Hamburg. Der Mini-Hubschrauber soll Orte verknüpfen, die man sonst nur umständlich erreicht. Beim Bau setzt Airbus auf besondere Kniffe.

Das Zukunftsszenario sieht so aus: Mini-Hubschrauber schweben am Himmel über der Stadt und befördern Passagiere über einige Dutzend Kilometer von A nach B. Angetrieben werden sie von Elektromotoren. Das soll die Lautstärke der Fluggeräte reduzieren, die gern als Lufttaxis bezeichnet werden. „Lärm ist ein superwichtiges Thema“, sagt Airbus-Manager Jörg Peter Müller im Gespräch mit dem Abendblatt, sieht die Branche dabei aber auf einem guten Weg: „Der Überflug eines elektrischen Fluggeräts ist extrem leise.“

Der promovierte Luft- und Raumfahrtingenieur ist bei dem Konzern Head of Urban Air Mobility also verantwortlich für Luftfahrtmöglichkeiten innerhalb von Städten und damit quasi für den Aufbau eines fliegenden Personennahverkehrs. Zunächst trieb der Flugzeugbauer dafür an seinem Hubschrauberstandort Donauwörth die Entwicklung seines Lufttaxis Cityairbus voran. Im vergangenen Herbst drückte das Unternehmen den Neustart-Knopf und entwickelt nun den Cityairbus NextGen, dessen Namenszusatz für neue Generation steht – und bei dem eine Reihe von Partnern dabei sind.

Airbus: „Derzeit stimmen wir die letzten Details ab"

„Wir haben mittlerweile für fast alle Hauptsysteme unsere Zulieferer an Bord. Die Verträge sind unterschrieben“, sagt Müller. Thales und Diehl Aerospace entwickeln die Flugkontrollcomputer. Spirit Aerosystems wird im nordirischen Belfast die Flügel fertigen. Magicall wird die Elektromotoren liefern – mit dem kalifornischen Unternehmen arbeitete Airbus schon bei seiner zweiten Lufttaxi-Idee zusammen: In den USA erfolgte das Projekt Vahana. Aus den beiden sogenannten Demonstratoren entwickelte Airbus das Konzept für den NextGen.

Beim ursprünglichen Cityairbus fielen an seiner Oberkante die vier kreisrunden Metallverstrebungen auf, in denen sich jeweils elektrisch angetriebene Doppelpropeller drehten. Diese hievten das Lufttaxi in die Luft. Von Vahana stammen hingegen die starren Flügel, die das Bild des neuen Cityairbus mehr in Richtung eines Flugzeuges verschieben.

„Derzeit stimmen wir die letzten Details ab. Es werden Berechnungen und Feinkonstruktionen gemacht und die Zeichnungen erstellt“, sagt Müller. Anfang 2023 sollen die Komponenten in Donauwörth ankommen und der Zusammenbau beginnen. Mehrere Monate werden dafür veranschlagt. Parallel dazu wird es immer wieder Tests von Komponenten geben. „Der Erstflug könnte schon Ende 2023 erfolgen“, sagt Müller.

Airbus: Lufttaxi soll in bis zu 450 Meter Höhe fliegen

Airbus ist für das Gesamtsystem verantwortlich. Vom Dax-Konzern kommen zudem der zentrale Rumpf, die Propeller und das dynamische System, also die Rotoren und deren Verbindung zu den Motoren. Die zugekauften Batteriezellen werden bei der „Defence and Space“-Sparte zu einer Einheit verbaut. Standort- und spartenübergreifend umfasst das Cityairbus-Team mehrere Hundert Personen. „Mit den Hamburger Kollegen arbeiten wir an Innovationsthemen wie Brennstoffzellen oder neuen Materialien zusammen“, sagt Müller. Zudem sei deren Kompetenz bei der Kabinenausrüstung und den Bedürfnissen der Passagiere gefragt.

Airbus-Manager Jörg Peter Müller.
Airbus-Manager Jörg Peter Müller. © Philippe Masclet - master films

Der neue Cityairbus wird ein Abfluggewicht von etwa zwei Tonnen haben. Über die genauen Abmessungen gibt es noch keine exakten Angaben. Allerdings soll sein Radius kleiner als acht Meter sein. Er wird elektrisch angetrieben und würde CO2-neutral fliegen, falls die Batterien ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Quellen aufgeladen werden. Er soll vier Personen Platz bieten, wobei anfangs aus Sicherheitsgründen noch ein Pilot mit an Bord sein wird. Grundsätzlich soll das Fluggerät aber autonom fliegen können. Selbst bei starkem Gegenwind soll es eine Reichweite von 80 Kilometern haben. Die Reisegeschwindigkeit wird mit 120 Kilometern pro Stunde angegeben, die Reisehöhe mit rund 150 bis gut 450 Metern.

