Hamburg. In Hamburg will der Konzern die Kapazität dieses Jahr erhöhen und sucht händeringend Personal. So viel können Ingenieure verdienen.
Am 15. Juni um 11.05 Uhr startet der Hoffnungsträger von Airbus das erste Mal. Die Motoren dröhnen über den Werksflughafen auf Finkenwerder, der A321XLR nimmt Tempo auf und hebt gen Südwesten ab. Mit dem Flugzeug stößt der Konzern dank der Sprit sparenden neo-Triebwerke und des 13.000 Liter großen, fest eingebauten Tanks im Frachtraum in neue Dimensionen vor. Bis zu 8700 Kilometer kann der einstige Kurz- und Mittelstreckenjet nonstop fliegen und damit auf Langstrecken zum Beispiel von Hamburg nach Vancouver eingesetzt werden.
„Das ist ein super Flugzeug“, sagt der Konzernbetriebsratsvorsitzende Holger Junge. Doch mit dem langen Aufenthalt in der Luft steigen die Anforderungen an die Maschine. Die Fluglinien verlangen mehr Komfort und ein besseres Entertainmentsystem an Bord. Das treibe die Komplexität hoch und verschlinge deutlich mehr Arbeitszeit – und das in einer Phase, in der die gesamte Produktion der A320-Familie massiv hochgefahren wird.
Airbus fährt A320-Produktion hoch – und braucht Azubis
Zu Beginn der Corona-Krise wurde die Rate von 60 auf 40 Jets pro Monat reduziert, derzeit seien es 54. 65 sollen es im nächsten Sommer sein – so viele wie nie. Und 75 werden für 2025 angestrebt. „Bei der A320-Familie brummt es wie verrückt“, sagt Junge. Mehr als 5800 dieser Maschinen stehen im Auftragsbuch, rund die Hälfte wird auf Finkenwerder endmontiert. Das Problem: Man brauche enorm viel mehr Personal, so Junge. Und Leute mit guter Qualifikation zu finden sei schwierig.
Bei Airbus ist dafür Arbeitsdirektor Marco Wagner zuständig. Man stehe im Wettbewerb mit anderen Spitzentechnologien wie Automobilindustrie oder Maschinenbau, finde zwar neue Mitarbeiter mit den gewünschten Profilen – allerdings seien dafür immer intensivere Anstrengungen nötig, sagt der Manager im Gespräch mit dem Abendblatt: „Wir planen in diesem Jahr, die Kapazität bei Airbus Operations, im Wesentlichen in Hamburg, um 2500 Beschäftigte zu erhöhen. Das entspricht etwa 1000 Festbeschäftigten und 1500 Leiharbeitskräften.“
Airbus stellt viele frühere Leiharbeiter an
Bisher seien rund 550 Festanstellungen in Hamburg vollzogen worden, darunter sei eine signifikante Zahl an früheren Leiharbeitern. Derzeit werde auch bereits wieder auf die Dienste von 1200 Leiharbeitskräften zurückgegriffen. Das sei ein wichtiger Puffer, den man auch in der Zukunft benötigen werde. Denn die derzeitigen Unsicherheiten seien hoch, so Wagner: „Lieferkettenprobleme, Logistikprobleme weltweit, Inflation, Krieg in der Ukraine und Ähnliches lässt uns vorsichtig sein, auch wenn wir eine sehr robuste Nachfrage, insbesondere für die A320-Familie, haben.“
In der Corona-Krise waren die Leiharbeiter die ersten Beschäftigten, die gehen mussten. Weil die Luftfahrt durch das Virus innerhalb weniger Tage quasi lahmgelegt wurde und in ihre schwerste Krise schlitterte, entschied sich der Konzern zu einem harten Stellenabbauprogramm. Allein in der Hansestadt sollten mehr als 2200 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen – etwa jeder siebte.
