Berlin. Am Dienstag zieht die Bundesregierung Bilanz zu ihrer Wohnpolitik. Sie wird sich ein gutes Zeugnis ausstellen. Hat sie das verdient?

In den Großstädten demonstrierten Zehntausende gegen zu hohe Mieten, Enteignungsfantasien machten die Runde, in Berlin wurden die Mieten nicht nur gedeckelt, sondern sogar abgesenkt. Doch dann hat die Corona-Krise die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt in den Hintergrund treten lassen, es gab keine wütenden Demonstranten mehr, zu groß waren und sind die Sorgen um die Arbeitsplätze.

Doch die „soziale Frage unserer Zeit“, als die der für die Baupolitik zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Wohnungsfrage ausgemacht hat, ist keineswegs gelöst. Im Gegenteil. Gerade mit der Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt wächst auch der Druck bei den hohen Wohnkosten. Und seit Pandemiebeginn sind Miet- und Kaufpreise vielerorts weiter gestiegen.

Am heutigen Dienstag trifft sich die Bundesregierung, um auf einem Wohngipfel Bilanz zu ziehen, was sie in dieser Legislaturperiode erreicht hat. Und so viel ist aus Regierungskreisen bereits vernehmbar: Sie wird sich selbst ein gutes Zeugnis ausstellen. Aber hat sie das verdient? Unsere Redaktion blickt auf die zentralen Vorhaben, die sich die Regierung gesteckt hat – und was daraus geworden ist.

Wohnraum

1,5 Millionen Wohnungen wollte die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode fertigstellen. Diese Zahl schaffte es aus dem Wahlprogramm von CDU/CSU direkt in den Koalitionsvertrag. Die Regierung sieht ihr Ziel als erfüllt an, rund 1,2 Millionen Wohnungen werden gebaut sein, der Bau der fehlenden Wohnungen ist zumindest genehmigt.

Eine Rechnung, die nicht aufgeht, findet Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU): „Bauminister Seehofer nimmt für seine Bilanz alle tatsächlich gebauten Wohnungen. Dazu addiert er dann alle Wohnungen, die gerade im Bau sind. Und er packt noch alle Wohneinheiten oben drauf, für die nur eine Baugenehmigung vorliegt“, rechnet Feiger vor.

Nur: „Im Rohbau kann man nicht wohnen. Und auf einer Baugenehmigung schon mal gar nicht.“ Als „unfairen Griff in die Trickkiste der Statistik“ bezeichnet der IG BAU-Chef daher die Berechnung aus dem Hause Seehofer.

Auch ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und Branchenverbänden hatte sich bereits Gehör verschafft: In Brandbriefen an die Kanzlerin, die Minister sowie Vertreter von Bund und Ländern hatten sie ihrem Ärger Ausdruck verliehen, dass die Bundesregierung nicht genug für den Wohnungsbau tue.

Als „unfairen Griff in die Trickkiste der Statistik“ bezeichnet IG-BAU-Chef Robert Feiger die Berechnungen der Bundesregierung.
Als „unfairen Griff in die Trickkiste der Statistik“ bezeichnet IG-BAU-Chef Robert Feiger die Berechnungen der Bundesregierung. © i photothek | imago stock

Sozialwohnungen

100.000 Sozialwohnungen wollte die Bundesregierung bauen, das dürfte ihr zum Ende des Jahres auch gelungen sein. Den Mangel hat Sozialwohnungen hat die Bundesregierung damit aber nicht behoben, meint Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes: „Pro Jahr fallen mehr als 60.000 Wohnungen aus der Sozialbindung.“ Diese blieben dem Markt zwar erhalten, dann aber zu marktüblichen Mietpreisen.

