Hamburg. Der Hauptstadtflughafen hat bei Direktverbindungen auf andere Kontinente klar die Nase vorn – doch das muss nicht so bleiben.
Wer in die Ferne schweifen möchte, hat vom Berliner Flughafen nun deutlich mehr Möglichkeiten dazu. Seit dem 12. August fliegt die chinesische Fluglinie Hainan Airlines regelmäßig nach Peking. Nur fünf Tage später startete Norse Atlantic Airways die tägliche Verbindung zum New Yorker Flughafen John F. Kennedy. Am vergangenen Freitag legte die norwegische Fluglinie nach und hob erstmals nach Los Angeles ab. Dreimal pro Woche steht die Metropole an der US-Westküste im Flugplan des Willy-Brandt-Flughafens.
Seit Längerem fliegen zudem United Airlines täglich nach New York/Newark und Qatar Airways nach Doha, Scoot hebt dreimal wöchentlich nach Singapur ab. Macht fünf Städte, die direkt per Langstreckenflug mit Berlin verbunden sind. Vor Corona waren es sieben. Der Flughafen Hamburg hat mit der Emirates-Verbindung nach Dubai weiterhin nur eine Langstrecke im Angebot – warum eigentlich?
Flughafen Hamburg: Berlin hat politische Vorteile bei Langstreckenflügen
„Berlin hat den Vorteil der Hauptstadt“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Um politische Beziehungen zu unterhalten, gehört der direkte persönliche Austausch dazu. Daher bemühen sich mehr Fluglinien um Direktverbindungen dorthin. Teilweise würden sie auch von ihren Regierungen dazu getrieben. „Länder wie China und die Mongolei wollen Verbindungen in alle wichtigen Hauptstädte haben – also auch nach Berlin“, sagt Schellenberg. So dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Ulan Bator als Direktziel zurückkehrt, wie es bis 2019 der Fall war.
Bei den neuen Flügen über den Atlantik dürfte auch die Erinnerung an die „Rosinenbomber“ und die einstige Insellage zu Zeiten des Kalten Krieges eine Rolle spielen. „Die historische Verbundenheit mit den USA zieht viele Touristen an, und zwar in beide Richtungen“, sagt Schellenberg. Ähnlich sieht man das offenbar bei Norse. „Viel zu lange war die pulsierende und kulturell vielfältige Stadt Berlin nur unzureichend transatlantisch angebunden“, sagt Airline-Chef Bjørn Tore Larsen. Ab dem 7. Dezember will er ein weiteres US-Ziel folgen lassen. Dreimal wöchentlich soll Fort Lauderdale/Miami angeflogen werden.
Hamburger Wirtschaft würde weitere Verbindungen "sehr begrüßen"
In der Vergangenheit gab es vor allem aus der Hamburger Wirtschaft immer wieder Forderungen nach mehr Langstreckenverbindungen ab und nach Fuhlsbüttel. Die Handelskammer hält die internationale Konnektivität heutzutage dennoch für „sehr gut“, weil neben den in diesem Sommer 115 Direktzielen durch einmaliges Umsteigen an gut angebundenen Drehkreuzen wie Frankfurt, München und Amsterdam 5500 internationale Verbindungen ermöglicht würden. „Aber natürlich sind Direktflugverbindungen mit zeitlichen Vorteilen verbunden, die besonders für Unternehmen und Geschäftsreisende von Bedeutung sind. Daher wären weitere Direktflugverbindungen sehr zu begrüßen“, sagt Philip Henze, Abteilungsleiter Verkehr und Hafen bei der Handelskammer.
Weitere Interkontinentalverbindungen wären ein wichtiger Standortfaktor, mit dem die Wirtschaftsregion Hamburg noch attraktiver werden würde, speziell für internationale Fachkräfte und die Ansiedlung internationaler Unternehmen. Henze hofft dabei, auf eine stärkere Unterstützung des Bundes, um die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, und wünscht sich wegen der bereits intensiven Geschäftsbeziehungen Direktziele nach Nordamerika und Südostasien.
Kommt der Direktflug von Hamburg nach New York zurück?
Hamburg Airport arbeitet offenbar daran: „Wir sind laufend in Gesprächen mit zahlreichen Fluggesellschaften“, sagt Sprecherin Katja Bromm. „In Richtung Westen sehen wir vor allem Potenzial für New York und in Richtung Osten für Ziele wie Shanghai.“ Beide Ziele waren früher Bestandteil des Programms am Helmut-Schmidt-Flughafen. New York-Newark wurde 15 Jahre lang angeflogen, erst von Continental, später von United Airlines. Am 4. Oktober 2018 hob United ein letztes Mal in Fuhlsbüttel ab. Die Strecke habe die finanziellen Erwartungen nicht erfüllt, hieß es damals. Daher wurde sie eingestellt.
Auch Emirates flog von 2006 bis 2008 von Dubai via Hamburg bis nach New York weiter. Derzeit plant die Golf-Airline aber kein Revival dieser Verbindung. Von August 2011 an steuerte China Eastern für rund 1,5 Jahre ein- bis zweimal wöchentlich mit Zwischenlandung in Frankfurt nach Shanghai – auch diese Strecke soll sich nicht gerechnet haben.
