Berlin. Mehr Neubau, mehr Sozialwohnungen, weniger Bürokratie: Die Ampel-Koalitionäre wollen den Wohnungsmarkt entlasten. Kann das gelingen?

Kevin Kühnert soll es richten. Keine zwei Jahre ist es her, dass der damalige Juso-Chef über eine Enteignung großer Konzerne wie BMW sinnierte. Als Partei-Vize in der SPD schlägt Kühnert mildere Töne an, stimmte in Berlin gegen die Enteignung großer Wohnungskonzerne.

Und doch sind die Erwartungen des linken Parteiflügels und auch vieler Jungsozialisten an ihn groß – denn der 32-Jährige ist Verhandlungsführer für die Sozialdemokraten in der Arbeitsgruppe Bauen und Wohnen einer möglichen Ampel-Koalition.

Die Frage nach bezahlbarem Wohnen ist ein Knackpunkt in der Verhandlung der möglichen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP. Im gemeinsamen Sondierungspapier verständigte man sich auf eine „Offensive für bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen“.

Mietpreise steigen weiter: Ampel plant neue Wohnraumoffensive

Eine Wohnraumoffensive hatte auch schon die letzte Regierung angestrengt. Am Ende fiel das Fazit ernüchternd aus. Von den versprochenen 1,5 Millionen neuen Wohnungen werden mit Ende des Jahres voraussichtlich nur rund 1,2 Millionen Wohnungen tatsächlich auch gebaut sein.

Und die Mieten und Kaufpreise steigen weiter. Im Bereich der Bestandswohnungen stand bei den Angebotsmieten im dritten Quartal ein Plus von 1,4 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal, im Neubau sogar ein Plus von 2,2 Prozent, wie das Immobilienportal Immoscout24 am Donnerstag mitteilte.

Binnen fünf Jahren hat eine angebotene Wohnung im Neubau damit von 7,59 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2016 auf nun 9,82 Euro pro Quadratmeter um fast 30 Prozent zugelegt. Der Neubau ist von vielen regulatorischen Eingriffen wie etwa der Mietpreisbremse ausgenommen. Doch selbst bei Bestandswohnungen ist der Anstieg von 5,99 Euro pro Quadratmeter auf 7,26 Euro pro Quadratmeter mit rund 21 Prozent hoch.

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Kein Mietendeckel und kein Mietenstopp

SPD und Grüne hatten daher im Wahlkampf für stärkere Eingriffe plädiert. Von Obergrenzen war die Rede, zumindest aber sollten die Länder die Möglichkeit erhalten, eigene Maßnahmen einzuführen – als Reaktion auf den Berliner Mietendeckel, der vor dem Bundesverfassungsgericht mangels Zuständigkeit des Landes gekippt worden war.

Die FDP, die ihrerseits die Klage gegen den Mietendeckel mit angestrengt hatte, lehnt eine solche Öffnungsklausel aber ab – und konnte sich damit durchsetzen. Man wolle „die geltenden Mieterschutzregelungen evaluieren und verlängern“, heißt es lediglich im Sondierungspapier.

Mieterbundspräsident fordert Ampel zum Nachbessern auf

Bei Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, kommt der Passus nicht gut an. „Es gibt nichts mehr zu evaluieren“, schimpft Siebenkotten. „Die Mietpreisbremse reicht nicht aus, die Mieten steigen immer weiter.“

Er forderte gegenüber unserer Redaktion vor allem SPD und Grüne auf, nachzuschärfen. Beide Parteien hätten in ihren Wahlprogrammen versprochen, steigende Mieten begrenzen zu wollen. „Ich erwarte von den Verhandlungsführern Kevin Kühnert und Chris Kühn, dass sie mit FDP-Verhandlungsführer Daniel Föst ein Ergebnis erzielen, das seinen Namen wirklich verdient“, sagte Siebenkotten.

Es brauche ein neues Mieterschutzinstrument, führte Siebenkotten aus und nannte als Beispiel einen Mietenstopp, eine effektive Mietpreisbremse bei den Angebotsmieten sowie eine Eindämmung vorgeschriebener Angebotsmieten.

Mieterbundspräsident Lukas Siebenkotten dringt auf einen Mietenstopp.
Mieterbundspräsident Lukas Siebenkotten dringt auf einen Mietenstopp. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

100.000 Sozialwohnungen pro Jahr sollen entstehen

Vorsichtig optimistisch bewertet der Mieterbundpräsident das Hauptvorhaben des Bündnisses: 400.000 neue Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, darunter 100.000 Sozialwohnungen. Hier war es die FDP, die Zugeständnisse machte, die Zahl der 100.000 Sozialwohnungen ist eine Forderung, die aus dem SPD-Wahlprogramm übernommen wurde.

Sowohl bei den Unternehmen als auch den Gewerkschaften stößt der Plan auf Zustimmung. „Mit 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr – darunter 100.000 Sozialwohnungen – hat die künftige Ampel-Koalition eine gute Zielmarke gesetzt“, sagte Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Baugewerkschaft IG BAU, unserer Redaktion. Auch Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, wertete das Ziel positiv.

Mieterpräsident Siebenkotten schränkt dagegen ein: „Die Forderung hat einen Pferdefuß: Sie ist finanziell bisher nicht richtig unterlegt.“ Tatsächlich finden sich im Sondierungspapier keine Angaben zur Finanzierung des Neubaus. Doch allein der Sozialwohnungsbau dürfte teuer werden. „Investitionen von acht bis zehn Milliarden Euro pro Jahr wären nötig, die sich Bund und Länder aufteilen müssten“, rechnet Siebenkotten vor.

