Hamburg. Flugzeugbauer Airbus muss sich mit Schadenersatzforderungen von Aktionären und A350-Kunde Qatar Airways auseinandersetzen.

Am Jahresanfang 2020 glaubte Airbus, ein unrühmliches Kapitel in der Firmengeschichte abgehakt zu haben. Nach jahrelangen Korruptionsermittlungen einigte sich der europäische Flugzeughersteller mit den Behörden in Großbritannien, Frankreich und den USA auf eine Zahlung in Höhe von 3,6 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen und Verfahrensgebühren. Börsenhändler sprachen damals davon, dass von der Aktie Druck genommen wurde.

Für einige Aktionäre ist der Druck aber nicht aus dem Kessel gewichen und die Angelegenheit nicht abgeschlossen. Sie haben vor Kurzem eine Sammelklage vor einem niederländischen Gericht eingereicht. Einen ähnlichen Rechtsstreit gibt es seit Längerem in den USA. Und auch in London vertreten nun Anwälte die Interessen von Airbus vor Gericht. Großkunde Qatar Airways klagt gegen den europäischen Flugzeugbauer. Der Vorwurf der Airline lautet: Mängel am Großraumjet A350. Insgesamt geht es um mehrere Hundert Millionen Euro Schadenersatz.

Airbus: Anwälte sprechen von 300 Millionen Euro Schaden

In Den Haag sprechen Anwälte davon, dass sie rund 100 institutionelle Investoren vertreten. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Diese hätten aufgrund von Fehlverhalten des Unternehmens einen Schaden von mindestens 300 Millionen Euro erlitten.

Der eingereichten Klage nach – der DAX-Konzern hat seinen Hauptsitz im niederländischen Leiden, auch wenn die Konzernzentrale in Toulouse ist – sollen sie die Verluste erlitten haben, weil die Anteilsscheine von Airbus überteuert gewesen sein sollen. Der Grund dafür: Das Unternehmen habe Informationen über Korruption vorenthalten.

Die Vorgeschichte: Im April 2016 hatte sich Airbus selbst bei der britischen Anti-Korruptionsbehörde SFO angezeigt. Bei internen Überprüfungen habe sich herausgestellt, dass es Fehler bei Anträgen auf Finanzierungshilfen für Kunden gegeben habe, hieß es. Der Konzern bot damals Fluglinien Hilfe bei der Finanzierung an, wenn diese Kredite sonst nur zu schlechten Konditionen erhalten hätten. Dafür wurden auch staatliche Exportgarantien eingesetzt.

Beim Ausfüllen der Finanzierungsanträge sollen falsche Angaben über externe Berater und Honorare gemacht worden sein. Mittelsmänner sollen für die Anbahnung von Geschäften hohe Schmiergeldzahlungen erhalten haben. Vereinfacht gesagt, sollen neue Kunden für Flugzeuge also auf unsaubere Weise geworben worden sein.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Airbus äußerst sich nicht zu Schadensersatz-Ansprüchen

Die Anwälte in Den Haag erwarten, dass sich wegen der Einreichung der Klage weitere Aktionäre dieser anschließen. Damit werde auch die verlangte Schadenersatzsumme steigen, heißt es. Als weitere Angeklagte werden die Wirtschaftsprüfer KPMG und Ernst & Young genannt.

Ein Airbus-Sprecher will sich wegen des laufenden Rechtsstreits auf Abendblatt-Anfrage nicht äußern. Er verweist allerdings auf den Neun-Monats-Bericht des Luft- und Raumfahrtkonzerns von Ende Oktober vergangenen Jahres. Dort erwähnt das Unternehmen gleich zwei drohende Rechtsstreitigkeiten in den Niederlanden.

Angaben zum möglichen Schadenersatz werden nicht gemacht. Die Folgen könnten noch nicht abgesehen werden, heißt es in dem Bericht. Ein ungünstiges Urteil könnte sich nachteilig auf die Finanzkraft und das Geschäft von Airbus auswirken. Allerdings sehe man sich in der Lage, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen.