Cityairbus soll so leise wie möglich fliegen

„Unser Ziel ist, dass unser Fluggerät im Reiseflug nicht aus dem normalen Stadtlärm herauszuhören ist“, sagt Müller. „Wir gehen davon aus, dass wir auf 65 Dezibel im Reiseflug kommen und 70 Dezibel in der Start- und Landephase.“ Zum Vergleich: Eine normale Unterhaltung hat bis zu 60 Dezibel, in der Nähe eines eingeschalteten Staubsaugers sind es um die 70 Dezibel und tagsüber an einer Hauptverkehrsstraße zwischen 70 und 80 Dezibel.

„Es gibt mehrere Stellschrauben, an denen wir drehen können, um den Lärm zu reduzieren“, sagt der 48-Jährige. Weil der Cityairbus elektrisch angetrieben wird, fallen die Geräusche eines Verbrennungsmotors schon einmal weg – den Lautstärkeunterschied dürften mittlerweile aufgrund des zunehmenden Elek­troauto-Anteils wohl fast alle Menschen im Straßenverkehr schon einmal selbst gehört haben. Allerdings kennt wohl auch jeder Hamburger den Lärm eines über einem kreisenden Polizeihubschraubers – womit der NextGen aber nicht vergleichbar sein soll.

Auch Form der Propeller könne Lärm reduzieren

Denn bei einem größeren Rotor sei häufig die hohe Blattspitzengeschwindigkeit das ausschlaggebende Kriterium dafür, dass es laut wird. Der Cityairbus wird aber nicht durch einen großen Rotor angetrieben. „Wir nutzen acht kleine, starre Propeller, die zwar schneller drehen, aber nicht so eine hohe Blattspitzengeschwindigkeit benötigen wie ein klassisches Fluggerät“, sagt Müller. Durch die Form der Blätter könne man ebenso Lärm reduzieren wie über die Drehzahl, die bei Start und Landung natürlich höher sein muss. Im Reiseflug soll sich die neue Konstruktion des NextGen mit der starren Tragfläche links und rechts sowie dem v-förmigen Heckflügel bemerkbar machen.

„Die Flügel tragen den Cityairbus und entlasten die Motoren. Es wird weniger Energie der Rotoren an die Luft abgegeben. Das senkt den Lärmpegel deutlich“, sagt Müller. Im Vorwärtsflug neige sich das Lufttaxi übrigens leicht nach vorn, die Nase zeigt etwas nach unten. Der Grund dafür: Es gibt hinten zwei leicht schräg angestellte Propeller, die sowohl den Aufstieg als das Vorankommen unterstützen. Im Zusammenspiel mit den Tragflächen, die Auftrieb generieren, fliegt das Lufttaxi nach vorn. Von der etwas schrägen Fluglage sollen die Passagiere an Bord nichts spüren.

Cityarbus soll Menschen nicht beeinträchtigen

Damit die Zukunftsvision umgesetzt werden kann, muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Generell müssten die Flugwege so gelegt werden, dass möglichst wenig Menschen am Boden davon beeinträchtigt werden. Beispielsweise könnte über Autobahnen und Bahnlinien auch der Luftraum genutzt werden. Für die sogenannten Vertiports – also Plätze, an denen die Lufttaxis senkrecht starten und landen können, Passagiere ein- und aussteigen und gegebenenfalls die Batterien geladen werden – müssen möglichst wenige Menschen belastende An- und Abflugwege gefunden werden – und natürlich Standorte, was in den eng bebauten Städten wohl die größte Herausforderung ist.

„Es geht darum, nicht nur ein Fluggerät, sondern ein ganzes Transportsystem zu entwickeln“, sagt Müller. In Deutschland hat sich Airbus mit Partnern in der Air Mobility Initiative verbündet. Zusammen mit zum Beispiel der Deutschen Flugsicherung und der Deutschen Telekom soll im Bereich Luftverkehrsmanagement der effiziente und sichere Flug der im Idealzustand autonomen Fluggeräte gewährleistet werden.

Airbus: Auch die TU Hamburg ist involviert

Denn ein sehr sicheres Management der Flüge und der möglichst weitreichende Ausschluss von Unfällen ist bei den Menschen wohl die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz durch die breite Masse. Auch die Technische Universität Hamburg ist dabei involviert und soll sich mit der Simulation der notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen beschäftigen, um Lufttaxis in einem städtischen Verkehrssystem zu integrieren und zu betreiben.

In Kooperation mit dem Münchner Flughafen und der Deutschen Bahn soll die Integration in die Stadt- und Flughafenstruktur sowie die intermodale Anbindung vorangebracht werden. „Städte werden eine viel größere Rolle spielen als sonst in der Luftfahrt“, sagt Müller. Auch weil sie die Verordnung für die Personenbeförderung regeln. Wie viele Vertiports eine Großstadt wie Hamburg perspektivisch benötige, ließ Müller offen. Aber je mehr Passagiere man befördern möchte, umso mehr Start- und Landeplätze seien vonnöten, um ein ausreichend großes Potenzial von Fluggästen anzuschließen und dichte Routen zu generieren, die für einen effizienten Betrieb nötig sind.

