Braak. Zu Besuch in der Braaker Mühle. Die Produktion ist jeden Tag aufs Neue ein Kampf gegen die Zeit. Wir erklären, warum.
Während viele Menschen noch tief in ihren Federn träumen, herrscht unterhalb der trutzigen Braaker Mühle bereits Hochbetrieb. Jeden Tag beginnt in der gleichnamigen Traditionsbäckerei gegen zwei Uhr im Wortsinn die heiße Phase.
„Es ist ein immer währender Kampf gegen die Uhr“, weiß Juniorchef Tim Lessau. Sollen die Kunden des alteingesessenen Familienunternehmens zum Frühstück pünktlich ihre frischen Brötchen und kräftigen Snacks genießen können, müssen die Transporter spätestens um 4.35 Uhr beladen sein und vom Hof rollen.
Als die 13 Bäcker und zehn Konditoren ihren Platz in dem perfekt getakteten Gefüge einnehmen, ist der Teigmacher schon vier Stunden in Aktion. Was er nicht vorbereitet hat, kann in der Hochphase der Produktion nicht gebacken werden. „Wir geben unseren Teigen viel Zeit sich zu entwickeln“, sagt Backstubenleiter Matthias Beckmann (43). Das sei enorm wichtig für die Bekömmlichkeit aller Produkte.
Baguette-Teig muss drei Tage lang reifen
Das frische Mehl braucht deshalb frühzeitig Kontakt zum Wasser. So können die Enzyme erst richtig arbeiten. Um letztlich Geschmack sowie später beim Ausbacken eine saftige Krume und eine knackige Kruste ausprägen zu können. Dieser Prozess dauert von Teig zu Teig unterschiedlich lang. Der Sauerteig, der mit seiner Säurebildung vor allem bei Roggenbroten eine wichtige Funktion hat, muss mindestens zwölf Stunden vor seinem Einsatz angesetzt werden. Baguette-Teig braucht zur optimalen Reife gar drei Tage.
Das Gros des verarbeiteten Getreides stammt von Produzenten aus der Region. Für die spezielle Bio-Linie des Unternehmens, das sind sieben von insgesamt 15 Brot- und drei von insgesamt 19 Brötchensorten, wird zusätzlich Korn aus dem biologischen Anbau des Guts Rosenkrantz der Familie von Münchhausen nahe Neumünster geordert. Gemahlen werden Weizen, Roggen und Dinkel auf den alten Mühlsteinen der Braaker Mühle von 1849.
Dank Elektroantrieb arbeitet die Mühle auch bei Flaute
„Das klassische Mahlen in der alten Mühle verleiht gerade unseren Vollkornprodukten einen edlen Geschmack. Sie sind reich an Vitaminen, Ballast- und Mineralstoffen“, sagt Tim Lessau. In sechster Generation leitet der 30-Jährige seit 2014 das Familienunternehmen. Und gehört inzwischen zu den gefragtesten Brotsommeliers des Landes.
Dank eines modernen Elektroantriebs liefert die achteckige Galerieholländerin mit den elf Meter langen Flügeln auch bei Flaute verlässlich das benötigte Mehl. An diesem Morgen sind rechtzeitig zwei Tonnen Weizenmehl für die Brötchenproduktion durch ein unterirdisches Kanalsystem in die Mehlspeicher der Backstube geblasen worden.
Auf einer Spezialwaage sind alle Rezepte gespeichert
Am Platz des Teigmachers steht Thomas Köhler, umgeben von bis zu 40 Zutaten. Dazu gehören neben zehn verschiedenen Mehlsorten vor allem Quellsalz, Hefe und Butter. Und zwar nicht pfund-, sondern kiloweise. Was dann zum Mischen in die großen, stählernen Kessel der Knetmaschine kommt, muss exakt bemessen sein. Dabei verlassen sich die Teigregisseure nicht nur auf Augenmaß und Gefühl. „Schon hier kann man buchstäblich viel versemmeln“, weiß Beckmann. Darum sind in der Spezialwaage alle Rezepturen samt Zutatenmengen gespeichert – aufs Gramm genau. So will die Waagschale dann auch befüllt werden. Andernfalls unterbricht das Elektronenhirn kurzerhand den Fortgang des Prozederes.
„Wir versuchen, unsere Rezepturen ständig zu verfeinern. Dafür setzen wir auf beste Zutaten und verzichten konsequent auf Geschmacksverstärker und künstliche Aromen“, sagt Tim Lessau. Wegen Lieferproblemen kostete das Kilo Vanille die Importeure Ende 2018 bis zu 500 Euro. „Trotzdem haben wir das Gewürz geordert. Wenn bei uns Vanille draufsteht, dann ist auch Vanille drin. Und nicht irgendetwas, das nur schmeckt wie Vanille“, so Lessau.
