Hamburg. Hamburgs Luftfahrtbranche am Ende der Corona-Durststrecke? Lufthansa Technik und Airbus stellen ein, Flughafen vor Ende der Kurzarbeit.
Unterm Dach im Terminal 2 des Hamburger Flughafens herrscht an diesem sonnigen Mai-Tag gelöste Stimmung. Airport-Chef Michael Eggenschwiler hat auf die Veranstaltungsfläche Top Deck geladen, um einen Ausblick auf die Sommersaison zu geben. Viele Norddeutsche fieberten der ersten Flugreise seit zwei Jahren entgegen. Die Passagierzahl steige stetig, sagt Eggenschwiler: „Die sehr lange Durststrecke scheint überwunden.“
Auf früheren Veranstaltungen sprach der Chef des fünftgrößten deutschen Airports gern von einem „Blitzschlag“, der die Branche getroffen habe, und einem „Würgegriff“, in dem man sich befinde – gemeint war das Coronavirus, dessen Auftreten zu Jahresbeginn 2020 die Luftfahrt lahmlegte und insbesondere die Elbmetropole hart traf. Schließlich ist die Hansestadt mit rund 40.000 Beschäftigten der drittgrößte Branchenstandort weltweit.
Luftfahrt in Hamburg gewinnt an Aufwind
Doch nicht nur bei Eggenschwiler kehrt der Optimismus langsam zurück. Mit Airbus und Lufthansa Technik senden zwei der größten Arbeitgeber der Stadt deutliche Aufwärtssignale. Das Abendblatt gibt einen Überblick über die Lage der Luftfahrt in Hamburg gut zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie.
Im April 2020 bangt Airbus-Chef Guillaume Faury um die Existenz des Luft- und Raumfahrtkonzerns. „Wenn wir nicht jetzt agieren, ist das Überleben von Airbus fraglich“, schreibt der Franzose in einer Mail an die Mitarbeiter. Die Flugzeugproduktion wurde um ein Drittel gekappt. Für die A320-Produktion – etwa die Hälfte dieser Flieger werden im Werk auf Finkenwerder endmontiert – bedeutet das einen Rückgang von 60 auf nur noch 40 Flieger pro Monat. Allein im Werk an der Elbe sollen daraufhin mehr als 2000 von 15.000 Stellen gestrichen werden. Es folgen monatelange Auseinandersetzungen mit Betriebsrat und IG Metall. Erst über den Jobabbau, dann über einen vom Management angestoßenen Konzernumbau.
Rate von 75 Flugzeugen pro Monat wird angestrebt
Doch der Flugzeugbauer könnte die Zeit der größten Turbulenzen hinter sich gelassen haben. „Nach zwei schwierigen Jahren ist das eine gute Nachricht für Airbus“, sagt Faury Anfang Mai anlässlich des Quartalsberichts. Was war geschehen? Das Unternehmen will die Fertigungsrate für seinen Verkaufsschlager in neue Höhen schrauben. In den vergangenen Monaten wurde damit begonnen. Ende des vierten Quartals 2021 sollten es 45 Flieger im Monat sein. Bis Mitte 2023 soll die Rate auf 65 steigen. Und schon in naher Zukunft sollen es so viele Flieger sein wie nie zuvor bei so einem Flugzeugprogramm. „Wir sind glücklich mitzuteilen, dass wir im Jahr 2025 auf eine Rate von 75 Stück pro Monat gehen können“, sagt Faury.
Sein Optimismus stützt sich auf das dicke Auftragsbuch mit gut 7000 bestellten Jets. 83 Prozent entfallen auf die A320-Familie. Sie ist wegen der neuen, sparsameren Triebwerke der Neo-Generation sehr gefragt. Zumal dem Pendant 737 Max des Erzrivalen Boeing nach zwei Abstürzen zeitweise ein Flugverbot auferlegt wurde. Selbst bei einer sofortigen Umsetzung der Rate 75 wären die vier Standorte Hamburg (vier Endmontagelinien), Toulouse (zwei), Tianjin (China) und Mobile (USA, jeweils eine) für 6,5 Jahre voll ausgelastet.
