Hamburg. Mit seiner Rezeptur ist Marco Holm zum Brot-Sommelier gekürt worden. Sein Arbeitgeber will die Kreation ab März in Bioläden verkaufen

Marco Holm nimmt einen Laib Brot in die Hand und prüft ihn eingehend. Er betrachtet ihn von allen Seiten, drückt darauf, riecht daran und hört beim Schneiden genau hin, wie die Kruste klingt. Dann beißt er ab, kaut bedächtig und nickt schließlich: „So ist es gut.“

Harburger ist Bäcker und Brot-Sommelier

Holm ist seit 22 Jahren Bäckermeister der Demeter-Bäckerei Bahde in Beckedorf (Landkreis Harburg), direkt an der südlichen Landesgrenze Hamburgs. Ein mittelgroßer Mann mit Brille, der ernst wirkt und mit Bedacht spricht. Über Brot weiß er alles und redet darüber sehr gelehrt. Es gehört für ihn wie die vier Elemente zu den Dingen, die die Welt zusammenhalten. Denn Holm ist nicht nur Bäcker, sondern Brot-Sommelier.

Ausgebildet an der Bundesakademie in Weinheim ist er einer von 124 in Europa, die diesen Titel tragen dürfen. Brot-Sommeliers können nicht nur backen, sondern beschäftigen sich auch mit chemischen Fragen rund um die Garprozesse – und sind zudem echte Feinschmecker. Holm kann mit verbundenen Augen schmecken, welches Mehl verwendet wurde, welche weiteren Zutaten enthalten sind, aber auch was besonders gut zur jeweiligen Brotsorte passt.

Teig muss 30 Stunden ruhen, Gemüse zwölf Stunden dörren

Holm geht es aber nicht nur um den Titel des Brot-Sommeliers. Der 47 Jahre alte Familienvater zweier Kinder hat die Ausbildung auch für die Kreation einer neuen Brotrezeptur der Bäckerei Bahde genutzt, in deren gläserner Backstube er nun steht. Er backt ein Brot ohne Salz, was es so in Deutschland noch nicht gibt.

„Vergisst ein Bäcker das Salz im Brot, ist es eigentlich unverkäuflich. Es ist flach, pappig und schmeckt furchtbar“, sagt Holm. Zugleich gibt es aber Millionen Menschen die wegen Bluthochdrucks oder anderer Krankheiten auf eine salzarme Ernährung angewiesen sind. So entstand bei ihm der Gedanke, sich damit zu beschäftigen.

Thema der Abschlussarbeit: Null-Prozent-Brot

Hinzu kam die Diskussion um den Nutri Score, die so genannte Lebensmittel-Ampel der Bundesregierung – das alles habe ihn dazu bewegt, sich für seine Abschlussarbeit an der Akademie das Thema Null-Prozent-Brot auszusuchen.

Sogar im UKE habe er sich schlau gemacht. „In einem Kilo Brot stecken mindestens zehn Gramm Salz. Man kann zum Beispiel die Lebensqualität von Nierenpatienten erhöhen, weil sie bei konsequent salzarmer Ernährung seltener zur Dialyse müssen.“

Teig enthält gedörrtes, feingemahlenes Gemüse

Holm forschte über Monate, ließ sich im Gewürzmuseum in der Speicherstadt beraten und suchte Zutaten, mit denen sich Salz im Brot ersetzen lässt. Eine kniffelige Aufgabe: Das Salz hat nämlich nicht nur eine geschmackliche, sondern auch eine chemische Funktion. „Es bremst die Enzyme in ihrer Wirkung“, sagt Holm. Schließlich hatte er eine Eingebung: Er ersetzte das Salz durch Gemüse.

Es wird gedörrt, zermahlen und der Backmischung beigemengt. Und nun hält Holm es in den Händen, das erste Brot ohne Salz. Ein Sauerteigbrot aus Weizen- und Roggenmehl mit etwas geröstetem Dinkelmehl. Und als Besonderheit enthält der Teig fein gemahlenes Gemüse, darunter Staudensellerie, Rote Bete, Pastinaken, etwas Muskat und Schabzigerklee. „Ich hatte es auch mit Weißkohl und Topinambur versucht, aber das Ergebnis war nicht zufriedenstellend“, sagt Holm.