Aktienwert stürzte in der Corona-Krise ab

Im Quartalsbericht verweist Airbus zudem auf eine Sammelklage, die bereits im August 2020 in New Jersey eingereicht wurde. Der Vorwurf dort lautet ähnlich: Das Unternehmen habe falsche oder unzureichende Angaben über mögliche Korruptionsvorgänge in den USA gemacht und damit gegen das US-Wertpapiergesetz verstoßen. Denn auch in den USA wurden vermutlich Vermittler und deren Provisionen nicht richtig angegeben.

Der Aktienkurs von Airbus.
Der Aktienkurs von Airbus. © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse

Bereits im November 2017 hatte Airbus mitgeteilt, dass man „einige Ungenauigkeiten“ bei Anträgen festgestellt habe, die gemäß den Vorschriften für den Internationalen Waffenhandel (International Traffic in Arms Regulation, Itar) beim US-Außenministerium eingereicht wurden. Eine mögliche Schadenersatzsumme sei nicht genannt worden, schreibt Airbus in dem Zwischen­bericht.

Der Aktienwert hat sich in dem genannten Zeitraum von Ende Februar 2016 bis Ende Juli 2020 von rund 58 Euro auf das Rekordhoch von 139 Euro übrigens mehr als verdoppelt. Im Zuge der Corona-Krise stürzten die Papiere dann allerdings ab, lagen Ende Juli 2020 bei rund 63 Euro. Derzeit sind es wieder mehr als 110 Euro.

Qatar Airways klagt gegen Airbus

Vor Gericht geht es für den Flugzeugbauer nach langen Querelen auch mit einem Großkunden. Qatar Airways bestellte insgesamt 216 Maschinen bei den Europäern, von denen 143 bereits ausgeliefert sind. Seit Juni nimmt die katarische Fluggesellschaft allerdings keine neuen A350 mehr ab.

Die Airline bemängelt einen zu schnellen Verschleiß der Oberflächenbeschichtung. Dadurch könne es zu Rissen im Verbundwerkstoff kommen und zu einer Verschlechterung des Blitzschutzes. Leider seien alle Versuche gescheitert, mit Airbus zu einer friedlichen Lösung zu kommen, teilte Qatar Airways kurz vor Weihnachten mit. Daher habe man in London beim High Court ein Gerichtsverfahren gegen den Flugzeughersteller eingeleitet.

Laut Reuters fordert Qatar mindestens 618 Millionen Dollar (rund 545 Millionen Euro) Schadenersatz. Derzeit hat die katarische Airline 21 ihrer 53 ausgelieferten A350 gegroundet, lässt sie also am Boden. Ihr Kaufpreis dürfte laut Preisliste bei mehr als 300 Millionen Dollar pro Stück liegen, allerdings sind kräftige Rabatte in der Branche üblich.

Für jeden Tag, den die Langstreckenflieger nicht starten, sollen vier Millionen Dollar hinzukommen, so die Forderung. Zudem soll die Airline verlangen, dass Airbus alle weiteren Auslieferungen des Großraumfliegers untersagt werden, solange die Mängel nicht behoben sind. Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker gilt in der Branche als Mann der lauten Töne und als äußerst streitbar. Die Fluggesellschaft beruft sich bei der Klage auf die katarische Luftaufsichtsbehörde, die für mehr als ein Dutzend A350 das Grounding empfohlen habe.

Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker vor einem Airbus A350. Die Gesellschaft lässt einen Teil dieser Jets wegen angeblicher Qualitätsmängel am Boden und will Schadenersatz.
Qatar-Airways-Chef Akbar Al Baker vor einem Airbus A350. Die Gesellschaft lässt einen Teil dieser Jets wegen angeblicher Qualitätsmängel am Boden und will Schadenersatz. © picture alliance / abaca | Bernard Patrick

Qatar Airways ist mit der Kritik am A350 ziemlich allein

Bei der europäischen Luftaufsichtsbehörde kommt man allerdings zu einer anderen Einschätzung. Seit Ende 2020 beschäftige man sich mit der Angelegenheit, teilt die EASA auf Abendblatt-
Anfrage mit. Mitarbeiter hätten sich die vorliegenden Daten angeschaut und einige betroffene Flugzeuge selbst untersucht. Man habe aber keine Hinweise darauf gefunden, dass eine Verschlechterung der Lackierung die Flugzeugstruktur beeinträchtige oder andere Risiken mit sich bringe.

Andere Airlines sollen sich bei Europas Aufsichtsbehörde bisher auch nicht beschwert haben, heißt es in Medienberichten. Auch andere Luftaufsichtsbehörden schritten nicht ein. Immerhin wurden bis zum Jahresende 2021 insgesamt 461 A350-Flieger ausgeliefert, die von 39 Fluggesellschaften betrieben werden.

Die Lufthansa hat bisher 17 dieser Großraumjets für Langstreckenflüge erhalten. Es seien „allenfalls kosmetische Mängel festgestellt und von Airbus behoben“ worden, sagte Sprecherin Mirjam Eberts dem Abendblatt: „Flugtüchtigkeit oder Flugsicherheit waren zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt.“ Trotz des nach wie vor schwachen weltweiten Flugverkehrs seien alle A350 bei Lufthansa im Einsatz. Das liege auch an dem im Vergleich zu anderen Flugzeugtypen geringeren Treibstoffverbrauch. Im Laufe dieses Jahres sollen vier geleaste A350 hinzukommen. Insgesamt hat die Lufthansa-Gruppe 45 dieser Maschinen ge­ordert.

Airbus lehnt Forderungen von Qatar Airways ab

Airbus verwies darauf, dass die Maschinen mit 99,5 Prozent eine äußert hohe Betriebssicherheit haben. „Die Lufttüchtigkeit des Flugzeuges ist nicht betroffen“, sagt der Sprecher. Eine EASA-Sprecherin bestätigt das dem Abendblatt und ergänzt, dass man „daher keine Pläne hat, eine Designänderung anzuordnen, die die Verwendung neuer Materialien oder Prozesse erfordert“.

Für die schnell verschleißende Oberflächenlackierung gebe es Reparaturmöglichkeiten. „Die Probleme liefern weder eine gültige Grundlage für das Flugverbot oder die Zahlung einer finanziellen Entschädigung noch rechtfertigen sie die Weigerung von Qatar Airways, neue Flugzeuge abzunehmen“, betonte der Unternehmenssprecher. Man lehne die Forderungen von Qatar Airways in Gänze ab und werde um seinen Ruf kämpfen.

Am vergangenen Freitag ging Airbus sogar zum Gegenangriff über. Der Flugzeugbauer stornierte von sich aus eine Bestellung von Qatar Airways über 50 Kurz- und Mittelstreckenjets des Typs A321neo. Das kommt in der Branche selten vor, normalerweise kommen solche Anliegen eher von Fluggesellschaften. Die Bauplätze für die Maschinen dürften trotz Pandemie und Luftfahrtkrise schnell besetzt werden. Schließlich ist das Auftragsbuch für die A320-Flugzeugfamilie mit mehr als 5800 Bestellungen prall gefüllt. Rund die Hälfte dieser Maschinen dürfte in Hamburg endmontiert werden.

In London gab es Ende vergangener Woche die erste Runde vor Gericht. Dabei sollen Airbus-Vertreter vorgebracht haben, dass es Qatar wegen der Pandemie und der geringen Passagiernachfrage wirtschaftlich wohl ganz gut passe, die Flieger am Boden zu halten. Vor allem soll aber der Zeitplan für den Rechtsstreit festgezurrt worden seien. Dem Vernehmen nach geht es Ende April los. Für die Sammelklage in Den Haag ist der erste Termin schon fixiert. Am 6. April sollen sich die Airbus-Vertreter dort einfinden.