Hamburg. IG Metall Küste kritisiert vorschnelles Streichen von Stellen in der Luftfahrt. Allein bei Airbus sind 1000 Stellen zu besetzen.

Es ist ein harter Zickzackkurs, den Airbus in den vergangenen gut zwei Jahren gefahren ist. Erst wurde die Produktionsrate für die A320-Familie wegen der Corona-Krise von 60 auf 40 Jets pro Monat gesenkt. Etwa 1000 Hamburger Mitarbeiter nahmen Angebote wie Abfindung oder Altersteilzeit an und verließen den Flugzeugbauer.

Dann wurde die Rate wieder erhöht. 54 seien es derzeit. 65 sollen es im nächsten Sommer sein – Rekord. Und sogar 75 werden für 2025 angestrebt.

Airbus: Mehr als 1000 offene Stellen beim Flugzeugbauer

Die Auftragsbücher sind voll. Doch den Ratenhochlauf zu stemmen sei problematisch, sagt Konzernbetriebsratschef Holger Junge. Stichwort Fachkräftemangel. „Personal zu bekommen ist schwierig. Wir kompensieren heute sehr viel mit Mehrarbeit“, so Junge. Damit verschleiße man aber die Mitarbeiter.

In den nächsten Monaten seien allein bei Airbus auf Finkenwerder mehr als 1000 neue Arbeitsstellen zu besetzen – und das sei noch auf eine Rate von 67 Flugzeugen pro Monat bezogen. „Obwohl wir ein sehr attraktiver Arbeitgeber sind“, spüre man die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, sagt Junge.

60 Prozent der Nord-Firmen haben Probleme

Der Branchenprimus steht damit nicht allein da. 60 Prozent der norddeutschen Betriebe in der Luft- und Raumfahrt spüren Probleme bei der Stellenbesetzung, ergab eine am Donnerstag vorgestellte Umfrage unter Betriebsräten im Auftrag der IG Metall. Die Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (AgS) befragte dafür im Norden Arbeitnehmervertreter von 24 Betrieben, die gut 30.000 Beschäftigte zählen. Die Umfrage sei repräsentativ.

„Der Personalabbau rächt sich nun“, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste.
„Der Personalabbau rächt sich nun“, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. © Unbekannt | Michael Rauhe

Durch verschiedene Maßnahmen wie Abfindungen und Altersteilzeit seien seit 2019 in Norddeutschland 10,5 Prozent der Beschäftigung abgebaut worden. „Das rächt sich nun“, sagt IG-Metall-Küste-Bezirksleiter Daniel Friedrich. Statt auf Arbeitsmarktinstrumente wie Kurzarbeit zu setzen, „wurde viel zu viel und viel zu schnell Personal abgebaut“. Für den Neustart nach der Krise seien die Unternehmen nun nicht ausreichend vorbereitet.

Betriebsräte erwarten Beschäftigungsaufbau und mehr Aufträge

Denn in der Branche ist der Optimismus zurückgekehrt. 63,6 Prozent der Betriebsräte erwarten kurz- und mittelfristig einen signifikanten Beschäftigungsaufbau, sagte AgS-Studienautor Thorsten Ludwig. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als bundesweit. Der Grund: Ebenfalls fast zwei Drittel erwarten eine Zunahme bei den Aufträgen.

Und die Auslastung soll von rund 83 Prozent im Jahr 2020 auf 98,4 Prozent im Jahr 2023 steigen. Das sei eine „historische, nie da gewesene Kapazitätsauslastung“ seit Beginn der Studie vor zehn Jahren, sagt Ludwig und verweist auf das Problem: „Die Fachkräftesituation ist ähnlich wie bei Bäckern, Lkw-Fahrern und vielen anderen Branchen: nämlich äußerst kritisch.“ Im Rest der Republik sei es mit 74 Prozent Problemen bei der Jobbesetzung sogar noch schlimmer als in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit den genannten 60 Prozent.

Gewerkschafter Friedrich warb für die Branche: „Wir können es jedem Kollegen empfehlen, in der Luftfahrt anzufangen. Die Branche hat Zukunft und gute Arbeitsbedingungen aufgrund der hohen Tarifbindung, die wir durchsetzen konnten.“ Gut 80 Prozent der Firmen würden einen Flächen-, Haus oder Anerkennungstarifvertrag anwenden. Für die Zukunft wollen immerhin 44,4 Prozent der Unternehmen die Ausbildungsquote erhöhen – für eine Lehrlingsstelle gibt es aber immer weniger Bewerber. Waren es 2020 noch 26 Kandidaten, sind es nun nur noch 15. „Wenn es immer nur um Personalabbau, Restrukturierung und Krisenbewältigung geht, dann macht das eine Branche nicht unbedingt sexy“, so Ludwig.

Airbus müsse sich auf geänderten Arbeitsmarkt einstellen

Problematisch sei zudem, dass mehr als jede zweite Neueinstellung befristet erfolgt. Die Leiharbeitsquote sei mit 5,3 Prozent historisch niedrig – auch weil einige dieser Kräfte von den Firmen neu eingestellt werden. Fast jede sechste Neueinstellung ist ein ehemaliger Leiharbeiter.

Airbus müsse sich auf den geänderten Arbeitsmarkt einstellen und gute Bedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten, fordert Konzernbetriebsratschef Junge. „Festeinstellungen statt Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge sind dafür ein wichtiger Schritt.“