Hamburg. Bei Körber, Still, Jungheinrich fehlen Ingenieure. Die Unternehmen gehen bei der Rekrutierung auch mal ungewöhnliche Wege.

Ja, das alles zu organisieren und durchzuführen sei durchaus anstrengend gewesen, sagt Gabriele Fanta rückblickend. Aber es hat sich gelohnt. „Die Zahl der Bewerbungen bei Körber ist danach um 40 Prozent nach oben gegangen“, sagt die Personalchefin über den Erfolg des ersten sogenannten Career Days des Hamburger Technologie-Konzerns. Einen ganzen Tag lang und tatsächlich 24 Stunden rund um die Uhr stellte sich das Unternehmen mit weltweit mehr als 100 Standorten und gut 10.000 Beschäftigten in virtuellen Veranstaltungen vor.

Es gab Diskussionsrunden mit den Vorständen und Infogespräche mit Auszubildenden, es ging um Unternehmertum, Führung und Karrierechancen, es ging darum, was sie da eigentlich machen und herstellen in den fünf Sparten des Konzerns, und es ging auch um die rein praktische Frage, wie und bei wem man sich bewerben kann, wenn man denn bei Körber arbeiten oder eine Ausbildung machen möchte.

Fachkräftemangel: Körber sucht neues Personal

Genau das war das Ziel des aufwendigen weltweiten Karrieretags: Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, sowohl erfahrene Fachkräfte als auch junge Talente am Ende ihrer Schulzeit oder ihres Studiums mindestens auf die Firma aufmerksam machen und sie im Idealfall rekrutieren. „Wir müssen uns heute bei der Personalsuche ganz anders anstrengen als noch vor einigen Jahren“, sagt Fanta.

Gabriele Fanta.
Gabriele Fanta. © Körber AG

Für Körber bedeutet das zunächst einmal: bekannt werden und als potenzieller attraktiver Arbeitgeber verankert sein in den Zielgruppen. „Auch, wenn das im Unternehmen vielleicht nicht jeder gerne hört: Wir sind nun mal ein Mittelständler, Körber ist eben nicht Google, Apple oder Mi­crosoft, bei denen viele junge Leute schon aufgrund des hohen Bekanntheitsgrads gerne arbeiten möchten“, sagt die Personalchefin. Mit Stellenanzeigen ist der Kampf um Talente nicht zu gewinnen.

Fachkräftemangel spitzt sich immer weiter zu

Körbers Karrieretag ist nur ein Beispiel von vielen, was Maschinen- und Anlagenbauer heute tun – tun müssen – , um personell für das Hier und Jetzt und für die Zukunft gerüstet zu sein. Nach einer aktuellen Umfrage des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) hat sich der Fachkräftemangel in der Branche, die mit gut einer Million Beschäftigten ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist, in den vergangenen Monaten weiter zugespitzt. Demnach berichteten Ende Juni 78 Prozent der Unternehmen, sie hätten einen „merklichen oder gravierenden Mangel“ an Personal. „60 Prozent der Unternehmen sehen die Demografie und den Fachkräftemangel als großes Risiko an“, so VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.

Der Technologiekonzern Körber stellt zum Beispiel Verpackungen für Arzneimittel her. 200 Stellen sind in Hamburg derzeit offen.
Der Technologiekonzern Körber stellt zum Beispiel Verpackungen für Arzneimittel her. 200 Stellen sind in Hamburg derzeit offen. © Körber AG

Er fordert: „Um die vielen Facharbeiter, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, adäquat zu ersetzen, müssen junge Nachwuchskräfte eine attraktive Ausbildung im Maschinenbau und eine gute Perspektive geboten bekommen. Dies wird aber allein nicht ausreichend sein, um den Bedarf zu decken. Auch gezielte Zuwanderung wird notwendig sein, um die Arbeitskräftelücke zu reduzieren.“ Bei Körber gibt es derzeit weltweit 1000 offene Stellen, in der Region Hamburg sind es 200 bei derzeit etwa 2700 Beschäftigten.

Still und Jungheinrich haben andere Probleme

Bei Still und Jungheinrich, den beiden großen Gabelstaplerherstellern in der Stadt, ist die Personallage in der Produktion nicht so angespannt. Beide Konzerne haben derzeit eher Probleme mit Material- und Teileknappheit wegen der gestörten Lieferketten, teils herrscht Kurzarbeit. Bei Still sind am Standort Hamburg mit mehr als 2700 Beschäftigten derzeit 37 Stellen ausgeschrieben. Jahr für Jahr müssten etwa drei Prozent der Belegschaft ersetzt werden, weil Beschäftigte in Rente gehen oder den Arbeitgeber wechseln.