Letztlich gingen 1000 Beschäftigte freiwillig, nahmen eine Abfindung an oder traten in den vorgezogenen Ruhestand. Kräfte, auf die man nun gern wieder zurückgreifen würde? Wagner betont, dass der Jobabbau damals richtig und wichtig gewesen sei, nun baue man neue Fähigkeiten am Standort auf. „Dass sich die A320-Produktion so schnell wieder erholt, war so zu Beginn der Krise nicht absehbar“, so der Manager.
„Das rächt sich nun“, sagt hingegen Daniel Friedrich zum Streichkonzert. Statt auf Instrumente wie Kurzarbeit zu setzen, „wurde viel zu viel und viel zu schnell Personal abgebaut“, so der Bezirksleiter der IG Metall Küste. Seit 2019 seien in Norddeutschland 10,5 Prozent der Beschäftigten abgebaut worden, die Luft- und Raumfahrt zählt nun noch gut 30.000 Beschäftigte. Laut einer Befragung der IG Metall unter Betriebsräten spüren 60 Prozent der Firmen Probleme bei der Stellenbesetzung, fast zwei Drittel der Arbeitnehmervertreter erwarten kurz- oder mittelfristig signifikanten Beschäftigungsaufbau.
Auch Zeitarbeitsfirmen haben keine Mitarbeiter mehr
„Der Tenor ist überall gleich. Die Firmen suchen händeringend Fachkräfte, finden aber keine“, sagt Nils Stoll. Er ist geschäftsführender Vorsitzender von Hanse-Aerospace. In dem Verein sind rund 140 Zulieferer der Branche mit bis zu 20.000 Beschäftigten in der Metropolregion zusammengeschlossen. Zehn Stellen könnte der Geschäftsführer von Krüger Aviation allein in seinem Unternehmen besetzen, das als Weltmarktführer für Badezimmerspiegel für Flieger vom Hochlauf der A320-Produktion profitiert. „Auch Zeitarbeitsfirmen haben keine Mitarbeiter mehr, die sie uns überlassen können“, sagt Stoll. Einkäufer, Ingenieure und Handwerker wären gefragt.
„Der Airport sucht an verschiedenen Stellen“, sagt Hamburgs Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler über den Fachkräftemangel. Handwerker wie beispielsweise Elektriker stünden hoch im Kurs. Zudem sucht der Dienstleister FraSec rund 50 Luftsicherheitskräfte für die Sicherheitskontrollen.
Lufthansa Technik: "Haben verbrannte Erde hinterlassen"
Auch der Nachbar in Fuhlsbüttel will kräftig wachsen. Lufthansa Technik möchte dort in diesem Jahr 700 Stellen extern neu besetzen. Einige Hundert sind bereits festgezurrt. Die Rekrutierung für den Standort laufe auf Hochtouren, sagte Sprecherin Pia Lüdtke: „Um den kurzfristigen Engpässen entgegenzuwirken wurden einige der geplanten Stellen durch Jobrotationen beziehungsweise Versetzungen von Mitarbeitenden anderer Standorte besetzt, um so dem akuten Personalbedarf entgegenzuwirken.“ Aktuell seien deutschlandweit 415 Stellen ausgeschrieben, der Großteil in Hamburg.
Der Weltmarktführer für die Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen machte zu Beginn der Pandemie allerdings auch Negativschlagzeilen mit Massenentlassungen. Rund 300 Beschäftigten in der Probezeit wurde gekündigt. „Wir wissen, dass wir damals verbrannte Erde hinterlassen haben“, sagt Lufthansa-Technik-Personalchef Frank Bayer Anfang April dem Abendblatt. Man habe damals aber keine andere Wahl gehabt, weil die Insolvenzanmeldung drohte. Die Konkurrenz auf dem Markt sei hart. Mit Airbus kämpfe man um luftfahrtaffine Beschäftigte, mit Konzernen wie Beiersdorf um Controller – und IT-Experten sind ohnehin in jeder Branche gefragt.
