Hamburg. Mehrstrecken-Flüge kosten oft weniger als Direktflüge. Dass sie mehr Zeit kosten und dem Klima schaden, spielt für viele keine Rolle.
Wer in diesen Tagen auf der Suche nach Flugverbindungen in Urlaubsländer wie Spanien oder Italien ist, dem werden teils erstaunliche Angebote unterbreitet. Die Preisskala etwa für einen Hin- und Rückflug Hamburg–Madrid–Hamburg vom 11. bis zum 25. Juli begann Mitte vergangener Woche bei knapp 300 Euro.
Dafür fliegt Lufthansa abends zunächst nach München. Von dort geht es am nächsten Morgen weiter in die spanische Hauptstadt. Die Reisezeit inklusive der elf Stunden nächtlichen Aufenthalts auf dem Franz-Josef-Strauß-Airport beträgt fast 15 Stunden. Das ist wohl eher was für Reisende mit schmalem Budget, viel Zeit und gesteigerter Leidensbereitschaft.
Flughafen Hamburg: Günstigere Preise bei Zwischenstopps
Schneller, ohne Übernachtung und nur unwesentlich teurer geht es auch, zeigt die Suche mit Google Flüge: Mit Luxair über Luxemburg, mit Brussels Airline über Brüssel. Das Suchportal wirft in der nach Preis sortierten Angebotsliste sieben Madridverbindungen ab Hamburg mit je einem Zwischenstopp aus – erst dann folgt der erste Direktflug. Mit Iberia in drei Stunden und zehn Minuten für 382 Euro.
Dass die sogenannten One-Stopp- oder Mehrstrecken-Flüge innerhalb Europas günstiger sind als ein Direktflug, ist eher die Regel als die Ausnahme. „Mehrstrecken-Flüge sind nicht in jedem Fall billiger, aber für gewöhnlich ist das der Fall“, sagt Logistik-Professor Rod Franklin von der Hamburger Kühne Logistics University (KLU). Auch beim Ziel Rom-Fiumicino war das beim Abendblatt-Check so.
Flugreisen: Es geht um den Preis, nicht ums Klima
Und die Direktverbindung Hamburg–London/Heathrow–Hamburg war für den Montag nach Beginn der Sommerferien ab 309 Euro zu haben. Ungefähr 40 Euro billiger aber war es, wenn der Passagier von Fuhlsbüttel über Frankfurt reist – also erst mal in die Gegenrichtung fliegt, der Umweg 310 Kilometer Luftlinie beträgt.
Warum ist das so? Warum transportieren Airlines einen Passagier erst einige Hundert Kilometer Richtung Süden und dann quasi an seinem Startpunkt vorbei zum eigentlichen Ziel? Und das für einen niedrigeren Preis, obwohl mehr Treibstoff verbraucht wird, Start- und Landegebühren fällig werden – und dabei in Zeiten der Erderwärmung mehr klimaschädliches Abgas ausgestoßen wird? Die Kurzantwort lautet: Weil es für die Fluggesellschaften betriebswirtschaftlich besser ist und weil viele Passagiere im Zweifel eher auf den Preis als auf die Klimafolgen gucken. Die Langantwort ist komplexer.
Airlines wollen Verbindungen auslasten
„Direktflüge sind Premiumflüge, die zum Premiumpreis angeboten werden“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Deshalb könne es sogar sein, dass ein Passagier, der von Hamburg über München nach Madrid fliegt, trotz der längeren Strecke weniger bezahle als seine in Bayern eingestiegene Sitznachbarin. Für die Airlines sei die oberste Maxime, ihre langfristig geplanten Verbindungen möglichst stark auszulasten.
Wenn absehbar ist, dass im Flieger von München nach Madrid noch leere Plätze sind, werden die Zubringerflüge – etwa aus Hamburg – im Gesamtpreis kaum oder gar nicht berücksichtigt. Und um die Zubringer zu füllen, machen die Gesellschaften bisweilen überraschende Angebote. Dann ist Hamburg–München–Mallorca nicht nur die billigste Verbindung, im Zubringer werden die Passagiere dann auch noch auf den letzten freien Plätzen in der für gewöhnlich sehr viel teureren Business-Class eingecheckt.
