Es werden auch in 30 Jahren noch Schiffe nach Hamburg fahren. Ansonsten wird nur weniges so sein, wie man es kennt. Ein Ausblick.
Die Zukunft des Hamburger Hafens begann – von der Öffentlichkeit mehr oder weniger unbemerkt – am 20. August. An dem Tag startete die Hafenbehörde Hamburg Port Authority ein Projekt, das schon in wenigen Jahren zum Alltag am größten deutschen Warenumschlagsplatz an der Elbe gehören soll. Zusammen mit Wissenschaftlern und spezialisierten Unternehmen ließen die Experten der HPA selbstfahrende Wasserdrohnen durch die Hafenbecken gleiten, die über ein eigenes Peilsystem am Flussgrund Untiefen und Schlickablagerungen orten. Die Ergebnisse werden umgehend an Baggerschiffe weitergeleitet, die dann gezielt die unerwünschten Schlickhügel abtragen können. Das Ganze ist noch ein Test. „Bis wir solche Drohen im Regelbetrieb einsetzen können, wird noch einige Zeit vergehen“, sagt der Geschäftsführer der HPA, Jens Meier. „Technisch ist es aber jetzt schon möglich. Wir sind also nah dran, an der Zukunft.“
Fliegende Container, selbstfahrende Schiffe, Güterzüge, die mit Lichtgeschwindigkeit durch Tunnel unter der Stadt rasen, und Elektro-Lkw, die ihren Weg zu den Terminals ohne Fahrer finden – an allem wird derzeit im Hafen geforscht. Hamburgs ältester Wirtschaftszweig ist insgesamt von einer neuen Aufbruchstimmung erfasst worden, nicht zuletzt weil die Geschäfte hier wieder laufen.
Auslöser der Talfahrt war die internationale Schifffahrtskrise
Jahrelang konnte der Hafen nur Umschlagsrückgänge, Verluste von Marktanteilen oder bestenfalls Stagnation vermelden. Auslöser der Talfahrt war die internationale Schifffahrtskrise, die den Hafen um Jahre zurückgeworfen hat. Hinzu kamen hausgemachte Probleme wie die Verzögerungen der Elbvertiefung und Verluste beim Transshipment, dem Weiterverteilen von Gütern aus Übersee mit kleinen Schiffen. Lag das Umschlagsaufkommen vor der Krise knapp unter zehn Millionen Standardcontainern (TEU) im Jahr, fiel es 2009 auf sieben Millionen TEU und stabilisierte sich in den vergangenen Jahren unterhalb von neun Millionen TEU. Da aber die Konkurrenzhäfen Rotterdam und Antwerpen Marktanteile hinzugewannen, hängten sie Hamburg deutlich ab.
Das hat sich gedreht. „Wir werden die neun Millionen TEU in diesem Jahr sicher knacken“, heißt es aus dem Hafen. „Und wir gewinnen Marktanteile zurück.“ Nicht nur das wieder wachsende Ladungsaufkommen sorgt für gute Stimmung im Hafen, auch der Start der Elbvertiefung setzt neue Kräfte frei. „Allein die Begegnungsbox für große und besonders breite Schiffe, die bereits Ende des Jahres fertig sein soll, kann theoretisch bewirken, dass wir annäherend die doppelte Anzahl an großen Schiffen in Hamburg abfertigen können“, sagt Axel Mattern, Vorstand der hafeneigenen Marketingorganisation. „Jetzt geht es wieder deutlich voran.“
Das ist eine positive Prognose. Damit diese Wirklichkeit wird, muss sich der Hafen allerdings weiterentwickeln. Denn auch das ist allen Beteiligten klar: Die Zeiten, in denen Hamburg mit ausgebreiteten Armen auf neue Kunden warten konnte, sind vorbei. Anfang der 2000er-Jahre nahm der Containerumschlag jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich zu. Heute sind Wachstumszahlen von mehr als drei Prozent schon außergewöhnlich. Der Wettbewerb unter den nordeuropäischen Häfen ist viel härter geworden. Rotterdam, Antwerpen und das französische Le Havre haben neue Umschlagskapazitäten geschaffen. Hinzugekommen ist der Tiefwasserhafen JadeWeserPort in Wilhelmshaven, der das Wort „Tiefgangsbeschränkung“ gar nicht kennt. Alle diese Häfen sind gut, günstig und schnell. Also muss auch Hamburg schneller und besser werden, wenn es in der Oberliga mitspielen will. „Wenn der Hamburger Hafen sich jetzt nicht weiterentwickelt, wird er in zehn, spätestens 15 Jahren einen erheblichen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen“, sagt Henning Vöpel, Wirtschaftsprofessor und Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts.
