Hamburg. Der Hamburger Windanlagenbauer braucht einen neuen Eigentümer. Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Insolvenz des Unternehmens.
Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, doch es fehlt das Geld, um sie abzuarbeiten. Eine Übernahme könnte den insolventen Windkraftanlagenbauer Senvion retten. Doch wer könnte das Unternehmen übernehmen? Und was würde das für die Beschäftigten bedeuten? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wem gehört Senvion?
Die Aktien des Hamburger Windenergieanlagen-Herstellers sind mehrheitlich im Besitz der US-Investmentfirma Centerbridge. Sie besitzt 71,3 Prozent der Anteile. Die restlichen 28,7 Prozent sind in Streubesitz. Centerbridge erwarb den Konzern Anfang 2015 für etwa 400 Millionen Euro vom indischen Suzlon-Konzern. Dieser hatte das Unternehmen, das damals noch Repower hieß, sieben Jahre zuvor nach einem Bieterkampf für etwa 1,3 Milliarden Euro übernommen. Repower wurde 2011 von der Börse genommen, Senvion kehrte 2016 dorthin zurück. Für Centerbridge erwies sich die Übernahme als schlechtes Geschäft. Ausgegeben wurden die Aktien für mehr als 15 Euro, am Montag lag der Kurs bei knapp unter 80 Cent.
Warum ist das Unternehmen in so
große Schwierigkeiten geraten?
Das ist zum Teil die Folge der langjährigen Verbindung mit Suzlon. In dieser Zeit gab es eine Aufgabenteilung, nach der sich die Beschäftigten von Senvion, die Anlagen sowohl für Land- als auch für Meeresstandorte entwickeln und herstellen, auf den damals stark wachsenden deutschen und europäischen Markt konzentrieren. Die Inder legten ihr Augenmerk dagegen auf die anderen Märkte etwa in Asien und Südamerika. Nach der Trennung stand Senvion vor der Aufgabe, allein die Internationalisierung voranzutreiben. Gleichzeitig verringerte sich die Nachfrage im Heimatmarkt, die Einführung des Ausschreibungsverfahrens führte zu einem Preisverfall. Hinzu kamen Managementfehler. In der Branche heißt es, Senvion habe einzelne Aufträge nicht rechtzeitig abgearbeitet und Strafzahlungen leisten müssen. Der Konzern erwirtschaftet seit Jahren keine Gewinne mehr, der Umsatz schrumpfte, das Eigenkapital schmolz ab. Obwohl Aufträge im Wert von mehreren Milliarden Euro in den Büchern standen, fehlte dem Unternehmen das Geld, um Zulieferer zu bezahlen. Im April stellte Senvion einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung, weil die kreditgebenden Banken und Gläubiger von Senvion-Anleihen sich nicht über die Finanzierung einigen konnten.
Wie viele Mitarbeiter sind betroffen?
Senvion hat weltweit etwa 4000 Beschäftigte, in Deutschland sind es um die 2000. Die Hälfte davon hat ihren Arbeitsplatz in Osterrönfeld (Entwicklung) und Büdelsdorf (Service). In Heide hat das Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit bereits ein Werk geschlossen. In der Zentrale in der Hamburger City Nord sind etwa 500 Beschäftigte tätig. Ein weiterer großer Standort ist mit etwa 230 Mitarbeitern das Werk in Bremerhaven. Dort läuft die Produktion derzeit weiter; finanziert durch einen sogenannten Massekredit in Höhe von 100 Millionen Euro, der Senvion im April gewährt wurde. Derzeit erhalten die Beschäftigten noch Insolvenzgeld von der Arbeitsagentur. Die Zahlungen laufen Ende Juni aus, dann muss Senvion die Gehälter wieder selbst zahlen. Aus dem Unternehmen verlautete, die Gehaltszahlungen seien bis Ende Juli sichergestellt.
Bis wann muss eine Lösung
gefunden werden?
Anfang nächster Woche muss zunächst das Insolvenzgericht entscheiden, wie es in dem Verfahren weitergeht. Es ist absehbar, dass man es wie bisher fortführt. Zwei als Geschäftsführer eingesetzte Hamburger Wirtschaftsanwälte informierten in der vergangenen Woche in Betriebsversammlungen die Mitarbeiter über die nächsten Schritte. Demnach laufen derzeit Gespräche mit „einer Handvoll Interessenten“. Diese prüften, Senvion entweder komplett oder zumindest in wesentlichen Teilen zu übernehmen. Zugleich werde mit Banken und Gläubigern über einen weiteren Massekredit für die nächsten Monate verhandelt. Nach Abendblatt-Informationen liegt die Summe deutlich unter 100 Millionen Euro. Die IG Metall macht sich dafür stark, dass Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen die Finanzspritze mit Bürgschaften absichern – und sich so daran beteiligen, die Arbeitsplätze möglicherweise zu erhalten. Kann mit einem neuen Kredit der weitere Betrieb bis Ende September sichergestellt werden, müsste die Entscheidung über einen Verkauf gleichwohl in den nächsten vier bis sechs Wochen fallen.
Wie sicher sind die Arbeitsplätze?
Das hängt vor allem davon ab, ob in den nächsten Wochen ein Käufer oder Investor gefunden wird – und welcher das ist. Immer wieder genannt werden der japanische Toshiba-Konzern, der Konkurrent SiemensGamesa und der US-Finanzinvestor Blackstone. Mit Toshiba hatte Senvion Ende Oktober 2018 eine strategische Partnerschaft verabredet. Danach übernahmen die Japaner die Kundenbetreuung und die Anlageninstallation für Senvion in ihrem Heimatland. „Eine Übernahme durch Toshiba wäre unter Arbeitsplatzgesichtspunkten sicher die aussichtsreichere Lösung“, sagt Branchenexperte Dirk Briese vom Marktforschungsunternehmen Windresearch. „Wenn es auf SiemensGamesa hinausliefe, wäre eine Konsolidierung wohl der passendere Begriff und die wahrscheinlichere Perspektive, mit entsprechenden Folgen sowohl für den Markt als auch die Beschäftigten.“
Der Analyst Guido Hoymann von der Frankfurter Metzler Bank spricht von einer „sehr schwierigen Konstellation“ und sagt: „Ich bin gespannt, ob es überhaupt zu einem Verkauf kommt.“ Für Mitbewerber sei das Interessanteste an Senvion wohl der hohe Bestand an Serviceaufträgen und das Know-how der Techniker. Und ein Unternehmen, das sich durch eine Übernahme Zugang zum deutschen und europäischen Markt verschaffen wolle, müsse bei Senvion zunächst einmal sehr viel investieren. Viele strukturelle Probleme bestünden dann aber immer noch. „Warum sollte es mit einem neuen Eigentümer besser gehen als bisher?“, fragt Hoymann. Auch in der Branche selbst wird Senvions umfangreiches Servicegeschäft als durchaus attraktiv für Mitbewerber eingeschätzt. Als sicher gilt aber auch: Übernimmt ein direkter Mitbewerber, dürfte der Arbeitsplatzabbau am größten sein.