Hamburg. Fehlende Fachkräfte sind derzeit das größte Problem in der Gastronomie – aber nicht das einzige. Warum Besserung nicht in Sicht ist.

Die Hauptreisezeit ist da in vielen Bundesländern sind Sommerferien. Die Touristen strömen in die Stadt. Doch das Servicepersonal fehlt an allen Ecken und Enden. „Rezeptionistinnen, Köche, Barkeeper, Service- und Reinigungskräfte werden in der Stadt händeringend gesucht“, hatte Gewerkschaftssekretär Johann Möller von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schon Anfang Juli gesagt.Die Personallage hat sich in den vergangenen Monaten dramatisch verschärft. Bundesweit haben von 788.000 Menschen, die 2020 in der Branche arbeiteten, 215.000 einen neuen Beruf ergriffen.

Allein auf der Internetseite Hotelcareer sind rund 1500 freie Stellen in Hamburg gelistet. In der Gastronomie und Hotellerie seien 8000 Stellen nicht besetzt, sagt der Hamburger Dehoga-Vizepräsident Niklaus Kaiser von Rosenburg.

Gastronomie Hamburg: Köche besonders gefragt

Wer heute einen Job am Herd oder im Service sucht, wird überhäuft mit Angeboten. Das gilt selbst für ungelernte Kräfte. Gute Köche sind besonders gefragt und können entsprechend hohe Gehälter aushandeln. Die Folge: Jobhopping ist in der Gastronomie und Hotellerie zum Alltag geworden. Ein Beispiel: In einem gehobenen Restaurant in der Innenstadt erschien der Küchenchef von einem Tag auf den anderen nicht mehr zur Arbeit. Ohne Vorankündigung – er hatte einen anderen Job angenommen.

„Wir müssten einen Tag mehr öffnen, weil wir mehr Umsatz brauchen. Aber wir haben kein Personal“. So beschreibt Sebastien Thimon den Teufelskreis. Er hatte 2019 mit einem Partner das Café des Artistes im Thalia Theater eröffnet. Zunächst wurde von morgens bis in die späten Abendstunden geöffnet. Das ist Geschichte. „Wir haben die Öffnungszeiten eingeschränkt, weil wir nur Mitarbeiter für eine Schicht haben“, sagt Thimon. Geöffnet ist nun noch von 12 bis 21 Uhr, am Sonntag ist Ruhetag.

Atlantic-Restaurant seit Monaten geschlossen

Auch in der Spitzenhotellerie gibt es Personalsorgen. Wie man hört, hat das Atlantic-Restaurant im gleichnamigen Grandhotel an der Außenalster seit Monaten geschlossen, weil Mitarbeiter fehlen. Offiziell spricht der geschäftsführende Direktor Franco Esposito von „strategischen Anpassungen in der Öffnung unserer Restaurants.“

Weitere Folgen sind zu erwarten: Wegen des Personalmangels geht der Trend in den Küchen zu Convenience-Produkten. „Die sind servierfertig und können von jedem Kellner in den Ofen oder die Mikrowelle geschoben werden. Dafür brauchen sie keinen Koch mehr“, weiß Niklaus Kaiser von Rosenburg zu berichten. Die Gäste müssen sich auf weitere Einschränkungen einstellen. „Wenn im Service die Mitarbeiter fehlen, dann wird der ein oder andere in letzter Instanz auf die Selbstbedienung setzen“.

Gastronomie Hamburg: Arbeitskräfte zurück in der Ukraine

Der Hotelier, seit 38 Jahren in der Branche aktiv und bestens vernetzt, hat eine solche Situation in seiner gesamten beruflichen Laufbahn noch nicht erlebt. „Wir haben uns bislang nicht von der Pandemie mit den beiden Lockdowns erholt. Die Arbeitskräfte, die damals regelrecht aus der Branche geflüchtet sind, kehren nicht zurück. Hinzu kommt, dass auch viele Mitarbeiter aus dem Ausland, beispielsweise aus Bulgarien, Polen, Spanien oder Italien, zurück in ihre Heimatländer gegangen sind, weil sie im Zuge der CoronaKrise hier keine Perspektive mehr gesehen haben.“

Und wie sieht es mit den Menschen aus der Ukraine aus, die wegen des Krieges nach Deutschland geflüchtet sind? „In Hamburg haben viele Ukrainer in der Gastronomie oder Hotellerie angefangen zu arbeiten. Aber ein großer Teil ist schon wieder weg, zurück in die Heimat gegangen oder in eine andere deutsche Stadt. Wir hatten in unseren Betrieben 14 Ukra­iner beschäftigt, davon sind heute noch vier da. Der Rest hat sich wieder verabschiedet.“

Branche verzeichnet Rückgang von rund 40 Prozent

Und die Lage dürfte noch schwieriger werden. Denn der Branche fehlt der Nachwuchs. Das belegen aktuelle Zahlen. Ende Juni verzeichnete die Handelskammer Hamburg 323 neu eingetragene Ausbildungsverhältnisse in Hotellerie und Gastronomie, zum Vorjahreszeitpunkt waren es 365. Das ist ein Rückgang von sogar rund 40 Prozent gegenüber der Vor-Corona-Zeit. „Wir müssen daran arbeiten, den jungen Menschen aufzuzeigen, dass unsere Branche unheimlich viele Möglichkeiten bietet“, sagt Niklaus Kaiser von Rosenburg.

Niklaus Kaiser von Rosenburg ist im Vorstand der Dehoga Hamburg.
Niklaus Kaiser von Rosenburg ist im Vorstand der Dehoga Hamburg. © Michaela Kuhn

Von Oktober an wird der Mindestlohn auf 12 Euro brutto pro Stunde angehoben. Aktuell liegt dieser bei 10,45 Euro. Bringt die Erhöhung neue Probleme mit sich? „Die meisten Hamburger Betriebe zahlen heute schon mehr als 12 Euro pro Stunde. Wenn sie kein ordentliches Gehalt zahlen, bekommen sie keine Mitarbeiter. Die Löhne sind das eine, aber es wird ja auch sonst alles teurer. Das gilt vor allem für den Wareneinkauf“, sagt der Dehoga-Vizepräsident.

Gastronomie Hamburg: Preise schon jetzt stark gestiegen

Da die Gastronomen nicht aus Spaß an der Freude arbeiten, werden die Preise weiter erhöht werden. Schon jetzt ist bei vielen Gästen die Schmerzgrenze erreicht. Vor ein paar Jahren konnte man für 15 Euro inklusive Wasser und Kaffee in einem guten Restaurant in der Innenstadt zu Mittag essen. Heute muss man dafür mindestens 25 Euro pro Person veranschlagen.

Branchenexperte Kaiser von Rosenburg prophezeit: „Essen gehen wird sich wieder zu einem Luxus entwickeln. Das heißt, die Gäste kommen nicht mehr einfach so zur Nahrungsaufnahme ins Restaurant, sondern um ein besonderes Erlebnis zu haben und sich etwas zu gönnen. Aber die Menschen werden dann deutlich weniger Essen gehen. Das wird zur Folge haben, dass die Restaurants im mittleren Segment langfristig auf der Strecke bleiben und einige schließen müssen. Nicht weil das Personal fehlt, sondern weil die Gäste ausbleiben.“

Übrigbleiben würden die gehobene und die Spitzen-Gastronomie sowie günstige Fast-Food-Restaurants. Es klingt paradox. Aber Restaurantschließungen haben zur Folge, dass dann wieder mehr Personal auf dem Markt kommt.