Lufttaxis sollen keine Konkurrenz mit Bahnlinien sein

Mögliche Vertiport-Standorte sieht er in Europa über Stadtautobahnen oder Bahnhofsvorfeldern, in den USA neben den Kleeblattstraßen an Autobahnkreuzen oder auf frei stehenden Parkhochhäusern. Etwas mehr als 20 Meter Radius und ein Luftraum darüber ohne Hindernisse seien notwendig. Die Lufttaxis sollten keine Konkurrenz zu bestehenden U- und S-Bahn-Linien sein, sondern Orte verknüpfen, die man sonst nur umständlich erreicht.

Ein mögliches Beispiel für Hamburg sei die Route vom Flughafen in Fuhlsbüttel zum Airbus-Gelände auf Finkenwerder, wo Müller übrigens früher am A380 arbeitete. Aber auch zwischen Orten am Genfer See könnte das Lufttaxi Zeit sparen. Mit der neuen italienischen Fluggesellschaft Ita Airways wurde ein Kooperationsabkommen geschlossen, um Anwendungsbeispiele für die Praxis zu finden.

Durch Lufttaxis dürfte es nicht weniger Staus auf der Straße geben

Die Verkehrsprobleme zu Lande würden die Lufttaxis wohl aber nicht lösen, sagt Müller: „Es wird nicht weniger Staus auf den Stadtautobahnen geben.“ Man sei sich bewusst, dass es sich nicht um einen Massenmarkt wie die Elektroautos handele. Allerdings kommt die Luftfahrt auch auf ganz andere Stückzahlen als die Automobilbranche. Zum Vergleich: Im besten Flugzeugjahr 2019 lieferte Airbus 863 Verkehrsjets und 332 Hubschrauber aus. Volkswagen verkaufte in dem Jahr insgesamt fast 11 Millionen Autos. Für die Luftfahrt sei der Markt daher sehr groß, so Müller: „Das Potenzial ist viel stärker als bei klassischen Fluggeräten. Wir sprechen sicherlich von zigtausend Stück.“

Modell des Cityairbus ist auf der Luftfahrtmesse ILA in Berlin zu sehen

Vom nächsten Mittwoch an bis Sonntag findet auf dem neuen Berliner Flughafen die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) statt. Sie ist die größte und wichtigste Messe der Branche in der EU. Zu sehen sind Neuerungen und Innovationen aus fünf Bereichen: Luftfahrt, Raumfahrt, Verteidigungstechnik, Zulieferer und die neue, urbane Luftfahrtmobilität wie Drohnen und Lufttaxis.

Als weltgrößter Flugzeugbauer wird natürlich auch Airbus vor Ort in Schönefeld sein. Neben dem Militärtransporter A400M werden die Frachtmaschine BelugaXL, die große Flugzeugteile zwischen den Werken hin- und herfliegt, sowie die Passagiermaschinen A350 und A380 zu sehen sein, die zum Teil auch im Werk auf Finkenwerder gebaut werden beziehungsweise wurden. Vom Cityairbus können Interessierte ein Modell im Maßstab 1:5 anschauen. Auch neue Partner für das Lufttaxi sollen in der Hauptstadt bekannt gegeben werden, heißt es.

Die Messe ist an den ersten drei Tagen dem Fachpublikum vorbehalten. Am Wochenende dürfen auch Privatbesucher auf das Gelände. Tickets kosten regulär ohne Ermäßigung 25 Euro. Für den Sonnabend sind laut der Homepage des Veranstalters aber nur noch wenige Eintrittskarten verfügbar.

Das Beratungsunternehmen Porsche Consulting stellte im vergangenen Herbst in Hamburg eine Studie vor und sieht bis 2035 einen Bedarf für Lufttaxis im konservativen Szenario von 3000 Stück, im Basisszenario von 15.000 und im fortgeschrittensten Szenario von 43.000 Exemplaren. Die Preise für die Flüge könnten sich auf dem Niveau von Taxipreisen bewegen, sagte Seniorpartner Gregor Grandl damals, „aber nur, wenn man es skaliert“, also die Stückzahl hochfährt.

Airbus: Serienfertigung des Lufttaxis bald möglich

Airbus-Manager Müller hält den Start der Serienfertigung schnell für möglich, zu einem möglichen Verkaufspreis für den Cityairbus wollte er sich nicht äußern. Die Produktion soll stärker automatisiert und standardisiert erfolgen als bei einem Hubschrauber, der wegen verschiedener Spezialmissionen wie Rettungseinsätzen deutlich komplexer ist und daher trotz Serienfertigung über mehrere Monate gebaut wird.

Im Jahr 2025 hoffe man, in die Zertifizierungsphase zu gehen, sagt Müller: „Wenn das Fluggerät zugelassen ist, gibt es nicht mehr viele technische Hürden, um eine größere Stückzahl zu fertigen.“ Zumindest noch sind die Mini-Hubschrauber am Horizont aber ein Zukunftsszenario.