Digitalisierung hat viele Prozesse vereinfacht
Aber mit welcher Entwicklung kann Hamburg im Wettbewerb punkten? Ein Megatrend, der die Arbeitsabläufe in Häfen künftig bestimmen wird, sind die Automatisierung und Digitalisierung. Sie bergen ein großes Potenzial, maritime Transportketten effizienter, flexibler und agiler zu gestalten. Schon heute hat die Digitalisierung viele Prozesse vereinfacht. Hunderte Sensoren lesen an Bord von Schiffen die relevanten Daten zur Position, zum Zustand der Maschinen und zum Treibstoffverbrauch und schicken sie an die Reedereien. Diese können somit frühzeitig Schäden feststellen oder den Kapitän auffordern, seinen Treibstoffverbrauch anzupassen. Technologisch ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, bis die Reedereien von Land aus Einfluss auf die Maschinen und Schiffssteuerung nehmen können.
Einer, der seit Langem in dieser Richtung forscht, ist Carlos Jahn, Professor an der TUHH und Leiter des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik (CML). Jahn geht noch einen Schritt weiter: Für ihn sind selbstfahrende Schiffe ohne Kapitän und Besatzung keine Zukunftsmusik mehr. „Die lokale Anwendung selbstfahrender Schiffe wird derzeit schon realisiert.“ Doch wenn Schiffe auf See automatisch fahren können, sollte das auch in den Häfen möglich sein.
Zusammen mit dem Digital-Chef der HPA, Sebastian Saxe, hat Jahn ein Buch über die Möglichkeiten der Digitalisierung im Hafen herausgegeben (Digitalization of Seaports – Visions of the Future). Darin zeichnet er ein Zukunftsbild des völlig vernetzten Hafens. Das bedeutet, dass alles im Hafen Daten senden oder empfangen kann – Schiffe, Güter, Bojen, Hafenumschlagsanlagen einschließlich der Hinterlandanbindung. Die Bojen im Elbfahrwasser erkennen die vorbeifahrenden Schiffe und senden den Umschlagterminals die exakte Ankunftszeit, und der wartende Güterzug weiß dann schon, welches Schiff welche Container anliefern wird. Der Vorteil: Durch den Einsatz von großflächiger Datenkommunikation werden die Transport- und Güterströme aufeinander abgestimmt. Unnötige Lager- und Wartezeiten fallen weg.
Unterwasserdrohnen bringen Veränderungen
Und die Einsatzmöglichkeiten kennen kaum Grenzen: Unterwasserdrohnen können künftig nicht nur Baggerschiffe auf Untiefen aufmerksam machen, sondern direkt mit den fahrenden Handelsschiffen kommunizieren. „Sie könnten vor den Frachtern herfahren und dabei den Grund scannen, um so die Schiffe an Flachwasserstellen vorbeizulenken. Damit würden sie die Arbeit der Lotsen unterstützen“, sagt Jahn. Liegen die Schiffe dann nach einem automatischen Festmachen sicher am Kai, könnten andere Drohnen während des Entladevorgangs unter der Wasserlinie die Schiffshülle auf Beschädigungen hin untersuchen. „Es wird schon seit Langem nach Wegen gesucht, um teure Tauchereinsätze zu minimieren. Das wäre eine Lösung“, sagt Jahn. Unterwasserdrohnen seien bereits vielfach im Einsatz, etwa in der Tiefseeforschung. „Sie aber auch in einer Hafenumgebung zu nutzen, daran arbeiten wir gerade.“
Das alles ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was den Hafen der Zukunft prägen wird. „Wir machen uns um sehr viel mehr Fragen Gedanken“, sagt HPA-Chef Meier. Neben der Digitalisierung seien auch Nachhaltigkeit und Flächenentwicklung wichtige Themen. „Und schließlich müssen wir uns darüber Gedanken machen, wo in einem völlig technisierten Hafen der Mensch bleibt“, sagt Meier. Er wird wegen seiner Projekte zur Weiterentwicklung des Hafens von traditionellen Betrieben manchmal abgelehnt. In der zunehmend technisierten Welt ist er aber wohl ein Glücksfall für den Job. Meier ist studierter IT-Experte, künstliche Intelligenz ist ihm nicht fremd.
