Hamburg. Weder Geschmacksverstärker noch künstliche Aromen: Immer mehr Betriebe setzen wieder auf echtes Handwerk statt auf Masse.
Manchmal gibt es bei Backecht am Grindelhof am Wochenende schon morgens um 9.30 Uhr keine Brötchen mehr. Ausverkauft! Das ist vielleicht ein bisschen früh am Tag, aber so soll es sein. Bevor Lebensmittel weggeworfen werden müssen, ist es Lars Neumann lieber, wenn die Regale leer sind. Dem 38-Jährigen geht es um Nachhaltigkeit, darum, Lebensmittel wertzuschätzen. Und so lässt er nur so viele Brote, Brötchen, Kuchen und Co. backen, wie schätzungsweise auch gekauft werden. Damit liegt der Chef der drei Backecht-Filialen in Rotherbaum, Hoheluft-West und Eppendorf im Trend. Die Zahl der Brotläden und kleinen Bäckereien, die das Backhandwerk schätzen, nimmt in Hamburg zu. Sie sind unter den insgesamt 70 Bäckereien in der Stadt das Gegenstück zur Fabrikware der großen Ketten und kommen dazu häufig in stylischem Ambiente daher.
Aus einer Bierlaune heraus hat Lars Neumann 2015 die erste Backecht-Filiale am Grindelhof eröffnet, im Februar kam die neueste am Eppendorfer Weg hinzu. Aus einer Bierlaune deshalb, weil sein bester Freund aus Kiel Bäcker ist und seinem Kumpel sagte, in Hamburg bekäme man ja kein anständiges Brot. Weil Lars Neumann in seinem damaligen Job im Vertrieb ohnehin nicht glücklich war, sattelte er um, machte ein Praktikum in der Backstube und im Verkauf. Sämtliche Backwaren kommen seitdem aus der großen Bäckerei Rönnau seines besten Freundes aus Kiel.
Der Teig hat bis zu 30 Stunden lang Zeit, zu reifen
Ob der Brotladen Bread fast neben dem Geschäft von Lars Neumann, ob die Kette Zeit für Brot mit der Ottenser Filiale oder die Brotmanufaktur von Sören Korte an der Weidenallee – was diese Betriebe gemeinsam haben: Sie lassen dem Brot die Zeit, die es braucht, sie verzichten auf Geschmacksverstärker oder künstliche Aromen. Sie bringen ein bisschen die gute alte Zeit zurück, als Brötchen nicht in erster Linie aus Luft bestanden. „Wir setzen auf Handarbeit“, sagt Lars Neumann. So reift der Teig 26 bis 30 Stunden. Vieles wird selbst hergestellt. „Den Kürbis fürs Kürbisbrot bauen wir selbst an“, so Neumann. Das Getreide kommt aus Norddeutschland, Früchte für den Kuchen kommen aus der Region, sodass es Erdbeer- oder Apfelkuchen eben auch nur saisonal gibt. Die meisten Kunden wissen das zu schätzen.
Aber natürlich gibt es immer Leute, die unzufrieden sind und sich dann darüber beschweren, wenn Waren ausverkauft sind. „Ich möchte nachhaltig produzieren. Die Wegschmeißmentalität ist nicht mehr zeitgemäß.“ Ausschuss gibt es kaum. Übrig gebliebener Kuchen wird etwa zu Rumkugeln verarbeitet oder an die Schweine von Freunden aus der Landwirtschaft verfüttert. „Ich mache keine Kompromisse“, so Neumann. In seinen Waren finden sich weder Schmierstoffe noch Palmöl, Brot wird nicht künstlich nachverdunkelt. Es geht auch ohne, einfach natürlicher, auch wenn das mehr Zeit beansprucht. Nicht immer müssen diese Waren deshalb teurer sein. Das Schnittbrötchen bei Lars Neumann gibt es ab 42 Cent, das Kilo Roggenvollkornbrot ab 3,95 Euro. „Und frischere Brötchen als bei uns gibt es nicht“, verspricht Neumann. Denn: Nachdem der Brötchenteig ruhen konnte, wird er im Laden aufgebacken.
