Hamburg. Chef der Arbeitsagentur Hamburg sieht mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht alle Probleme gelöst. Tipps für Jugendliche.

Auf dem Hamburger Arbeitsmarkt läuft es zum Jahresende nicht mehr ganz so rund, die Zahl der Jobsuchenden steigt leicht zum Vorjahr. Das Abendblatt sprach mit Sönke Fock, dem Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in der Hansestadt, über die Aussichten für das Jahr 2020, die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt, was gegen den Fachkräftemangel getan werden kann und Berufe mit Zukunft.

Hamburger Abendblatt: Wie fällt Ihr Fazit für den Arbeitsmarkt 2019 aus?

Sönke Fock: Wir hatten mit einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit gerechnet. Zwar ist die Zahl der Jobsuchenden gesunken, aber nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. Hatten wir 2018 noch im Schnitt 65.600 Arbeitslose, so erwarten wir für 2019 rund 64.700 Jobsuchende. Es ist also nur noch ein leichter Rückgang von 1,35 Prozent. Erfreulich ist, dass sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen überdurchschnittlich um sieben Prozent oder 1235 Personen in diesem Jahr verringert hat.

Wie geht es 2020 weiter?

Fock: Die Arbeitslosigkeit wird nicht nur von konjunkturellen Faktoren bestimmt. Immer wichtiger werden die strukturellen Veränderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die die Unternehmen zu meistern haben. Davon sind vor allem die Zulieferer für die Automobilindus­trie, Einzelhandel, Banken und Versicherungen betroffen. Gleichzeitig gibt es in anderen Branchen wie dem Handwerk, dem Bau, bei den IT-Dienstleistern, in der Gastronomie und der Pflege- und Gesundheitswirtschaft eine hohe Nachfrage nach Fachkräften, die aber nicht komplett gedeckt werden kann. Unterm Strich werden wir 2020 eher eine stagnierende bis leicht steigende Arbeitslosigkeit in Hamburg haben. Auch wenn es schwieriger wird, merken wir, dass die Firmen ihre Fachkräfte halten wollen.

Was können Firmen und Politik gegen den Fachkräftemangel tun?

Fock: Zunächst ist es den Firmen schon gelungen, das Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Davon haben Frauen profitiert, die eine bessere Kita-Betreuung vorfinden, aber auch Langzeitarbeitslose, deren Zahl überproportional zurückgegangen ist. Hinzu kommen Berufsanfänger und auch Zuwanderer aus der EU und Drittstaaten, die den Arbeitsmarkt bereichern. Das zeigt sich in den erstmals mehr als einer Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg, die wir in diesem Jahr im Herbst erreicht haben. Bei den Zuwanderern aus der EU würde ich mir wünschen, dass wir sie sprachlich ebenso fördern können wie Geflüchtete, um sie besser in den Arbeitsmarkt zu inte­grieren. Die Firmen selbst können noch mehr in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter investieren. Allerdings kann ich verstehen, dass solche Vorhaben schwer umzusetzen sind, wenn die Auftragsbücher noch voll sind.

Was erwarten Sie vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz ab Frühjahr?

Fock: Ich denke, dass die Erwartungen höher sind als die Möglichkeiten. Beseitigt wird durch das Gesetz nur die Vorrangprüfung – also wenn jemand aus Drittstaaten eingestellt wird und dann zuvor geprüft werden muss, ob nicht ein EU-Staatsbürger oder ein Deutscher für die Stelle infrage kommt. Die zweite Hürde ist, dass Menschen mit beruflichen Abschlüssen nur einwandern konnten, wenn auf einer Liste von Engpass-Berufen ihre Qualifikation ausgewiesen war. Diese beiden Hürden sind beseitigt worden. Eine große Hürde ist weiter die Anerkennung der beruflichen Abschlüsse und die erforderlichen Deutschkenntnisse. Zudem steht Hamburg im Wettbewerb mit anderen Ländern, in denen man auch mit Englischkenntnissen beruflich sofort durchstarten kann.

Wie läuft die Integration von Flüchtlingen in den Hamburger Arbeitsmarkt?

Fock: Ohne Flüchtlinge würde Hamburgs Arbeitsmarkt nicht funktionieren. Sie werden gebraucht. Denn ohne sie würden viele Firmen ihre Arbeit nicht leisten können. Inzwischen sind rund 13.500 Flüchtlinge in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit, davon rund 60 Prozent als Fachkräfte, die übrigen in Helfertätigkeiten. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Flüchtlinge um 31 Prozent erhöht. Exakt 6662 Flüchtlinge aus den acht wichtigsten Herkunftsländern sind derweil noch arbeitslos gemeldet. Gegenüber dem Vorjahr hat ihre Zahl kaum zugenommen.

Wie wird sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs entwickeln?

Fock: Wenn sich das Wirtschaftswachstum wie von der Bundesregierung erwartet 2020 auf ein Prozent verdoppelt, erwarten wir als Arbeitsagentur einen weiteren Aufbau der Beschäftigung. Realistisch ist eine Größenordnung von rund 20.000 zusätzlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg.

Was sollte ein heute 18-Jähriger lernen oder studieren, um später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben?

Fock: Entscheidend ist zunächst ein guter Abschluss in der Ausbildung oder dem Studium. Dann ist man schon bestens gerüstet für den Arbeitsmarkt. Ein Teil der Jugendlichen möchte sich im Berufsleben auch nicht mehr kommerziellen Interessen unterordnen. Für sie sind Gemeinwohl oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtiger. Daraus resultiert wohl, dass der öffentliche Dienst als Arbeitgeber stark an Bedeutung gewonnen hat. Vor allem der Lehrerberuf ist angesichts des Mangels sehr zukunfts­fähig. Allerdings werden die Herausforderungen im Alltag oft unterschätzt.