Brot ist leicht gelblich, als wäre darin Safran

Das Brot ist außen knusprig und innen luftig, leicht gelblich, als wäre Safran darin. Die Kruste schmeckt nussig, das Innere sehr aromatisch und leicht süßlich, weil Holm mit Honig glasierte Sonnenblumenkerne dazu getan hat. Dass Salz fehlt, merkt man nicht. Dies wird durch den Geschmack der Gewürze überdeckt.

Neben Holm steht Peter Asche, Inhaber der Bäckerei Bahde, und kaut zufrieden auf einer Brotprobe. Asche hat den Betrieb zusammen mit seiner Frau vor zwölf Jahren von der Gründerfamilie übernommen. Damals saß die Bäckerei in Finkenwerder. Vor fünf Jahren erfüllte sich Asche in Beckendorf seinen Traum von einer gläsernen Backstube und kleinem Café, das wegen Corona aber derzeit geschlossen ist.

Harburger Bäckerei beliefert 240 Geschäfte

Den Verdienstausfall kann Asche aber verschmerzen. 98 Prozent ihres Umsatzes macht die Bäckerei Bahde mit der Belieferung von Bioläden, Reformhäusern und anderen Einzelhändlern mit qualitativ hochwertigem Demeter-Brot, das aus Bio-Zutaten hergestellt wird. „Wir beliefern derzeit 240 Geschäfte in Hamburg und in einem Umkreis von 150 Kilometern darum herum“, sagt Asche.

Viel Arbeit für die 47 Angestellten des mittelständischen Betriebs, der im vergangenen Jahr zeitweise auch noch auf den Bäckermeister verzichten musste, der sich zum Brot-Sommelier weiterbildete und als Abschlussarbeit ein neues Produkt entwickelte. „Das Ergebnis ist super“, sagt Asche nicht ohne Stolz. „Wir haben das Brot ohne Salz in den Geschäften von Kunden testen lassen. Die Reaktionen waren durchweg positiv.“

Bäckermeister Holm: Brotbacken braucht Zeit

Obgleich die Produktion dieses Brots sehr aufwendig ist – allein der Sauerteig muss 30 Stunden gehen, zuvor muss das Gemüse zwölf Stunden lang gedörrt werden – will Asche das Produkt mit dem bezeichnenden Namen „Nullprozent“ bald auf den Markt bringen. Zwischen 4,25 und 4,50 Euro soll ein 400-Gramm-Laib kosten. Das ist nicht besonders viel.

In vergleichbaren Bäckereien kostet ein Kilo Sauerteigbrot 13 Euro und mehr. „Im März 2021 wollen wir das Brot ohne Salz in einer Marketingaktion vorstellen und dann in allen angeschlossenen Geschäften anbieten“, so Asche.

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Allerdings zunächst in geringer Stückzahl: „Wir sind keine Backfabrik, hier wird alles in Handarbeit hergestellt. 500 Brote am Stück können wir davon noch nicht am Tag herstellen“, sagt Holm. Der Bäckermeister will das auch gar nicht. Brotbacken brauche Zeit. Auch das könne man schmecken, nämlich ob ein Brot hastig gefertigt wurde oder mit Geduld. Nicht zuletzt wegen dieses Qualitätsanspruchs ist die Bäckerei Bahde gerade erst zum dritten Mal in Folge vom Magazin „Feinschmecker“ ausgezeichnet worden.

Holm blickt auf die Uhr. Er will nach Hause – zum Backen. Wir haben den Kindern versprochen, dass wir Weihnachtsplätzchen machen“, sagt er und stutzt dann selbst kurz: „Eigentlich ist es ja verrückt, wenn man den ganzen Tag in der Backstube gestanden hat, abends auch noch zu backen“, sagt Holm. „Aber mein Beruf ist mein Hobby, eine echte Leidenschaft.“ Asche lacht. Dann schnappt er sich noch eine Scheibe Brot ohne Salz und verlässt die Backstube.