Hamburg. Serie: Beschäftigte verzweifelt gesucht. In Hamburg dauert es oft Monate, bis offene Stellen wieder besetzt werden können.
Seine Brote mit Namen wie „Voll auf die Nuss“ oder „Blonder Hans“ sind begehrt, doch Bäckermeister Sören Korte ist ganz auf sich allein gestellt. So schlimm ist der Fachkräftemangel im Hamburger Handwerk. In seiner Backstube in der Meistermeile ist auf 180 Quadratmetern genügend Platz für weitere Bäcker. Nur findet er keine.
„Wenn ich ausfalle, steht meine Brotmanufaktur still, warten meine beiden Läden an der Osterstraße und der Weidenallee vergeblich auf frische Ware“, sagt der 37-Jährige. Dabei plant er eine dritte Filiale in Eppendorf für seine Brotmanufaktur Sören Korte. Jetzt kommt seine Freundin in die Backstube, um ihn zu unterstützen. Sie ist gelernte Bäckereifachverkäuferin. Das kann keine Dauerlösung sein. Aber in der Not setzt er auf die Familie. Für die Logistik und die Betreuung der zwei Läden hat er seinen Bruder Lars eingestellt.
Fachkräftemangel in Hamburg: Verzweifelte Suche nach Mitarbeitern
Dabei wollte er beim Start seines Unternehmens ganz neue Wege gehen. Erst mittags das Geschäft öffnen, um die gesamten Arbeitsabläufe nach hinten zu verschieben. So müsste die Arbeit in der Backstube nicht mehr um Mitternacht beginnen, sondern erst um fünf Uhr. Das sollte helfen, Bäcker zu finden. „Doch auch das hat nichts gebracht“, sagt Korte.
Zudem fiel der Start der Firma in den ersten Lockdown der Corona-Pandemie. „Schon lange vor der Öffnung bildeten sich Schlangen und riefen das Ordnungsamt auf den Plan“, sagt Korte. Inzwischen sind seine Läden ab 11 Uhr geöffnet, er verkauft ja keine Brötchen, und Korte steht ab Mitternacht in seiner Backstube. „Viele wollen nicht im Handwerk arbeiten“, sagt er.
Stellen für Friseure erst nach acht Monaten besetzt
Bundesweit fehlen 400.000 Fachkräfte im Handwerk. Eine Zahl für Hamburg wird nicht erhoben. Es dauert allerdings Monate, bis offene Stellen in der Hansestadt wieder besetzt werden können, wie die Statistik der Arbeitsagentur Hamburg zeigt. Im Sanitär- und Heizungshandwerk und im Malerhandwerk sind es rund sechs Monate.
Bei Friseuren dauert es knapp acht Monate und bei Berufen im Bäckerhandwerk dreieinhalb Monate. Im Kfz-Gewerbe wird fünfeinhalb Monate auf einen neuen Mitarbeiter gewartet. „Viele Lehrstellen für Bäckereifach- und Fleischfachverkäuferinnen können nicht besetzt werden. Manche Betriebe reduzieren deshalb schon ihre Öffnungszeiten“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. „Aber ich fürchte, diese Lücke wird auch langfristig nicht zu füllen sein, und man muss über andere Verkaufsformen nachdenken.“
Mitarbeiter durch attraktive Zeiten und Vergütung locken
Das Brot aus dem Verkaufsautomaten mag möglich sein, aber die Brotherstellung ist ein Handwerk, das Menschen braucht. „Bei uns gibt es noch sehr viel Handarbeit. Wir stellen das Brot noch wie vor 100 Jahren her, geben dem Teig Zeit, um zu reifen“, sagt Korte. Da sei es schwer, Bäcker aus der Industrie für einen Wechsel zu gewinnen.
„Die Betriebe drehen an den Arbeitszeiten, experimentieren mit einer Vier-Tage-Woche und locken auch mit einer Bezahlung über Tarifniveau, um neue Fachkräfte zu gewinnen“, sagt Stemmann. So hat die Möbeltischlerei Nils Grimm vor rund einem Jahr auf freiwilliger Basis die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnbezug eingeführt. Rund 25 Prozent der Belegschaft nutzt das Modell. „Wir haben eine Wochenarbeitszeit zwischen 36 und 40 Stunden. Wenn jetzt einmal nur 36 Stunden in vier Tagen erreicht werden, so werden keine Minderstunden auf dem Stundenkonto gebucht“, sagt Firmeninhaber Nils Grimm, der selbst die Vier-Tage-Woche nur manchmal praktiziert.
Verschiedene Modelle für verschiedenen Betriebe
Dennoch hat er drei bis vier unbesetzte Stellen für Tischlergesellen und Meister. „Wir bekommen zwar Initiativbewerbungen, wissen aber nicht, ob das aufgrund des Arbeitszeitmodells ist“, sagt Grimm. Eigentlich hatte er mit einem größeren Interesse auch seiner Mitarbeiter an dem Modell gerechnet. „Für mich ist es aber wichtig, neue Dinge auszuprobieren“, sagt Grimm. „Wenn das Handwerk sein Fachkräfteproblem lösen will, muss es auch viele unflexible, konservative Vorstellungen überwinden und neue Wege gehen.“
Patentrezepte gibt es ohnehin nicht für das Handwerk, da in jedem Betrieb die Situation anders ist. „Wir können nicht mit einer Vier-Tage-Woche arbeiten“, sagt Jan Loppow, Geschäftsführer des Heizungs- und Sanitärtechnikbetriebes P. Loppow Sohn. „Denn wir sind ein Servicebetrieb, bieten auch Notdienst am Wochenende, da können wir nicht an einem Tag in der Woche pausieren.“ Der Handwerksbetrieb hat 25 Mitarbeiter, davon fünf Azubis. „Wir stellen jedes Jahr ein bis zwei Azubis ein und das ohne große Probleme“, sagt Loppow.