„Ich halte die Rate 75 für sehr ambitioniert"
Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hegt aber Zweifel am geplanten Hochlauf. „Ich halte die Rate 75 für sehr ambitioniert und sehe das Ziel skeptisch“, sagt der Hamburger. Die Pandemie liege noch nicht hinter uns, der Ticketverkauf weiter unterhalb des Vor-Corona-Niveaus. „Ich frage mich, wie die wirtschaftlich angeschlagenen Airlines dieses Volumen finanzieren sollen. 75 Flugzeuge entsprechen Kaufpreisen von 3,5 bis 4 Milliarden Euro pro Monat. Das ist schon happig.“ Zumal die auch wegen des Ukraine-Krieges steigenden Ölpreise die Branche zusätzlich in der Ertragskraft träfen, wenn die Kosten nur teilweise an die Kunden weitergegeben würden. Auf der anderen Seite mache das teurere Kerosin die sparsameren neos für die Fluglinien attraktiv.
Für die Zulieferer ist das Hochfahren der Produktion grundsätzlich eine gute Nachricht. „Die meisten Zulieferer sind froh, dass es wieder aufwärts geht, und werden den Hochlauf schaffen“, sagt Nils Stoll, geschäftsführender Vorsitzender von Hanse-Aerospace. In dem Verein sind rund 140 Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie mit bis zu 20.000 Beschäftigten in der Metropolregion zusammengeschlossen. Fast alle hängen von Airbus ab.
Viele Konkurrenten sind ins Straucheln gekommen
Auch für sein Unternehmen ist der DAX-Konzern der wichtigste Kunde. Stoll ist im Hauptberuf Geschäftsführer von Krüger Aviation. Die Barsbüttler stellen Toilettenabdeckungen, Kosmetikfächer, Lampen her und sind Weltmarktführer für Badezimmerspiegel für Flugzeuge. Während der Pandemie wurde das Geschäft eines insolventen US-Konkurrenten hinzugewonnen. „Wir haben die beste Auftragslage unserer Firmengeschichte“, sagt Stoll: „Ich bin sehr optimistisch, dass wir bei Umsatz und Gewinn zwischen zehn und 20 Prozent im Vergleich zu unserem besten Jahr 2019 wachsen werden.“
Doch einige Konkurrenten – geschätzt mindestens ein Drittel – seien ins Straucheln gekommen. Sie haben finanziellen Druck von zwei Seiten. „Auf der einen Seite steht die Rückzahlung von Corona-Hilfen an, auf der anderen Seite müssen sie in den Hochlauf investieren und Waren vorfinanzieren, um die Lager aufzufüllen – und das bei stark steigenden Materialpreisen“, so Stoll. Zudem gebe es Personalengpässe, weil viele Mitarbeiter während der Pandemie die Branche verließen. Etwa eine Handvoll Betriebe sei insolvent. An Zulieferern werde der Hochlauf aber nicht scheitern. Wer es nicht schaffe, werde von anderen Firmen ersetzt.
Airbus verdiente 4,2 Milliarden Euro – so viel wie nie zuvor
Auch Großbongardt vernimmt ein Ächzen der Zulieferer. Erst mussten sie die Produktion schnell runter-, jetzt schnell hochfahren. Das sei in einem recht starren System ein organisatorisches Problem, auch die Finanz- und Personallage sieht er kritisch. Allerdings stütze der Ratenhochlauf auch die Erholung des Luftfahrtstandorts Hamburg. Im Sommer 2020 sah er diesen „auf der Intensivstation“. Nun schreitet die Genesung voran. „Der Luftfahrtstandort Hamburg hat sich gut und schnell erholt, das Krankenhaus verlassen – aber die Rehamaßnahmen laufen noch“, sagt Großbongardt heute. Wichtig für die Erholung sei, dass mit Forschungsgeldern in der Hansestadt am Zukunftsthema „grünes“ Fliegen mit Wasserstoff- und elektrischem Antrieb geforscht werde.