Dem stehen 25.000 Sozialwohnungen entgegen, die jährlich neu entstehen. Macht unter dem Strich einen Wegfall von 35.000 Sozialwohnungen pro Jahr. Gab es in den 1980er Jahren in der damaligen Bundesrepublik noch vier Millionen Sozialwohnungen, so sind es heute bundesweit nur noch rund 1,1 Millionen Sozialwohnungen. „Die Sozialwohnungsbaupolitik der Regierung ist gescheitert“, sagt Siebenkotten.

Hinzu kommt: Es entstehen nicht nur zu wenige Sozialwohnungen. Sondern auch die Mietpreise ziehen an. So hat im Verhältnis zur Inflation der Bund für einfache Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern in den vergangenen Jahren der Bund 1,9 Milliarden Euro „zu viel“ gezahlt, wie es in einer Studie des Pestel-Instituts heißt. Das entspricht fast einem gesamten Jahresetat für den Sozialwohnungsbau.

Pro Jahr werden rund 25.000 neue Sozialwohnungen gebaut. Zeitgleich fallen 60.000 Sozialwohnung aus der Bindung. 
Pro Jahr werden rund 25.000 neue Sozialwohnungen gebaut. Zeitgleich fallen 60.000 Sozialwohnung aus der Bindung.  © FUNKE Foto Services | Joerg Krauthoefer

Bezahlbare Mieten

Deutschland wohnt sehr ungleich. Während man in Chemnitz noch neue Mietverträge mit rund fünf Euro pro Quadratmeter angeboten bekommt, liegen in München die Preise im Schnitt bei mehr als 18 Euro für den Quadratmeter. 11,4 Millionen Menschen gaben laut amtlicher Statistik 2019 mehr als 40 Prozent ihrer verfügbaren Einkommen für das Wohnen aus, als Belastungsobergrenze gelten eigentlich 30 Prozent.

Der Bund ist aktiv geworden, hat im vergangenen Jahr etwa die Mietpreisbremse bis 2025 verlängert und verschärft. Seitdem können Mieter, die trotz Mietpreisbremse zu viel Miete bezahlt haben, ihr zu viel gezahltes Geld zurückfordern.

Allerdings gilt die Mietpreisbremse nur für Neuvermietungen und nicht für bestehende Mietverträge. Einen radikaleren Schritt ist daher das Land Berlin gegangen und hat mit einem bundesweit einzigartigen Mietendeckel das Mietniveau abgesenkt. Ob das rechtens ist, muss das Bundesverfassungsgericht noch klären, Gutachter hegen Zweifel daran.

Als Konsequenz des Scheiterns der Politik, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, bezeichnet Mieterbundspräsident Siebenkotten den Mietendeckel. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband forderte der Mieterbund vergangene Woche einen bundesweiten Mietenstopp.

Bezahlbares Wohneigentum

Die Bundesregierung will das Eigentum fördern, immerhin wohnen hierzulande nur 42,1 Prozent aller Haushalte in den eigenen vier Wänden. Doch der Traum von der Eigentumswohnung oder dem eigenen Haus wird immer unbezahlbarer. So zogen die Preise für Wohnimmobilien im dritten Quartal 2020 um 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr an.

Um Wohneigentum bezahlbarer zu machen, hat die Bundesregierung von September 2018 bis zum Ende des vergangenen Jahres insgesamt rund 6,5 Milliarden Euro Fördergeld für das Baukindergeld ausgegeben. 310.000 Familien haben die Leistung erhalten. Umstritten ist die Maßnahme allerdings, da sie nicht ausdrücklich für den Bau einer Immobilie, sondern auch für den Kauf einer Wohnung genutzt werden konnte. So entstehe kein neuer Wohnraum, heißt es von Kritikern. Und auch die EU hatte ihre Bedenken gegen das Instrument, sie sah eine Benachteiligung von EU-Bürgern aus anderen Ländern, die in Deutschland arbeiten.