Fluggesellschaften halten sich bedeckt
Schellenberg spricht von einem „Staubsaugereffekt“, den so gut wie alle Airlines nutzen, um mehr Passagiere an ihre jeweiligen Drehkreuze etwa auch in Mailand, Amsterdam, Paris oder Luxemburg und von dort aus weiter zu transportieren. Nach Übersee, aber auch innerhalb Europas. Und damit die Passagiere wirklich Mehrweg- statt Direktflug buchen, wird der Preis nach unten geschraubt. In den Übersichten der Vergleichsportale steht der Flug mit Umweg dann weiter oben als ein Direktflug.
„Das entscheidende Kriterium für die Fluggesellschaft ist, dass der Ticketpreis die durch den zusätzlichen Passagier entstehenden Kosten einbringt“, sagt Schellenberg. Sehr hoch ist dieser Betrag wohl nicht, denn Flüge haben einen extrem hohen Fixkostenanteil. Wie viel mehr ein Flug die Airline kostet, wenn in dem Flieger zum Beispiel 180 statt 179 Passagiere sitzen, ist allerdings nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich sind es nur wenige Euro. „Die Fluggesellschaften machen aus Wettbewerbsgründen keine Angaben dazu“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte.
Urlauber sparen lieber Geld statt Zeit
Das Angebot trifft auf eine hohe Nachfrage – insbesondere bei Urlaubern. „Bei der Flugsuche ist ein niedriger Preis das entscheidende Kriterium“, weiß Schellenberg, „Preis schlägt Zeit.“ Wenn man beim Ferienflug sparen kann, werden ein paar Stunden mehr von Tür zu Tür gern in Kauf genommen. Wichtig sei den Passagieren auch, dass ihr Gepäck bis zum Zielort durchgecheckt werde. Sich beim Zwischenstopp noch mal um die Koffer kümmern zu müssen, das sei unbeliebt.
Großes Angebot und große Nachfrage – das hat dazu geführt, dass ein erheblicher Teil der Passagiere mittlerweile zu One-Stopp- oder Mehrweg-Flügen aufbricht. Schellenberg schätzt den Anteil an den großen deutschen Drehkreuzen Frankfurt und München, wo auch Langstrecken-Flüge starten, auf etwa drei Viertel. Herwig Schuster von Greenpeace, der für die Umweltorganisation von Österreich aus in einem europäischen Mobilitätsprojekt mit Schwerpunkt Flugverkehr arbeitet, kam für den Flughafen Wien zu einem ganz ähnlichen Ergebnis.
Kurzstrecken: CO-Ausstoß besonders hoch
Am Hamburger Flughafen ist das nach dessen Angaben aber anders. „15 Prozent aller Passagiere, die zu einem europäischen Ziel inklusive Deutschland fliegen oder von dort in Hamburg landen, steigen mindestens einmal um. 85 Prozent fliegen direkt von oder nach Hamburg“, sagt Airportsprecherin Janet Niemeyer.
In Hamburg starteten 2019 allerdings fast 30 Prozent aller Flieger zu innerdeutschen Zielen. Rechnet man diese aus der Statistik des Flughafens heraus, ist der Anteil der in Fuhlsbüttel startenden und landenden Passagiere, die mindestens einen Zwischenstopp einlegen, tatsächlich viel höher.
Das Rentabilitätsstreben der Gesellschaften und die ausgeprägte Sparfuchsmentalität von Urlaubern schlägt auch das Umweltgewissen. „Wir wissen, dass der CO2-Ausstoß bei Kurzstreckenflügen vergleichsweise besonders hoch ist. Das gilt wegen des oder der zusätzlichen Starts auch für Verbindungen mit einem oder mehreren Zwischenstopps“, sagt der Greenpeace-Mobilitätsexperte Schuster.
Zwischenstopps schaden dem Klima
Google Flüge liefert dazu konkrete Daten. Die Schätzung des mittleren CO2-Ausstoßes pro Passagier bei einem Flug beruht laut dem Suchportal auf Daten der EU und berücksichtigt unter anderem, welchen Flugzeugtyp die Airline einsetzt und in welcher Höhe der Flieger für gewöhnlich unterwegs ist. Die Unterschiede zwischen Direkt- und One-Stopp-Verbindungen sind demnach teils gravierend.