Vieles von dem, was Jahn und Saxe erdacht haben, versucht Meier Wirklichkeit werden zu lassen. Mit seinem Programm smartPort will er den intelligenten Hafen schaffen. Dazu zählen zahlreiche Projekte. In der Infrastruktur werden Sensoren eingesetzt, die frühzeitig Schwachstellen an Brücken, Straßen oder den Weichen der Hafenbahn erkennen. Das Port Traffic Center für den Schiffs-, Bahn- und Straßenverkehr bildet die Grundlage, um die Verkehrsströme miteinander zu vernetzen. Alle Daten fließen an einen Leitstand, der aktuell reagieren kann.
Hafen soll emissionsfrei werden
Eine von Meiers größten Aufgaben ist es aber, den Hafen emissionsfrei zu machen. „Im Jahr 2050 wird das Kreischen der Möwen lauter sein als der Schiffsbetrieb, weil viele Motoren dann elektrisch laufen“, lautet seine Vision. In weiten Teilen kann man diesen emissionsfreien Hafen schon am Containerterminal Altenwerder (CTA) begutachten, der in absehbarer Zeit vollständig mit Ökostrom betrieben werden soll.
Wenn dort ein Schiff anlegt, werden die Container von 14 Containerbrücken abgeladen. Diese Brücken sind bereits voll elektrifiziert. Von den Containerbrücken werden die Boxen direkt auf automatisch fahrende Fahrzeuge (Automated Guided Vehicles, AGV) gestellt. Diese bringen die Container ins Blocklager, das ebenfalls vollelektrisch arbeitet. Rund 20.000 Transponder, die in den Boden des Containerterminals eingelassen sind, weisen den führerlosen Lasteneseln den Weg. Bisher fuhren diese AGV mit Diesel. Seit 2018 werden sie nach und nach auf einen Antrieb mit Ionen-Lithium-Batterien umgestellt. Bis Ende 2022 wird diese Umstellung der knapp 100 AGV abgeschlossen sein.
Die Fahrzeuge erkennen übrigens selbstständig, wann ihnen die Energie ausgeht, und fahren dann eigenständig zu der nächstgelegenen Stromtankstelle, von denen in der letzten Ausbaustufe 18 auf dem Terminalgelände zu finden sein werden. Durch die mit Ökostrom angetriebenen AGV spart die HHLA zukünftig jedes Jahr rund 15.500 Tonnen Kohlendioxid und rund 118 Tonnen Stickoxid ein. „Wir sind unserem Ziel eines emissionsfreien Containerterminals schon sehr nahe“, sagt Jan Hendrik Pietsch, Beauftragter für Nachhaltigkeit und Energiemanagement der HHLA. Was noch fehlt, ist der letzte Terminalabschnitt, auf dem für den Transport der Container zwischen dem elektrifiziertem Blocklager und dem Containerbahnhof dieselbetriebene Fahrzeuge eingesetzt werden. Auch hier werden bereits Zugmaschinen mit Batteriebetrieb getestet.
Westhagemann: Hafen benötigt neue Impulse
Der Blick in die Zukunft, den die HHLA in Altenwerder gewährt, weckt das Interesse zur Nachahmung: So ist das Terminal bei Staatsgästen nach dem Hamburger Rathaus inzwischen Besuchsort Nummer eins. Bundeskanzlerin Angela Merkel war schon da, ebenso Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die US-amerikanische Regierung hat in der Vergangenheit mehrere Minister in den Hamburger Hafen geschickt. Zuletzt hat sich Chinas Vize-Staatspräsident Wang Qishan im Mai dieses Jahres auf dem Containerterminal umgeschaut.
Doch wird überhaupt der Warenumschlag wie bisher die Zukunft des Hafens sein? Was sichert ihm weiteres Wachstum? Kann er als reine Logistikdrehscheibe im harten Wettbewerb der Häfen bestehen, oder müssen völlig neue Geschäftsfelder erschlossen werden? In diesem und im kommenden Monat tagen Arbeitsgruppen darüber, denen die Spitzen der Wirtschaftsverbände aus den Bereichen Industrie, Maritimes, Logistik, außerdem Unternehmen, Gewerkschaften, Umweltverbände, die Handelskammer, der Unternehmensverband Nord und die Hamburg Port Authority angehören.
Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) hat das Dialogforum zur Hafenentwicklung ins Leben gerufen, weil auch er sieht, dass der Hamburger Hafen im Konkurrenzkampf der sogenannten Nordrange neue Impulse benötigt. „Stillstand wäre Rückschritt“, sagt der Senator. Er will einen neuen Hafenentwicklungsplan erarbeiten, weil der gültige, der eigentlich bis 2025 geht, inzwischen völlig veraltet ist. Die Handelswelt hat sich seit der Erstellung des alten Plans 2012 anders entwickelt als gedacht.