Airbus geht es finanziell längst wieder gut. Nach einem Minus von 1,1 Milliarden Euro im ersten Corona-Jahr 2020 hätte es ein Jahr später Grund gegeben, Champagnerkorken knallen zu lassen. Unterm Strich stand ein Ergebnis von 4,2 Milliarden Euro – so viel Gewinn wie noch nie. Und im Auftaktquartal dieses Jahres wurden satte 1,2 Milliarden Euro verdient.
Airbus stellt neue Mitarbeiter ein
Nach den heftigen Querelen sollte es nun auch beim Personal wieder ruhiger zugehen. Etwa 1000 Mitarbeiter verließen das Unternehmen bis zum Frühjahr 2021 freiwillig, Kündigungen blieben aus. Zwar müssen zum 1. Juli 4500 Beschäftigte der Struktur- und Ausrüstungsmontage auf Finkenwerder von Airbus Operations in die neue Tochter Airbus Aerostructures wechseln, sie werden aber ihre bisherigen arbeitsrechtlichen und tariflichen Bedingungen mitnehmen – ein Kernziel der Arbeitnehmervertreter.
Am 1. Februar 2022 wurde von Werksleiter André Walter und der IG Metall der Kompromiss beim Konzernumbau verkündet. Walter kündigte mit Blick auf den Ratenhochlauf „in naher Zukunft massive Einstellungen“ an und sprach von 1000 Mitarbeitern, die in der Hansestadt gesucht werden. Dutzende Verträge sind nun unterschrieben. „Seit Anfang des Jahres haben wir am Standort Hamburg rund 150 Stammmitarbeiter eingestellt. Weitere Einstellungen werden im Laufe des Jahres erfolgen“, so Airbus-Sprecher Daniel Werdung. In Hamburg zähle man derzeit rund 14.500 Stammbeschäftigte und 1500 Leiharbeiter.
"Lufthansa Technik hat wieder eine Wachstumsperspektive“
Die Trennung von Leiharbeitskräften und Massenentlassungen von rund 300 Beschäftigten in der Probezeit waren die ersten Maßnahmen, die Lufthansa Technik mit Beginn der Krise einleitete, um Kosten zu sparen. Weil die Jets nicht mehr um die Welt flogen, brach auch die Nachfrage der Fluglinien nach Wartungs-, Reparatur- und Überholungsleistungen des Weltmarktführers dafür rapide ein. Das Personal sank binnen zwei Jahren in Fuhlsbüttel von fast 8000 auf 7250 Ende 2021. Viele Mitarbeiter waren lange in Kurzarbeit, derzeit sind es noch 1700 Mitarbeiter im Triebwerksbereich. Die Trendwende dürfte aber erreicht sein.