Verhakt hat sich die große Koalition derweil bei einer Neuregelung des Baugesetzbuches, das Gemeinden und Städten mehr Handlungsspielraum für die Vergabe von Bauland einräumen soll. Seehofer will in dem Gesetzesvorhaben in Gebieten mit hohen Mieten und knappen Wohnraum die Möglichkeit auf ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen durchsetzen. Ohne die Einwilligung der örtlichen Behörde soll eine solche Umwandlung nicht mehr möglich sein. Die SPD unterstützt das Vorgehen, doch in der eigenen Fraktion stößt Seehofer auf starken Widerstand.

Enttäuscht von der bisherigen Politik ist auch der Eigentümerverband Haus und Grund. Die Bundesregierung habe Maßnahmen ergriffen, die „den Wohnungsmarkt zu zerstören drohen“, sagte Haus-und-Grund-Präsident Kai Warnecke unserer Redaktion. „Internationale Fondsgesellschaften verdrängen private Vermieter als Eigentümer, die resigniert aufgeben. Immobilien wurden zu Anlageobjekten des internationalen Finanzmarktes.“

Städtebauförderung

Attraktive Städte und Gemeinden – insbesondere nach der Corona-Krise dürfte das angesichts klammer Kassen für viele Kommunen zur Herausforderung werden. Bund und Länder helfen mit im Haushalt vorgesehenen 1,15 Milliarden Euro aus. Doch oft kommt das Geld gar nicht an. Ein gewaltiger Berg von 570 Millionen Euro hat sich über die Jahre angestaut und landet nicht bei den Kommunen. Ein Problem: Förderung kann oftmals nur erhalten, wer diese mit Eigenmitteln unterfüttert. Und so fließt das Geld dann auch vornehmlich ins ohnehin finanzstarke Bayern, während etwa in Bremen kaum etwas ankommt.

Klimaschutz

Rund 30 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland werden von Gebäuden verursacht. Ab 2026 hat die Bundesregierung daher etwa den Neueinbau von reinen Ölheizungen verboten. Seit diesem Jahr kommt zudem der CO2-Preis pro ausgestoßene Tonne CO2 hinzu. Auch hierbei ist die Koalition zerstritten. Nach derzeitiger Regelung darf der Vermieter den Preis vollständig auf den Mieter umlegen. Die SPD fordert eine Aufteilung der Kosten auf Vermieter und Mieter, blitzt dabei aber bisher bei der Union ab.

Die höheren Anforderungen im Bereich der Energieeffizienz schlagen sich auf die Preise durch. Nach einer Berechnung des Kieler Beratungsinstituts ARGE hätten Bund und Länder den Wohnungsneubau durch Auflagen in den vergangenen 20 Jahren um 13,6 Prozent verteuert.

Rahmenbedingungen

Der Bund hat das Grundgesetz geändert, um den Ländern finanziell unter die Arme greifen zu können. Auch wurden Abschreibungen verbessert und Förderlinien angepasst. Ein Problem: Viele Maßnahmen greifen nur innerhalb einer Legislaturperiode. Das reicht nicht, sagt IG-BAU-Chef Feiger, es brauche wie bei der Deutschen Bahn Planungszeiträume von zehn Jahren. Zumal sich auf dem Bau die Stimmung eintrübt.

Das geht aus einer Sonderauswertung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Anstatt die Kapazitäten zu erhöhen, geht es in die andere Richtung: Zwölf Prozent der Bauunternehmen wollen die Mitarbeiterzahl verringern, jedes dritte Unternehmen rechnet mit Geschäftsrückgängen in den kommenden zwölf Monaten. Und auch die Investitionsbereitschaft nimmt ab. Wer noch investiert, der kauft demnach vor allem Ersatzbedarf zu. Und auch wenn die Perspektiven deutlich besser sind als nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009, so steht die Bauwirtschaft doch vor einem zentralen Problem: Es fehlt an Fachkräften.

Um diese langfristig zu halten und auch den Job für jüngere Zielgruppen attraktiver zu machen, brauche es langfristige Zusagen, mahnt Feiger.