Dilemma für die Infrastrukturpolitik
Das wird auch in Zukunft so sein, meint Jan Ninnemann, Professor für maritime Logistik an der Hamburg School of Business Administration (HSBA), Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft und Moderator des Entwicklungsdialogs. „Eine strategische Hafenentwicklungsplanung, wie man sie in der Vergangenheit gemacht hat, ist heute nicht mehr möglich“, postuliert er. „Trends verändern sich zu schnell, als dass langfristige Prognosen getroffen werden können.“ Verantwortlich seien mehrere Dinge: zum einen die technologische Entwicklung, die mit der Digitalisierung immer schneller voranschreite, zum zweiten die geopolitischen Umwälzungen, schließlich die gesellschaftlichen Fragen, die sich ändern, bis hin zum wachsenden Wunsch nach mehr Klimaschutz. „Hafenentwicklung lässt sich allenfalls fünf bis sechs Jahre in die Zukunft planen“, glaubt Ninnemann.
Das ist ein Dilemma für die Infrastrukturpolitik, die in langen Planungszeiträumen denkt. Die neue Elbvertiefung wurde vor 17 Jahren in Angriff genommen und erst jetzt realisiert. Der Bau des Containerterminals Altenwerder wurde sogar Ende der 1950er-Jahre beschlossen und erst 2001 vollendet. Nicht nur Planung und Realisierung von Infrastrukturprojekten benötigen viel Zeit, auch die Finanzierung ist langfristig ausgelegt. Investiert ein Terminalbetreiber in den Kauf neuer Containerbrücken, muss er über den Daumen mit zehn Millionen Euro pro Stück rechnen. Da man zur Entladung großer Schiffe mehrere solcher Brücken benötigt, werden zur Herrichtung neuer Umschlagskapazitäten schnell hohe zweistellige oder sogar dreistellige Millionenbeträge nötig. Bis sich solche Anlagen wirtschaftlich rechnen, vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Deshalb müssen die investierenden Hafenunternehmen mit langen Laufzeiten ihrer Terminals kalkulieren.
Niemand denkt mehr an Bau eines neuen Containerterminals
Doch wie geht man mit dem Problem um? Da durch den rasanten Ausbau anderer nordeuropäischer Häfen ohnehin schon Überkapazitäten bestehen, denkt derzeit in Hamburg niemand an den Bau eines neuen Containerterminals. Das hat Senator Westhagemann schon dem Entwicklungsdialog als Bedingung mit auf den Weg gegeben. Auch Ninnemann plädiert dagegen, dass Hamburg große Terminalflächen für Containerumschlag ausweist. Er spricht sich für eine kleinteilige schrittweise Entwicklung aus, die sich dem Wandel und den Erfordernissen anpasst.
Doch für Hamburg ist sogar das schwierig. Anders als andere Hafenstädte, die ihren Umschlag an riesigen Kaianlagen weit außerhalb der Stadt konzentrieren, setzt Hamburg weiter auf den Hafen in der Stadt. Diese geografische Lage hat der Hansestadt nicht nur ihren maritimen Charme verliehen, den viele Touristen schätzen, sondern sich auch im Wettbewerb um die Hafenkunden als großer Vorteil herausgestellt: Da der Transport auf Schiffen viel günstiger ist als per Lkw oder Bahn, schätzen viele Spediteure, dass der Hafen so weit ins Binnenland reicht, was den Weitertransport billiger macht als von der Küste.
Hamburgs Problem ist nur, dass von den fast 5000 nutzbaren Hafenflächen, der weitaus größte Teil schon belegt ist und zwar von konventionellen Umschlagsfirmen. Will Hamburg richtig Neues für den Hafen entwickeln, verbleibt derzeit im Wesentlichen nur Steinwerder, ein 33 Hektar großes Areal im ehemaligen mittleren Freihafen, das viel Platz und die notwendige Wasseranbindung aufweist. Für Hafenentwickler spielt Steinwerder deshalb eine große Rolle. Ninnemann zufolge ist der Umgang mit Steinwerder der Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens in der Zukunft. „Dessen Planung sollte mit größter Flexibilität und viel Weitblick erfolgen“, sagt er.
