürger. Dabei besagen die strengen Vorschriften eindeutig, was erlaubt ist und was nicht – zum Beispiel, dass Drohnen einen Mindestabstand von 1,5 Kilometern zu Flughäfen wahren müssen und Menschenansammlungen nicht überfliegen dürfen.

Flughafen Hamburg: Polizei hat es schwer, Drohnenpiloten zu erfassen

Der Drohnenbetrieb ist extrem reglementiert und durch die EU-Verordnung 2019/947 weiter verschärft worden. Wer gegen die Regeln verstößt, riskiert ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro oder – theoretisch – eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren. Im ersten Halbjahr 2022 hat die Hamburger Polizei 50 Ordnungswidrigkeits- oder Strafverfahren eingeleitet, 2021 waren es 111. Meist mussten die Beamten wegen ungenehmigter Aufstiege in Flugverbotszonen einschreiten. Nach Angaben der Luftaufsicht seien seit 2021 aber nur in 17 Fällen Bußgelder in Höhe von bis zu 250 Euro verhängt worden. Längst nicht immer gelingt es, Drohnenpiloten nach illegalen Überflügen zu stellen. Nachdem etwa am 22. Juni 2019 eine mutmaßlich in Neu-Wulmstorf aufgestiegene Drohne in einer Höhe von 900 Metern beinahe mit einer Eurowings-Maschine zusammengestoßen wäre, ermittelte die Hamburger Polizei wegen gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr, startete sogar einen Zeugenaufruf – letztlich vergebens.

Es gibt aber auch eine ganze Legion von Spaßpiloten. Der Verband unbemannte Luftfahrt (VUL) beruft sich auf eine Studie, wonach in Deutschland 385.500 private Drohnen im Einsatz sind. Vor allem im Bereich der kommerziellen Drohnen-nutzung erwartet der VUL rasante Zuwächse. Deren Anteil stieg seit 2019 um 138 Prozent auf mehr als 45.000 Drohnen. Genau hier sieht auch die Bundes­regierung ein gewaltiges Potenzial. Mit einem „Aktionsplan“ will sie den Einsatz von Drohnen als reguläre Verkehrsträger realisieren. Progressive Mobilitätslösungen wie die Warenlieferung per Drohne oder unbemannte Flugtaxis sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Hinzu kommen weitere Anwendungsfelder wie Baustelleninspektion, Trassenbefliegung oder Gewebe- und Medikamententransport. Seit einigen Jahren setzt auch die Hamburger Polizei Drohnen ein, um Übungen, schwere Verkehrsunfälle oder Gewässerverschmutzungen zu dokumentieren.

Flughafen Hamburg: Je mehr private Drohen, desto höher das Missbrauchsrisiko

Die DFS sei nicht gegen Drohnen, sagt Sprecherin Kelek, „sie müssen nur fair und sicher in den Luftverkehr integriert werden“. Daran hat die DFS, zusammen mit ihrer Tochter, der Droniq GmbH, und weiteren Partnern, im Hamburger Hafen gearbeitet. Die Unternehmen hatten dort ein „U-Space Reallabor“ eingerichtet. „U-Space“ steht für ein „abgegrenztes Luftraumelement“, in dem spezielle Regeln für den Drohnenverkehr gelten, sodass Flüge schnell, sicher und ohne langen Genehmigungsaufwand durchgeführt werden können. Der Testlauf sollte vor allem klären, wie ein Zusammenspiel bemannter und unbemannter Luftfahrt aussehen kann. Er wurde Ende 2021 erfolgreich abgeschlossen. Die ersten „U-Spaces“ sollen ab Januar 2023 in Deutschland entstehen.

Doch je mehr (private) Drohnen im Umlauf sind, desto höher das Missbrauchsrisiko. Von Spionage und Voyeurismus in Nachbars Garten, über gezielte Attacken auf Menschengruppen bis hin zu Schmuggeldiensten im Umfeld von Gefängnissen ist bereits vieles möglich und noch mehr denkbar. Was das konkret bedeutet, erlebte die Hamburger Öffentlichkeit Ende April dieses Jahres, als mutmaßlich mehrere Fremddrohnen die Drohnen-Lichtshow zum fünften Geburtstag der Elbphilharmonie derart störten, dass das ganze Spektakel abgeblasen werden musste. „Die Ermittlungen dauern weiterhin an“, sagt Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Flughafen Hamburg: Länder wehren sich gegen die Gefahr aus der Luft

Mehrere Bundesländer wappnen sich bereits aktiv gegen die Gefahr aus der Luft. So teilte am Dienstag das niedersächsische Justizministerium mit, dass es nach einem Pilotversuch mobile Detektionssysteme anschaffen werde, die Alarm schlagen, wenn sich Drohnen einer Justizvollzugsanstalt nähern, um etwa Drogen, Waffen oder Ausbruchswerkzeuge hineinzuschmuggeln. Im Vorjahr seien 18 derartige Versuche in Niedersachsen registriert worden, so das Ministerium. Einen Versuch gab es am 16. Dezember 2014 auch in Hamburg, als ein Quadrocopter, beladen mit einem Handy, einem USB-Stick und zwei Gramm Marihuana, auf das Dach der Haftanstalt am Holstenglacis stürzte.

Hamburg habe die Beschaffung eines im Oktober 2021 in der JVA Hahnöfersand vorgestellten Abwehrsystems zwar abgelehnt, da es „nicht zur Sicherheitsarchitektur der Hamburger Justizvollzugsanstalten passt“, sagt Justizsprecherin Linda Luft. Die Stadt sei „aber weiterhin aufgeschlossen, entsprechende Systeme kennenzulernen und zu testen“.

Flughafen Hamburg: "Falke" kann Netz auf gegnerische Drohne schießen

Ähnliche Geräte zum Aufspüren von Drohnen hat die DFS an den Flughäfen München und Frankfurt getestet – mit überschaubarem Erfolg. Pro-aktiv wehren diese Systeme Drohnen nicht ab, das unter anderem am Hamburger Flughafen getestete und von der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) entwickelte System „Falke“ aber schafft das: Eine bis zu 120 km/h schnelle Abfangdrohne mit sechs Propellern wertet per künstlicher Intelligenz die Flugbahn der gegnerischen Drohne aus und schießt ein Netz auf sie ab.

Gerd Scholl (l), Professor für elektrische Messtechnik an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Projekts
Gerd Scholl (l), Professor für elektrische Messtechnik an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Projekts "Falke", und Andre Hinüber, Entwickler und Konstrukteur zeigen eine Drohne, die zur Abwehr anderer Drohen eingesetzt werden soll. Mit diesem System soll die Jagd auf eine in den Sicherheitsbereich von Flughäfen eindringende Drohne mittels einer anderen Drohne realisiert werden (Archivbild). © picture alliance/dpa / Axel Heimken

Das eingefangene Gerät, im Netz der „Falke“-Drohne baumelnd, wird dann von der Bundespolizei zur Beweissicherung in Obhut genommen. Im Oktober läuft das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt aus, im November ist eine Präsentation für alle Länderpolizeien und die Bundespolizei geplant. Für die Übernahme des eigenen, erfolgreich getesteten Prototyps suche die HSU jetzt einen Wirtschaftspartner, sagt Dr. Ralf Heynicke, der technische Koordinator des Projekts. „Es funktioniert alles.“

Dass Drohnen einen immer größeren wirtschaftlichen Nutzen hätten, sei eine gute Sache, findet Verkehrspilot Moritz Bürger. „Aber bei aller Begeisterung: Die Sicherheitsaspekte dürfen darüber nicht vernachlässigt werden.“