Hamburg. Wie Hamburg Fachkräfte aus Drittländern in Handwerksbetriebe integriert. Und zusätzlich Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot bringt.
Zwei neue Bundesgesetze sollen die Unebenheiten am Arbeitsmarkt glatt ziehen helfen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird ab 1. März 2020 die Anwerbung der fehlenden Spezialisten aus Nicht-EU-Ländern erleichtern, das Teilhabechancengesetz bringt seit Anfang 2019 schon Langzeitarbeitslose wieder in echte Beschäftigung.
Hamburgs Arbeitssenatorin Melanie Leonhard und der frühere Hamburger Sozialsenator und jetzige Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (beide SPD), besuchten und befragten zwei Handwerker, die unterschiedlicher kaum sein könnten, an ihren neuen Arbeitsplätzen.
Zwei Männer wie Feuer und Wasser
Vitali Manuilov (52) kommt aus der Ukraine, ist kerngesund und sprüht vor Tatkraft. Er ist gelernter Anlagenbauer und hat über die Vermittlung der Handwerkskammer und ihres „Brücke-ins-Handwerk“-Projekts in die Klempnerei Günther Hamer in Schnelsen gefunden.
Zwei Sprachkurse hat er mit beachtlichem Erfolg hinter sich gebracht, jetzt lernt er den Slang und das schnelle Sprechen von den Kollegen. Und macht eine Fortbildung bei der Innung, die die Lücken schließen soll, die sich zwischen dem technischen Standard in der Ukraine und dem in Deutschland aufgetan haben.
Frank Meyer (55) ist gelernter Bautischler, hat sechseinhalb Jahre gegen den Krebs gekämpft und ist noch heute gehandicapt. Wenn er schwer körperlich arbeitet, könnte die Narbe an der angenähten Zunge wieder aufgehen.
Diese Einschränkung bedeutet das Aus für die Arbeit auf dem Bau, aber den Neuanfang im Michel, wo er seit Oktober in Vollzeit in der Hausmeisterei hilft. Dank eines neuartigen sozialpolitischen Förderansatzes, der Abschied genommen hat vom Ein-Euro-Job und dem künstlichen 2. Arbeitsmarkt.
Paradigmenwechsel in der Förderpolitik
„Wir haben im ersten Jahr 650 Langzeitarbeitslose mit den Fördermöglichkeiten des Teilhabechancengesetzes vermitteln können“, sagte Sozialsenatorin Leonhard am Freitag in einer ersten Bilanz. „Das sind 50 mehr, als wir uns vorgenommen hatten.“
Scheele sprach von einem „Paradigmenwechsel“ in der Förderpolitik: "Das neue Gesetz erkennt die faktische Lage auf dem Arbeitsmarkt an und versucht nicht, Leute juristisch als arbeitsfähig zu definieren, die praktisch kaum vermittelbar sind.“
Anders als bisher werden Langzeitarbeitslose wie Meyer nicht „in Maßnahmen gebracht“ und in Projekten sozialer Träger mit kurzen Laufzeiten auf dem 2. Arbeitsmarkt beschäftigt, sondern es werden normale Arbeitgeber auf dem freien Markt angesprochen.
Ihnen wird ein langfristiges „Geschäft“ vorgeschlagen: Sie bekommen eine Arbeitskraft, die sie vorher in Praktika kennenlernen können, vom Staat beziehungsweise der Gemeinschaft der Versicherten finanziert. Zunächst voll, nach zwei Jahren zu 90, dann zu 80 und im fünften Jahr zu 70 Prozent. Danach müssen sich der Beschäftigte und sein Arbeitgeber entscheiden, ob es auch ohne Subventionen weiter geht.
Langzeitarbeitlose können in frei werdende Stellen hineinwachsen
„Wir erwarten, dass sich so über natürliche Fluktuationen in den Betrieben und die lange Gewöhnungs- und Einarbeitungsphase echte Chancen für Langzeitlose ergeben“, sagte Scheele. Leonhard erklärte, dass es Hamburg bereits im ersten Jahr gelungen sei, Langzeitarbeitslose in ein ungefördertes Arbeitsverhältnis zu bringen.
Meyer schneidet die Hecken und Büsche auf dem Michel-Vorplatz, deckt das Café im Gemeindehaus für Gäste und die Sänger aus den Chören ein, bestückt die Servierwagen in der Küche (“Immer 90 Gedecke“) und die Spülmaschine. Sein erster Gang morgens führt ihn zum Computer, der ihm sagt, wer heute welche Räume nutzt und versorgt werden müssen.
Lieber am 1. Arbeitsmarkt fördern als für immer alimentieren?
Der neue gesetzgeberische Ansatz soll es vermeiden, Langzeitarbeitslose bis zu ihrem Lebensende zu alimentieren. Denn die Beschäftigung auf dem 2. Arbeitsmarkt wird staatlich finanziert. Der soziale Träger, der als Arbeitgeber gegenüber dem Langzeitarbeitslosen auftritt, bekommt das Geld für die Gehälter aus den öffentlichen Haushalten. Das Hamburger Jobcenter berät interessierte Arbeitgeber zum Teilhabechancengesetz unter der Telefonnummer 040 / 2549 96 555.
Der enger werdende Arbeitsmarkt mit besseren Aussichten für Arbeitnehmer einerseits und die sinkenenden Arbeitslosenzahlen andererseits spielen den Sozialpolitikern für ihren Strategiewechsel in die Karten. Letztere werden von März 2020 an mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auch in der Einwanderungspolitik neu gemischt.
Einwanderung für alle Berufe
„Die derzeitige Beschränkung auf Engpassberufe fällt weg“, sagte Scheele. "Der Weg, den jetzt schon Vitali Manuilov und sein neuer Chef Jan Hamer in Schnelsen gehen, ist künftig für alle Handwerker offen.“
Manuilov hat einen Arbeitsvertrag als Helfer. Im Betrieb und unter Aufsicht des Meisters hat er eine „Praxis- und Fertigkeitsprüfung“ gemacht, die dazu dient, die Differenz zwischen dem ukrainischen Standard und dem deutschen zu ermitteln. Die Unterschiede ergeben sich vor allem aus dem höheren technischen Anspruch der Anlagen, die in Deutschland verbaut werden.
Für die entsprechende Anpassungsqualfizierung hat Manuilov als schon deutscher Staatsbürger unbegrenzt Zeit. Andere, die nur für die Qualifizierung einreisen, müssen innerhalb von 18 Monaten fertig sein.
Am Ende steht das Tarifgehalt
„Meine Kommunikation ist noch nicht gut“, sagt Manuilov und drückt sich dabei doch aus wie einer, der sehr genau formuliert. Der Akzent ist zu hören, aber er hindert das Verstehen nicht. Gute Sprachfähigkeiten sind ein Teil des Fertigkeitsnachweises, den Manuilov ansteuert. Auch das Kundengespräch muss problemlos laufen.
Manuilov dokumentiert seine Arbeit gegenüber der Kammer, die die Fortbildung begleitet. Der Meister im Betrieb oder Hamer selbst bescheinigen am Ende den Lernerfolg. Damit wird Manuilov seinen Gesellenkollegen gleichgestellt werden – und als Geselle nach Tarif bezahlt.