Dazu müsse Hamburgs Hafen noch innovativer werden. Diesbezüglich sei Rotterdam weit voraus, so Ninnemann. Dort gebe es ein sehr innovatives Umfeld. Insbesondere Hamburgs Hafenfirmen seien gefragt: „.Sie müssen ihr standortgebundenes Denken ein Stück weit aufgeben und sich darauf fokussieren, gemeinsam Neuerungen zu entwickeln“, beispielsweise mit einem Innovationszentrum Hafen. „Wir brauchen mehr Commitment, als dass sich die einzelnen Akteure im Hafen gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen.“
Drohnen- und Hyperloop-Forschung
Besonders progressiv denkt Angela Titzrath. Sie ist seit 2017 Vorstandschefin der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), des größten deutschen Hafenkonzerns. Die HHLA galt vor Titzraths Amtsantritt als fantasielos und risikoscheu. Das Unternehmen machte das, was im Grunde genommen alle Terminalbetreiber Europas machen: Seegüterumschlag. Im Dezember 2018 verblüffte Titzrath die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, ihr Unternehmen steige in die Hyperloop-Forschung ein. Das wäre ein Quantensprung beim Seegütertransport. Beim Hyperloop sollen Containerzüge in der Magnetschwebetechnik mit 1200 Kilometern pro Stunde durch Röhren geschossen werden. Damit würden Tausende Lkw-Fahrten am Tag überflüssig: Große Abstelllager für Container im Hamburger Umland könnten mit dem Hyperloop in Sekundenschnelle erreicht werden.
Inzwischen lässt die HHLA-Chefin auch daran forschen, dass Container im Hafen bald von Drohnen durch die Luft transportiert werden. Zum einen seien damit Effizienzsteigerungen für die HHLA möglich. Zum anderen habe man durch die Drohnen eine größere Variabilität bei der Be- und Entladung außergewöhnlich großer Containerschiffe, von denen immer mehr in den Hamburger Hafen kommen, sagt die HHLA-Chefin.
Test von selbstfahrenden Lkw
Wird die technische Realisierung dieser Projekte von mancher Seite auch angezweifelt, so gilt die HHLA dennoch inzwischen als modern und entwicklungsfreudig. Titzrath will den traditionellen Hafenumschlagsbetrieb immer weiter für Zukunftsthemen öffnen. So testet die HHLA inzwischen, wie selbstfahrende Lkw im Hafen be- und entladen werden können. Damit ist sie der Zukunft nah. Denn fahrerlose Lkw werden derzeit an verschiedenen Orten getestet. Schon in wenigen Jahren könnte ihr Einsatz im Regelbetrieb erfolgen.
So wird derzeit vieles in Hamburg erforscht, was in fünf bis zehn Jahren Realität annimmt. Aber was ist danach? In der Oberhafenstraße 1 wird in größeren Zeiträumen gedacht. Dort sitzt das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), das die Auswirkungen der globalen Megatrends erforscht. So geht der Volkswirtschaftsprofessor und HWWI-Chef Henning Vöpel davon aus, dass sich die derzeit noch fest erscheinenden Strukturen der Handelsströme bald ändern. Die Lohnunterschiede zwischen alten Industrienationen und Schwellenländern nehmen ab, und künftig werden alle Staaten über die gleichen Produktionsmittel verfügen. Vöpel prognostiziert, dass die weltweite Arbeitsteilung bei der Herstellung von Gütern schon bald abnehmen wird – und damit ein wesentlicher Treiber des Schifffahrtswachstums. „Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt erreicht“, sagt Vöpel.
HWWI-Chef: „Heute lacht keiner mehr“
In einer vielfach beachteten Studie zusammen mit der Hamburger Privatbank Berenberg hat Vöpel beschrieben, dass die Digitalisierung zu einer verstärkten Dezentralisierung der Produktion führen wird. Anstatt hochwertige Smartphone-Komponenten nach Asien zu schicken und sie dort zusammenzufügen, werden künftig nur noch Daten an die Produktionsstandorte geschickt, wo dann die ganzen Geräte gebaut werden. Die großen Trends, die geopolitischen Veränderungen in der Weltwirtschaft, die Technologisierung, 3-D-Druck und künstliche Intelligenz werden die Dezentralisierung der Produktion vorantreiben, so Vöpel. Die Wertschöpfungsketten werden kürzer. „Die regionale Wertschöpfungsintensität nimmt ab.“
Für den Hafen bedeute das, dass das derzeitige Geschäftsmodell in einigen Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr so lukrativ sein wird. „Es werden zwar weiterhin Schiffe nach Hamburg fahren, aber dann nicht mehr riesige Containerfrachter, sondern Rohstofflieferschiffe und kleinere Einheiten zur Versorgung des näheren Raums mit Gütern.“ Deshalb sei es, so Vöpel, höchste Zeit, sich Gedanken über die Zukunft des Hafens und seine Nutzungsmöglichkeiten zu machen. Sonst drohe ein schleichender Bedeutungsverlust. Er sei verlacht worden, als er diese These vor einigen Jahren aufgestellt habe, sagt der HWWI-Chef. „Heute lacht keiner mehr.“