16.500 offene Stellen in Sanitär- und Heizungsbranche
Der 1918 gegründete Handwerksbetrieb liegt direkt neben einer Gesamtschule. „Viele suchen einen Praktikumsplatz und schauen bei uns vorbei“, sagt Loppow. Daraus ergebe sich dann auch die eine oder andere Bewerbung um einen Ausbildungsplatz. „Viele sind positiv überrascht über die Vielfalt des Berufes, sie konnten sich nicht vorstellen, dass so viel Technik und Computer im Spiel ist“, sagt Loppow. So gewinnt er Azubis, die die Lehre in der Regel erfolgreich abschließen. Auch die Meister werden selbst im Betrieb ausgebildet und ihnen so berufliche Perspektiven vermittelt.
Ein ungewöhnliches Beispiel für die Sanitär- und Heizungsbranche, die in Hamburg wie auch bundesweit nur Engpassberufe kennt. Bundesweit gibt es 16.500 offene Stellen. Was macht Loppow anders? „Man muss sich um die Mitarbeiter kümmern und sie wertschätzen“, sagt er. Einmal im Monat gibt es ein gemeinsames Essen, um den Zusammenhalt zu stärken. Auch die Größe des Betriebes sieht er als einen Erfolgsfaktor. Trotz vieler Aufträge und langer Wartezeiten für die Kunden will er nicht expandieren. „Das wird sonst zu unpersönlich“, sagt er. Außerdem gibt es ein 13. Monatsgehalt, wenn das Jahresergebnis des Handwerksbetriebs positiv ausfällt.
Mehr Urlaub, Fitness-Zuschuss oder Kindernotfallbetreuung
Gerade das Handwerk könnte nach Einschätzung von Frank Plümer, Geschäftsführer des Hamburger Unternehmens Plücom Digital, mehr Wechselkandidaten gewinnen. „Bis zu 40 Prozent der Arbeitnehmer sind für einen Jobwechsel aufgeschlossen, sie müssen nur richtig angesprochen werden“, sagt er. „Aber einen Lebenslauf erstellen, ein Motivationsschreiben aufsetzen, auch noch zum Friseur gehen für das richtige Bewerbungsfoto – das ist nicht ihre Sache“, benennt Plümer ein Problem.
In den sozialen Medien wie Facebook oder Instagram schaltet das Unternehmen im Auftrag der Kunden aus dem technischen Gewerbe einschließlich des Handwerks Anzeigen, die Kandidaten niedrigschwellig ansprechen. Ein Elektroniker wird mit Aussagen wie dieser gelockt: „Heimatnaher Einsatz, damit Du abends wieder zu Hause bist“. Einem Mechatroniker werden versprochen: Fitnessstudio-Zuschuss, Kindernotfallbetreuung und 30 Tage Urlaub. Die Stellenanzeigen unterscheiden sich von konventionellen Ausschreibungen: Außer der Fachrichtung gibt es keine Anforderungen an den Bewerber, sondern es werden ihm Punkte vermittelt, die seine Arbeit schon vor dem Start wertschätzen.
Ausbildung wichtig für Nachwuchs im Handwerk
„Es gibt viele Gründe, warum ein Arbeitnehmer zum Jobwechsel bereit ist“, so Plümer. „Für den einen sind das 100 Euro mehr im Monat, für den anderen ein 30 Minuten kürzerer Arbeitsweg pro Tag“, sagt Plümer. „Im Auftrag der Firmen sprechen wir Wechselwillige in den sozialen Medien mit einem Rekrutierungs-Tool an, mit dem man sich in weniger als fünf Minuten ganz ohne Unterlagen bewerben kann.“ Innerhalb von zwei Monaten sollen so ein bis drei Arbeitsstellen besetzt werden können.
Ein wichtiger Aspekt für die Nachwuchsgewinnung im Handwerk ist die Ausbildung. Zwar gab es in den Jahren 2020 und 2021 einen kleinen Einbruch durch die Corona-Pandemie, aber seit 2012 liegt die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge bei der Handwerkskammer Hamburg zwischen 2300 und 2500 jährlich. Auch im Engpassberuf Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizungs- und Klimatechnik konnte die Zahl der Azubis in den letzten zehn Jahren von 250 auf rund 300 gesteigert werden. Aber das reicht nicht aus, um den Fachkräftebedarf zu decken.
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Auch Sören Korte würde gern Bäcker selbst ausbilden. Interessenten hatte er, doch er darf nicht ausbilden, obwohl er Bäckermeister ist, weil er nur Brot verkauft. „Dabei hätte ich dafür gesorgt, dass alle Prüfungsaufgaben erfüllt werden können“, sagt er. Doch da steht sich die Bürokratie des Handwerks selbst im Weg. Um diese Hürde zu nehmen, denkt er jetzt daran, sein Brotsortiment um einige süße Sachen zu erweitern. Vielleicht die einzige Möglichkeit, auf Dauer nicht allein in der Backstube zu stehen.