Präsident der Handwerkskammer Hamburg freut sich über Entwicklung
Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, freut sich über diese Entwicklung: „Es ist schön, dass sich junge Ernährungshandwerker auf das Ursprüngliche und Echte zurückbesinnen und damit den Nerv ihrer Kunden treffen. Ein ähnliches Beispiel ist die Renaissance naturbelassener Craftbiere und der große Erfolg junger Hamburger Brauer in diesem Bereich.“
Vom Trend, mehr Wert auf hochwertige Nahrungsmittel zu legen, profitiert auch das Bäckerhandwerk. „Das ist kein einfaches Handwerk, und man muss schauen, wo man seine Nische findet“, sagt Jan Loleit, Geschäftsführer der Bäckerinnung Hamburg. Anders als die großen Ketten mit Öffnungszeiten von acht bis 18 Uhr setzten diese kleineren Läden dann eher auf reduziertes Angebot zu anderen Öffnungszeiten. „Weil sie sich diese beschränkten Öffnungszeiten erlauben können“, so Loleit.
Christian Aeby bietet nur eine Sorte Brot an
Wer nicht schnell genug ist, findet beispielsweise bei Bread am Eppendorfer Weg in Hoheluft-West nur noch ein Schild im Schaufenster: Ausverkauft, steht dort dann. Von 14 bis 18 Uhr können Kunden das Sauerteigbrot Büürli von Christian Aeby dort kaufen. Und nur das. Es ist wohl der einzige Brotladen in Hamburg, der nur eine Sorte anbietet, in einer dickeren und einer schlankeren Version. Das Schweizer Sauerteigbrot wird in einer Bäckerei in Altona nach Aebys Vorgaben im Holzofen, mit ausschließlich naturbelassenen Zutaten und nach ursprünglicher Art gebacken. Drei Tage lang darf der Teig ruhen. Mehl, Wasser, Salz, Malzextrakt und Acerolakirsche sind die Grundzutaten, die bei 300 Grad im Holzofen gebacken werden. Weniger ist eben manchmal mehr.
Genau wie bei Sören Korte, der sich ausgerechnet während der Hochphase der Corona-Pandemie mit seiner „Brotmanufaktur“ an der Weidenallee selbstständig gemacht hat. Der Bäcker steht selbst täglich bis zu zehn Stunden in der Backstube in Altona und lässt seine Brote mittags per Fahrradkurier in den Laden ausliefern. Seine Mitarbeiterin verkauft ab 14 Uhr die bis zu acht Sorten Brot – diese heißen Kaventsmann, Voll auf die Nuss oder Rakete.
Backen nach Bedarf
Rakete ist ein Sauerteigbrot ähnlich wie das Büürli, allerdings mit Rotwein versetzt. „Ich verwende keine Zusatzstoffe, kein Malz“, so der 35-Jährige, der die Faszination Brot so erklärt: „Brot ist für mich Leben, man kann es nach dem Aufstehen essen, mittags und sich abends auch noch eins reinziehen.“ In Hamburg allerdings habe er lange Zeit richtig gutes Brot vermisst. Also musste er es selbst in die Hand nehmen. Gerade erst wurde er, wie auch zuvor schon sein Mitbewerber Christian Aeby von Bread, vom Gourmet-Magazin „Falstaff“ zum besten Bäcker Hamburgs gewählt. 12.000 Kunden wurden befragt. Und diese stehen an diesem heißen Dienstagmittag pünktlich zur Ladenöffnung vor dem Geschäft. Kortes nächstes Ziel: eine gläserne Backstube.
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So wie bei Zeit für Brot. Direkt vor Ort im Laden lässt Betriebsleiter Florian Mohaupt an der Ottenser Hauptstraße, backen. „Wir sind einige der wenigen mit einer gläsernen Backstube“, sagt er. Mit Filialen in Frankfurt und Berlin und einer weiteren Ende des Jahres in Eppendorf gehört Zeit für Brot zu den größeren kleinen Bäckern. Aber auch hier darf der Teig für Brot und Brötchen lange reifen, und auch hier geht es darum, wenig wegzuschmeißen. „Wir backen nach Bedarf“, so Mohaupt. Die Zutaten kommen aus ökologisch-kontrolliertem Anbau – alles ohne Geschmacksverstärker oder Backmischungen. Auf dem Dorf, sagt Mohaupt, würde dieses Konzept wohl eher nicht greifen. In der Stadt seien Kaufkraft und die Kundenfrequenz in bestimmten Stadtteilen einfach höher.