In Zukunft könnte sich das für einige Langstreckenziele ändern. Das hängt mit neuen Airbus-Jets zusammen. Der Flugzeugbauer entwickelte auf Finkenwerder zunächst den A321LR, der dank eines Zusatztanks 7400 Kilometer nonstop fliegen kann. Damit wären Strecken wie Hamburg-New York machbar. Der Vorteil der Maschine: Sie ist deutlich kleiner als ein Großraumflugzeug, sodass weniger Passagiere reichen würden, um auf eine hohe Auslastung zu kommen. Die Flüge würden für die Airlines schneller profitabel.
Luftfahrtexperte hält neue USA-Direktflüge ab Hamburg für möglich
Im Juni feierte zudem der A321XLR seinen Erstflug. Dank eines fest eingebauten Tanks im Frachtraum sind sogar 8700 Kilometer nonstop möglich. Damit könnte es für wohl rund 200 Passagiere nonstop von der Hansestadt bis nach Vancouver gehen. Auch Urlaubsziele wie die Bahamas oder die Malediven wären als Direktziele möglich. „Ab dem Jahr 2024 könnte ich mir feste Verbindungen mit dem A321LR oder XLR von Hamburg gen US-Ostküste vorstellen“, sagt Schellenberg.
Neben New York hält der Luftfahrtexperte Chicago und das große US-Luftdrehkreuz Atlanta für interessante Städte. Auch touristische Ziele wie Dominikanische Republik, Mexiko oder Miami könnten funktionieren, um im Winter Pauschalreisende, Kreuzfahrer oder Besitzer von Ferienimmobilien zu ihren Urlaubszielen zu bringen, wenn sich der Tourismus nach der Corona-Krise weiter erholt.
Hamburg sollte nicht neidisch nach Berlin schauen
Trotz der neuen BER-Routen empfiehlt Schellenberg den Hansestädtern Gelassenheit: „Es gibt keinen Grund, dass Hamburger neidisch auf den Berliner Flughafen schauen sollten.“ Beide Airports würden auf ihre Art und Weise funktionieren. Während Emirates täglich von Dubai nach Hamburg fliegt, fehlen der arabischen Airline für die gewünschte Route nach Berlin die Start- und Landerechte. Genau andersherum verhält es sich bei Qatar Airways. Die Katarer wollen gern Fuhlsbüttel als Ziel aufnehmen, erhalten aber hier keine Slots.
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Ob die neuen Berliner Transatlantikverbindungen lange Bestand haben, bezweifelt der Luftfahrtexperte. „Langstreckenverbindungen brauchen auch Geschäftsreisende. Davon hat das wirtschaftlich schwache Berlin insgesamt zu wenige – und ich glaube nicht, dass Businessfliegende die meisten dortigen Angebote annehmen werden“, sagt Schellenberg. Der Hintergrund: Sowohl Norse als auch die Singapore-Airlines-Tochter Scoot sind Billiganbieter. Entsprechend müssen Passagiere für Extras wie Essen, Trinken, Koffer oder eine Decke an Bord zusätzlich zahlen. „Ich glaube nicht, dass sich Lowcost auf Langstrecken durchsetzen wird“, sagt Schellenberg. Die Zusatzkosten summierten sich schnell zu hohen Beträgen.
Flughafen Hamburg: Warum der Experte von jungen Airlines abrät
Bei der erst ein Jahr jungen norwegischen Airline hat er zusätzliche Skepsis. „Norse testet die Strecken aus und schaut, ob sie funktionieren. Ich wäre vorsichtig und würde noch nichts fürs nächste Jahr buchen“, so Schellenberg. Rutsche Norse in die Pleite, sei das Geld für Tickets weg. Teuer kann es auch werden, wenn der Flug kurzfristig gestrichen wird. Sind Mietwagen und Urlaubsdomizil separat gebucht, müssen sich Passagiere um einen Ersatzflug kümmern.
„Kurzfristig eine Langstrecke buchen zu müssen, wünschen sich die Airlines – und lassen es den Fluggast teuer bezahlen. Gerade nicht so geübte Passagiere sollten das im Hinterkopf haben und von Anfang eher bei etablierten Gesellschaften buchen“, sagt Schellenberg. Lufthansa, Air France oder British Airways weichen auf ihre Netzwerke aus und bieten (teilweise kostenlose) Umbuchungen an. Für Norse als Einzelkämpfer könnte es kurzfristig schwierig werden, alle Fluggäste woanders unterzubringen.
Manche Reisen sind allerdings derzeit auch nicht anstrebenswert. China verfolgt bekanntlich eine Null-Covid-Strategie. Der einmal wöchentlich stattfindende Flug von Peking nach Berlin ist mit gut zehn Stunden Dauer erträglich. Doch wer in die andere Richtung fliegt, landet nach 9,5 Stunden Flug zunächst am Flughafen Dalian Zhoushuizi. Das schreiben Chinas Infektionsschutzauflagen vor. Nach 15 Stunden Aufenthalt geht es nach Peking weiter. Die Reise dauert insgesamt gut 26 Stunden – und im Anschluss geht es für mindestens sieben Tage in eine zentrale Einrichtung zur Quarantäne.