Steuerschlupfloch soll geschlossen werden

Günstiger werden könnte das Bauen, wenn die Bauämter auf den Stand der Zeit gebracht werden. Es fehlt an Personal, Digitalisierung ist in vielen Ämtern ein Fremdwort, Vorschriften sorgen für massig Bürokratie, sodass die Genehmigung von Bauvorhaben bisweilen länger als das eigentliche Bauprojekt selbst dauert. Hier will die Ampel nachrüsten.

Einnahmen generiert werden könnten zudem durch das Schließen eines Steuerschlupflochs, des sogenannten Share Deals. Erwirbt ein Unternehmen weniger als 90 Prozent an Anteilen eines anderen Unternehmens, muss es keine Grunderwerbsteuer zahlen. Das führte etwa dazu, dass bei der Megafusion der Marktführer Vonovia und Deutsche Wohnen kein Geld an das Land Berlin floss, weil Vonovia sich lediglich 87,6 Prozent der Anteile an dem Berliner Wohnungskonzern sicherte.

Spekulationsfrist soll vorerst nicht gestrichen werden

Neben einem Ende der Share Deals hat sich die mögliche Ampel-Koalition auf die Fahnen geschrieben, Spekulation mit Wohnraum stärker zu bekämpfen. So sollen Immobilien beispielsweise nicht mehr mit Bargeld bezahlt werden dürfen.

Ein Ende der Spekulationsfrist, wie es SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gefordert hatte, findet sich dagegen nicht im Sondierungspapier. Wer eine Immobilie nach zehn Jahren verkauft, muss also voraussichtlich auch weiterhin auf den Veräußerungsgewinn keine Steuer zahlen.

Kaufnebenkosten könnten gesenkt werden

Günstiger werden könnte der Erwerb von Eigentum – allerdings wohl eher theoretisch. Der Bund möchte den Ländern mehr Spielraum bei der Gestaltung der Grunderwerbsteuer einräumen.

Bis zu 6,5 Prozent macht in einigen Bundesländern allein die Grunderwerbsteuer an den Nebenkosten bei einem Kauf aus. Künftig könnten die Länder sie flexibler gestalten. Ob sie davon Gebrauch machen, ist allerdings fraglich – schließlich würden ihnen dann Einnahmen fehlen.

Neue Wohngemeinnützigkeit soll kommen

Erstmals seit mehr als 31 Jahren könnte es auch eine neue Wohngemeinnützigkeit geben. Denkbar wäre, dass Kommunen, aber auch staatliche Einrichtungen wie etwa die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben selbst in den Wohnungsbau einsteigen.

Auch private Unternehmen könnten sich verpflichten, ihre Wohnungen gemeinnützig anzubieten, und dafür im Gegenzug Steuervorteile erhalten. Wie sich die Ampel-Verhandler eine solche neue Wohngemeinnützigkeit konkret vorstellen, ist derzeit noch unklar.

Branche drängt auf Bauministerium

Offen ist zudem, wo das Thema Bauen und Wohnen in der kommenden Legislaturperiode angesiedelt sein wird. In der Branche ist man sich einig, dass es ein eigenständiges Ministerium brauche, das sich um die Themen Wohnen, Bauen und Miete kümmere. „So würde es deutlich leichter gelingen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts rund um das Wohnen sozialverträglich und generationengerecht zu beantworten“, sagte GdW-Präsident Axel Gedaschko.

Sollte das nicht klappen, müsse Olaf Scholz das Bauen und Wohnen zur Chefsache machen, fordert Mieterbundpräsident Siebenkotten – etwa indem er „eine Koordinierungsstelle im Kanzleramt ansiedelt.“ Erfahrung hat der potenzielle Kanzler mit der Thematik reichlich.

Scholz ist in der Branche gut vernetzt

Als Hamburger Bürgermeister führte Scholz 2011 den sogenannten Drittelmix ein – bei größeren Neubauprojekten werden seitdem je ein Drittel Eigentumswohnungen, ein Drittel geförderte Wohnungen und ein drittel frei finanzierte Mietwohnungen gebaut. Das Vorgehen ist nicht unumstritten, allerdings weißt Hamburg insbesondere bei der Entwicklung der Sozialwohnungen Erfolge gegenüber anderen Bundesländern aus.

Zuletzt lag das Bauressort in den Händen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der wohnungspolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Caren Lay, zeigt, war Scholz allerdings in seiner Rolle als Finanzminister sogar umtriebiger als sein Ministerkollege.

Linke kritisiert Nähe zur Immobilienbranche

An vier persönlichen Gesprächen mit großen Konzernen oder Verbänden nahm er teil – Seehofer war dagegen lediglich bei den offiziellen Gremiensitzungen zugegen und schickte ansonsten seine Staatssekretäre vor. Aus Sicht von Lay ist das allerdings kein gutes Zeichen: „Statt die Lobby zu hofieren, braucht es endlich ein effizientes Vorgehen gegen Spekulation mit Wohnungen sowie einen Mietenstopp und Mietendeckel.“

Für einen bundesweiten Mietenstopp hatte vor der Wahl auch SPD-Verhandlungsführer Kühnert geworben. In den Verhandlungen droht ein Konflikt mit der FDP, zumal der Druck auf Kühnert seitens der Parteilinken in der SPD in der Frage wächst. Sollte er die FDP umstimmen, wäre es sein Husarenstück.