Roman Martin, der Jungheinrich-Personalleiter, sagt: „Die Suche nach Auszubildenden ist nicht mehr so leicht. Für bestimmte technische Spezialisten-Funktionen haben sich die Rekrutierungszeiten ebenfalls signifikant verlängert.“ Heißt: Der Konzern benötigt mehr Zeit, um Ausbildungsplätze oder frei gewordene Stellen zu besetzen.

IT-Fachkräfte dringend gesucht

Gesucht sind – wie in fast allen Branchen – vor allem IT-Fachkräfte. „Aber auch Ingenieure und Techniker sowie Projektmanager und Consultants“, heißt es bei Körber. Jungheinrich benötigt ebenfalls insbesondere Ingenieurinnen und Ingenieure. Bei Still sind Hochschulabsolventen in den Bereichen IoT und Elektronik äußerst willkommen, zudem Servicetechniker, Meister und Teamleiter in der Produktion. Bei der Rekrutierung gehen die Unternehmen teils ungewöhnliche Wege: So schickt Still ein sogenanntes Recruitingmobil zu Schulen und Fachschulen im Umfeld der deutschen Standorte.

„Das ist ein VW Bulli in Still-Optik. Unsere Personaler informieren darüber, welche Ausbildungsberufe das Unternehmen anbietet“, sagt Frank Grodzki, Sprecher des Still-Mutterkonzerns Kion. Jeder neue Azubi erhält vom Unternehmen zum Ausbildungsstart ein Notebook und kann – egal ob die Ausbildung in einem gewerblichen oder kaufmännischen Beruf erfolgt – den Staplerschein machen.

Jungheinrich will mit Gabelstaplern in Onlinegames Interesse wecken

Jungheinrich bezieht die Beschäftigten in die Mitarbeitersuche ein, zahlt eine Prämie, wenn sie dem Unternehmen eine neue Fachkraft vermitteln. Und selbst den Spieltrieb technisch interessierter Menschen nutzt das Unternehmen, um auf sich aufmerksam zu machen – und so womöglich zu ihrem Arbeitgeber zu werden: Die Spieler des Onlinegames Landwirtschafts-Simulator 22 können nicht allein mit allerlei Mähdreschern und Traktoren über einen virtuellen Acker, sondern auch mit zwei Jungheinrich-Staplern über den Hof brettern.

Deutlich zielgerichteter arbeiten die sogenannten Recruiting-Teams, die sowohl Körber als auch Jungheinrich aufgebaut haben. Sie suchen und gehen aktiv auf potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten zu, die sich nicht beworben haben oder aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sind. „Wir nutzen die sozialen Medien und fragen an, ob eine freie Stelle bei Körber für sie interessant sein könnte“, sagt Gabriele Fanta. Allein in Deutschland hat diese firmeneigene Headhunter-Abteilung bei Körber acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Automatisierung als Lösungsansatz

Der Aufwand, den die Hamburger Firmen treiben, um dem Fachkräftemangel zu bewältigen, ist groß. Man kann aber auch sagen, dass dieser Mangel für sie wirtschaftliche Chancen eröffnet, und dass sie von ihm sogar profitieren: Ob Körber, Still oder Jungheinrich – alle drei Unternehmen entwickeln und produzieren für ihre Kunden auch Anlagen, die helfen können und sollen, den Fachkräftemangel zum Beispiel in der Logistikbranche zu bewältigen. Es sind voll ausgestattete und hoch automatisierte Warenlager, die mit wenig oder ganz ohne Personal betrieben werden können.

„Für unsere Kunden zum Beispiel aus dem Bereich E-Commerce steht dabei im Vordergrund, dass sie Aufträge schnell, zuverlässig und unfallfrei abarbeiten können. Aber natürlich können solche Anlagen auch helfen, den Fachkräftemangel in der Logistikbranche zu lindern“, sagt Kion-Sprecher Grodzki. Bei Jungheinrich heißt es: „Automatisierung ist ein wesentlicher Teil der Lösung in der Wirtschaft, um dem sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangel zu begegnen.“ Für Kunden realisierte Projekte zeigten, dass der Einsatz von drei automatisierten Fahrzeugen im 24-Stunden-Betrieb an sechs Tagen pro Woche „bis zu zehn fehlende Fachkräfte verlässlich kompensieren kann“. In die sogenannte Intralogistik setzen die Hamburger Maschinenbauer große Hoffnungen.

Fachkräftemangel: Körber plant Career Week

Deshalb brauchen sie selbst mehr und neue Fachkräfte. Bei Körber läuft bereits die Vorbereitung des nächsten großen Karriere- und Rekrutierungsevents im September. Es soll kein Career Day, sondern gleich eine fünftägige Career Week werden. „Wir planen“, sagt Personalmanagerin Gabriele Fanta, „eine Art Festival.“