So verursacht ein Hamburger Passagier im Iberia-Direktflug nach Madrid und zurück den Ausstoß von 193 Kilogramm des klimaschädlichen Gases. Bei den billigeren One-Stopp-Flügen sind es zwischen 228 und 408 Kilogramm – also schlimmstenfalls mehr als das Doppelte. Bei einem Lufthansa-Flug von Hamburg über Frankfurt nach London werden demnach 54 Prozent mehr CO2 ausgestoßen als bei einem Direktflug. Die Airline bietet laut Google Flüge sogar Hamburg–München–London an. Dann verursacht der Passagier gar doppelt so viel Klimaschaden.
Greenpeace fordert Kurzstrecken-Verbot
„Mehrstreckenflüge sind mit Blick auf den persönlichen Klimafußabdruck schädlicher“, sagt der Hamburger Logistik-Professor Franklin. Die Sicht der Fluggesellschaften auf die Klimafolgen dieser Flüge sei aber eine ganz andere. „Die Airline-Perspektive ist, dass der Flug ja ohnehin stattfindet und daher kein zusätzlicher CO2-Ausstoß passiert.“ Tatsächlich ist es bei den Klimafolgen eines Fluges wohl ähnlich wie bei den Kosten: Ob nun 90 oder 180 Passagiere in der Maschine sitzen, verändert die Emissionen des Flugzeugs nicht deutlich spürbar.
Wie auch immer: „Greenpeace fordert ein Verbot von Kurzstrecken-Flügen“, sagt Herwig Schuster. Was ein KurzstreckenFlug ist, definiert die Umweltorganisation dabei nicht nach Entfernung, sondern nach Zeit. Für sie ist ein Flug Kurzstrecke, wenn das Ziel vom Startpunkt aus auch „mit einer zumutbaren Bahnverbindung innerhalb von sechs Stunden“ erreicht werden kann.
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Schuster sieht das durchaus pragmatisch. So sei ein Flug Sofia–Bukarest zwar nur 300 Kilometer lang, aber nach dieser Definition trotzdem keine Kurzstrecke. „Der Zug ist zwölf Stunden unterwegs, ein Shuttlebus acht Stunden“, weiß Schuster. Über ein Kurzstrecken-Flug-Verbot nach einer ähnlichen Definition hatte auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock im Bundestagswahlkampf 2021 laut nachgedacht – und einen Sturm der Entrüstung geerntet.
Bei der EU in Brüssel werde derzeit über den Umgang mit Kurzstreckenflügen diskutiert, sagt Schuster. „Wir erwarten eine Entscheidung Ende des Jahres.“ Es sehe allerdings eher danach aus, dass Brüssel eine Empfehlung aussprechen werde, diese Flüge nicht mehr stattfinden zu lassen. „Wir arbeiten hart daran, dass die Mitgliedstaaten sie auch verbieten dürfen.“
Kurzstrecken-Verbot: Zug statt Flug
Käme es so und würde eine Bundesregierung sich tatsächlich für ein Verbot entscheiden, gäbe es wohl nur noch wenige innerdeutsche Flüge. Von Hamburg nach München aber wäre weiter möglich. Die meisten ICE sind zwischen den Städten laut Fahrplan mehr als sechs Stunden unterwegs. Greenpeace spricht sich über das generelle Verbot von Kurzstrecken-Flügen hinaus dafür aus, dass Staaten einer Fluggesellschaft Mehrstrecken-Flüge verbieten dürfen. „Rechtlich wäre das vermutlich nur für Ziele in Europa möglich. Die Fluggesellschaften sollen stattdessen Direktflüge anbieten“, sagt Schuster.
Er weiß, dass es da ein Schlupfloch gibt. Die Airlines könnten sich zusammentun: Die eine fliegt von Hamburg nach München, die andere von München nach Madrid. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Lösung, wie man so etwas verhindern könnte“, sagt Schuster.