„Grundsätzlich hat Lufthansa Technik wieder eine Wachstumsperspektive“, sagt Anfang April Personalchef Frank Bayer. 700 Stellen will das Unternehmen in der Hansestadt dieses Jahr besetzen, darunter 200 bei der Logistik-Tochter. Derzeit seien mehr als 600 Besetzungen im Prozess, sagt Sprecher Wolfgang Reinert. Teilweise liefen die Ausschreibungen also noch, teilweise arbeiten die neuen Mitarbeiter bereits. Selbst im Triebwerksbereich wird trotz Kurzarbeit gesucht, weil es bis zu zwölf Monaten Training braucht, bis die „Neuen“ eingesetzt werden können. Und 2023 dürften die Aufträge wohl zunehmen. Im Vorjahr wurden neue Überholungs- und Wartungsverträge im Wert von 4,7 Milliarden Euro abgeschlossen. Doppelt so viel wie im Vorjahr. Bayer: „Unsere Basis für die nächsten Jahre ist gelegt.“
Lufthansa Technik spürt noch Folgen der Pandemie
Finanziell dürfte Lufthansa Technik das Schlimmste hinter sich haben. Nachdem 2020 beim Betriebsgewinn ein Verlust von 383 Millionen Euro stand, gab es ein Jahr später ein Plus von 210 Millionen Euro – auch wenn der Umsatz weit unter Vor-Corona-Niveau lag. Im ersten Quartal dieses Jahres ging der Betriebsgewinn um 167 Prozent auf 120 Millionen Euro nach oben, der Umsatz um 60 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. „Das erste Quartal war insgesamt sehr erfreulich“, sagt Reinert und ergänzt: „Lufthansa Technik ist heute ein besseres Unternehmen als vor der Krise.“ Die Nachfrage steige. Allerdings spüre man die Folgen der Pandemie immer noch, weil zum Beispiel die Null-Covid-Strategie in asiatischen Ländern die Erholung des Flugverkehrs dort deutlich bremse.
Auch der Ukraine-Krieg wirkt sich stark aus. „Das Geschäft mit russischen und ukrainischen Kunden ist vollständig zum Erliegen gekommen“, so Reinert. Insgesamt betreuen die Hamburger rund 4200 Flugzeuge, darunter rund 400 Flieger russischer Airlines. Wegen der von der EU verhängten Sanktionen ruhen diese Aufträge. Ob, wann und wie sich das ändere – nicht absehbar. Die etwa 40 Beschäftigten der Tochtergesellschaft in Russland würden bis auf Weiteres auch ohne Geschäftsbetrieb weiterbeschäftigt.
Mehr als 50 Stellen in der Sicherheitskontrolle frei
Ob es einen Ukraine-Effekt gibt, kann man beim nördlichen Nachbarn in Fuhlsbüttel noch nicht abschätzen. Bis Ende April nutzten 2,44 Millionen Passagiere den Flughafen, deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum – aber auch nur knapp die Hälfte von 2019. Im Sommer sollen es pro Woche immerhin 280.000 Fluggäste sein. Das entspräche 70 Prozent des einstigen Niveaus.
Geht Eggenschwilers Jahresprognose auf, dürfte sich die Passagierzahl zum Vorjahr auf etwa elf Millionen verdoppeln. Ob die alle rechtzeitig zu ihren Fliegern kommen, darf angesichts des Engpasses an Luftsicherheitskräften und den daraus resultierenden langen Wartezeiten an der Sicherheitskontrolle bezweifelt werden. Während vor der Pandemie rund 1000 Menschen in der Sicherheitskontrolle tätig waren, sind es nun noch 570. Mehr als 50 Stellen sind derzeit offen.
Luftfahrt: Kurzarbeit am Airport soll enden
Finanziell sieht es bei Hamburg Airport allerdings düster aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Verlust durch einen massiven Zuschuss von Bund und Ländern auf 65 Millionen Euro gesenkt, 2021 waren es ohne solche Hilfen sogar 94 Millionen Euro Minus. Ende März bei der Vorstellung der Bilanz erwartete Eggenschwiler für 2022 ein Minus von 41 Millionen Euro. Erst 2023 könnte eine schwarze Null gelingen. Um die Personalkosten zu reduzieren, sollen 200 Jobs sozialverträglich abgebaut werden.
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Zwei Drittel sind nach früheren Angaben in trockenen Tüchern. Kurzarbeit erfolge im administrativen Bereich von 22 Prozent der Beschäftigten, so Sprecherin Katja Bromm. Die Arbeitszeit sei um zehn Prozent reduziert. Zum 30. Juni werde mit dem Auslaufen der gesetzlichen Möglichkeit die Kurzarbeit beendet – auch für die lange unter Gehaltsabstrichen leidenden knapp 1900 Beschäftigten scheint die von Eggenschwiler benannte Durststrecke bald vorbei zu sein.