Auf die Fuhlsbüttler kommt ein weiteres Problem hinzu. Grundsätzlich gehe man „von einem kontinuierlichen Personalwachstum über die nächsten Jahre aus“, so Lüdtke. Das liegt auch daran, dass 2021 neue Überholungs- und Wartungsverträge im Volumen von 4,7 Milliarden Euro abgeschlossen wurden – eine Verdoppelung zum Vorjahr. Es ist also viel Arbeit da. Allerdings gebe es bis 2024 jedes Jahr Abgänge von mehr als 500 Personen, sei es durch den Eintritt in die Rente, in den Freizeitblock der Altersteilzeit oder Fluktuation. Gegensteuern will man auch mit einer hohen Anzahl an Auszubildenden, Trainees und Technik Students. Jedes Jahr sollen es mehr als 250 sein.
Airbus rechnet mit Azubi-Rekordjahr
Bei Airbus waren es 2019 318, in Norddeutschland, ein Jahr später 323 und im vom Jobabbau geprägten Vorjahr nur 180. „Im nächsten Jahr werden wir ein Rekordjahr bei Zugängen von Auszubildenden und Dual Studierenden haben. Wir wollen 400 junge Frauen und Männer einstellen“, sagt Arbeitsdirektor Wagner.
Insbesondere bei jungen Bewerbern käme der für 2035 angekündigte Markteintritt eines mit Wasserstoff angetriebenen Flugzeugs gut an, weil sie so die emissionsfreie Zukunft der Luftfahrt als Pioniere mitgestalten könnten. Beim Demografieproblem habe man erste Schritte unternommen, weil man sich von Beschäftigten getrennt habe, die in den nächsten Jahren ohnehin in Rente gegangen wären. Airbus sei ein attraktiver Arbeitgeber, weil man eine betriebliche Altersvorsorge, flexible Regelungen zu mobilen Arbeiten biete, sich Führungskräfte Positionen in Teilzeit teilen könnten sowie tarifgebunden sei und wirklich gut bezahle, sagt Wagner.
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Auch Gewerkschafter Friedrich hält die Branche für einen guten Arbeitgeber: „Wir können es mit gutem Gewissen jedem Kollegen empfehlen, in der Luftfahrt anzufangen. Es ist eine Branche, die Zukunft und gute Arbeitsbedingungen hat, auch dank der hohen Tarifbindung, die wir durchsetzen konnten.“
100.000 Euro für Luftfahrtingenieure
So verdient ein Fluggerätmechaniker in der Lehre monatlich 1097 bis 1191 Euro. Grob gesagt käme er nach fünf Jahren Berufserfahrung auf ein Jahresentgelt von 52.000 Euro. Nach zehn bis 20 Jahren seien es rund 59.000 Euro. Allerdings hänge die Entlohnung von den ausgeübten Tätigkeiten ab. Einen „automatischen Anstieg“ nach Lebensalter oder Berufstätigkeit gebe es nicht, sagt Kristina Thurau-Vetter von der IG Metall. Hinzu kämen Zuschläge für Nachtschicht- oder Mehrarbeit. Für Luftfahrtingenieure liege das Einstiegsgehalt bei mindestens 62.000 Euro. Erfahrungsgemäß seien es nach fünf Jahren je nach Tätigkeit bis zu 80.000 Euro, nach zehn bis 20 Jahren bis zu 88.000 Euro. Einzelvertraglich könne man auch mehr als 100.000 Euro aushandeln.
Während in vielen Branchen Automatisierung als Schlüssel gegen den Fachkräftemangel herhält, ist das in der Luftfahrt schwierig. Zwar werde Automatisierung wenn möglich genutzt, sagt Lufthansa-Technik-Sprecherin Lüdtke. Es gebe aber viele „Handgriffe“ in der täglichen Arbeit am Flugzeug, die nicht automatisiert werden könnten. Zumal die Sicherheit immer oberste Maxime sei. Bei Airbus erhofft man sich einen Durchbruch bei einem neuen Flugzeug – ob nun mit Wasserstoff angetrieben oder als A320-Nachfolger ließ Wagner offen: „Wir sind überzeugt, dass der große Wurf bezüglich der Automatisierung beim Aufsetzen eines neuen Produktes gelingt. Es wird vom Design über die Produktion bis hin zur Betriebsfähigkeit des Flugzeuges auf Effizienz und Automatisierung ausgelegt sein.“