Brote werden hier per Hand geformt
In dieser Schicht packt der Chef selbst an. Gemeinsam mit Lucia Huber und Azubi Adrian Grothe formt er einen Brotteig, der nicht maschinell portioniert und geformt werden kann. Lucia Huber stammt eigentlich aus der Toskana und hat ursprünglich Tiermedizin studiert. Doch 2012 sattelte die 30-Jährige um und absolvierte in der kleinen Gemeinde Sandesneben eine Bäckerlehre.
„Das hat mich schon immer interessiert. Außerdem mag ich Norddeutschland“, sagt die Tochter eines Deutschen und einer Schweizerin. Der Job sei körperlich schon sehr fordernd. Mit den unorthodoxen Arbeitszeiten habe sie indes kein Problem. „Dafür habe ich schon Feierabend, wenn andere zur Arbeit gehen.“
20 Laibe plumpsen pro Minute aufs Band
So sieht das auch Sven Rath. Der 48-Jährige, der ursprünglich Koch werden wollte, hat in Trittau gelernt und gehört inzwischen 26 Jahre zum Mühlenteam: „Ich fühle mich hier echt wohl, auch wenn die Arbeit keine große Abwechslung bietet.“ Dafür vergehe die Zeit oft wie im Fluge. Den Takt gibt nicht selten ein Teigteiler vor. Der lässt 20 Brotlaibe in der Minute aufs Band plumpsen, die Rath dann geschwind in bereitstehende Formen legen muss.
In seinem Rücken rattern zwei große Brötchenstraßen, die unablässig Teiglinge auf die vorbereiteten Bleche schieben. Dort müssen auch Ahmed Al-Tamemi, der als Flüchtling nach Deutschland kam, und Oliver Kwiatkowski stets auf der Hut sein, um die vollen Bleche durch leere zu ersetzen. Einige Meter weiter schiebt Backstubenleiter Matthias Beckmann gerade Dutzende Brote in den mehr als zwei Meter hohen Backofen. Bei Temperaturen in Ofennähe zwischen 40 und 50 Grad eine wahrhaft schweißtreibende Angelegenheit.
Mitarbeiter müssen zur Qualitätskontrolle probieren
Nebenan, in der Konditorei, stehen an diesem Tag neben Butter- und Pflaumenkuchen auch Mandelkränze auf dem Plan. Es ist faszinierend, in welchem Tempo die Auszubildenden Jasmin Fahje und Anetta Gesteredi aus langen Plunderteigstreifen die Kränze flechten.
Anetta, die in Satu Mare im Nordwesten Rumäniens geboren wurde, träumt dabei von einer eigenen Konditorei. Parallel zur Lehre absolviert die 20-Jährige ein duales Studium an der Berufsakademie Hamburg im Fach BWL. „Damit bin ich sicher bestens gerüstet, um meinen Traum wahr werden zu lassen“, glaubt sie. Im Mühlenteam habe sie seit September 2018 schon viel gelernt. Allerdings auch fünf Kilo zugenommen. „Dass wir zur permanenten Qualitätskontrolle immer wieder kosten müssen, ist echt gefährlich. Aber ich liebe das. Vor allem die Himbeer-Buttermilchschnitte“, gesteht Anetta.
Wenn die Sonne aufgeht, ist Zeit zum Durchatmen
Unterdessen sind die fünf Packer um Sasha Tabel bereits dabei, die fertigen Produkte für den Versand vorzubereiten. Auf kleinen Displays über ihren Köpfen leuchtet, was für die jeweilige Filiale in die Stiegen sortiert werden muss. Kein leichtes Unterfangen angesichts der Tatsache, dass pro Schicht 2000 Brote, 30.000 Brötchen und bis zu 4000 Stück Kuchen zu verteilen sind.
Punkt halb fünf stehen dann die sechs Transporter der Braaker Mühle bereit. Ingo Burmeister, der seit 18 Jahren zum Team gehört, fährt die Tour Großensee, Siek, Trittau. „Das ist eine schöne Runde. Zumal die Straßen um diese Zeit noch schön leer sind“, sagt er. 22 Filialen, davon neun in Stormarn und 13 in Hamburg, sowie acht Wochenmärkte beliefern sie an jedem Wochentag.
Als die Transporter unterwegs sind, wird in Backstube und Konditorei erst einmal durchgeatmet. Die zweite Halbzeit mit den Produkten für den Nachschub und den Vorbereitungen für den nächsten Tag können die Bäcker und Konditoren jetzt etwas ruhiger angehen lassen. Endlich ist Zeit für einen Kaffee und ein Lieblingsstück aus der eigenen Produktion. Während sich draußen der Nebel über den Feldern lichtet – und im Osten langsam die Sonne aufgeht.