Hamburg. Das rote Warnlicht darf nachts nur noch leuchten, wenn Flugzeuge darüberfliegen. Die Branche in Hamburg ist aufgebracht
Sie heißen Ronja, Ilka, Clara und Ben: Die vier Senvion-Windturbinen mit einer Masthöhe von 100 Metern wurden im Jahr 2015 nahe dem Elbufer bei Neuengamme errichtet. Betrieben werden sie von der Hamburger NET-Gruppe, deren Geschäftsführer Jens Heidorn als einer der Pioniere der Branche gilt. Hinzu kommen zwei Enercon-Turbinen aus dem Jahr 2016.
Äußerlich ist an diesem Windpark nichts besonders. Was ihn aber dennoch auszeichnet: Er ist einer der ersten in Deutschland, bei denen ältere Windenergieanlagen aus den 1990-er Jahren durch Turbinen einer neuen Generation ersetzt wurden – in der Branche nennt man das „Repowering“.
Obwohl auf der gleichen Fläche nun nicht mehr zwölf „Windspargel“ stehen, sondern nur noch sechs größere neue sowie eine alte Turbine, beträgt die Jahresproduktion an Ökostrom allein aus den sechs modernen Anlagen nun das Dreifache der vorherigen Stromerzeugung. „Mit den 30 Millionen Kilowattstunden können wir 10.000 Haushalte versorgen“, sagt Heidorn. Zusammen mit den benachbarten Parks Altengamme, Curslack und Ochsenwerder werde der Strombedarf aller Haushalte im gesamten Bergedorf gedeckt.
Teure Radartechnik könnte schon bald erforderlich sein
Angesichts der stetig zunehmenden Gefahr für das Klima durch die Nutzung fossiler Energien sollte der Windpark Neuengamme aus der Sicht von Heidorn ein Vorbild für viele weitere Standorte in Deutschland sein. Doch die Realität sieht ganz anders aus. „Wir bräuchten, um die Klimaschutzziele zu erfüllen, einen Zubau von jährlich 5000 Megawatt in der Bundesrepublik, in diesem Jahr werden wir aber wohl nicht einmal 2000 Megawatt erreichen“, so Heidorn.
Einer der Gründe dafür sei die Einführung neuer Vorschriften, die den Betrieb deutlich verteuern. So muss bis zur Jahresmitte 2020 eine so genannte „Bedarfsgerechte Befeuerung“ installiert sein. Das bedeutet: Die oben auf den Turbinen angebrachten roten Blinklichter dürfen nur noch dann leuchten, wenn sich tatsächlich ein Flugzeug oder ein Hubschrauber nähert. Anlagen, die das nicht erfüllen, würden nach dem Stichtag nicht mehr nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. „Das wäre der GAU“, sagt Heidorn, für den die neue Vorschrift „blinder Aktionismus“ ist.
Seine Turbinen seien ohnehin schon mit einer Technik ausgerüstet, die die Lichtstärke der Blitze je nach den aktuellen Sichtbedingungen reguliert. Das aber wird künftig nicht mehr genügen. Damit könnte es für die Betreiber sehr teuer werden. Denn aktuell einsetzbar sind lediglich Radar-Lösungen, die nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie rund 100.000 Euro pro einzelner Windturbine kosten. Das Ministerium favorisiert daher eine andere Technologie: Die Nutzung der Signale von Transpondern. Ein Transponder ist ein Sender im Flugzeug, der bestimmte Daten an die Flugsicherung übermittelt. Um diese Signale zu empfangen, genügen einfache Antennen, die für einen gesamten Windpark laut Ministerium nur rund 30.000 Euro kosten. Nur: Bisher ist noch kein Gesetz in Kraft, aufgrund dessen tatsächlich alle Flugzeuge mit Transpondern ausgestattet sein müssen.
Artenschutz wird immer mehr zum Hindernis für neue Windparks
Allerdings ist dies nach Einschätzung von Heidorn nur ein Beispiel für die immer höheren Hürden, die Windparkbetreiber nehmen müssen. Dazu zähle wachsender Widerstand in der Bevölkerung – auch Heidorns neue Turbinen wurden von einer Bürgerinitiative anfangs als „Windmonster“ tituliert – sowie die Rechtsprechung im Hinblick auf den Naturschutz, die zunehmend den so genannten Individuenschutz in den Vordergrund stelle: Schon wenn sich ein einzelnes Exemplar einer bestimmten Tierart, etwa ein Rotmilan, in der Nähe ansiedele, könne das zu strengen Auflagen führen, die den Betrieb womöglich unwirtschaftlich machen. „Unter den jetzigen Rahmenbedingungen ist das Risiko nicht mehr kalkulierbar“, so Heidorn.
„Wir registrieren quer durch die gesamte Bundesrepublik eine deutliche Zunahme der Herausforderungen durch artenschutzrechtliche Fragestellungen“, sagte Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie (BWE), dazu dem Fachmagazin „Erneuerbare Energien“. Zum einen nähmen die Anforderungen an Gutachten zu, was die Genehmigungsverfahren verlängere. „Zum anderen entdecken die Gegner der Windenergie und der Energiewende den Artenschutz für sich und versuchen, diesen als Hebel gegen die Windenergie zu missbrauchen“, so Axthelm – und das, obwohl amerikanische Wissenschaftler im Jahr 2015 davor warnten, jede sechste Tierart auf der Erde werde aussterben, wenn es nicht gelinge, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren.
In Curslack, wenige Kilometer von Heidorns Anlagen entfernt, erforschen Spezialisten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) unter anderem, wie man die Nutzung der Windenergie und den Artenschutz besser miteinander vereinbaren kann: Auf dem Gelände des Windparks Curslack stehen nicht nur fünf Anlagen des Hamburger Herstellers Nordex mit einer Gesamtkapazität von 12,6 Megawatt und einem Jahresertrag von 33 Gigawattstunden, sondern auch eine Radaranlage, die Fledermäuse erfasst.
Batterien aus BMW-E-Autos speichern den Windstrom
Nach den Worten von Jan Rispens, Geschäftsführer der Erneuerbare Energien Hamburg Clusteragentur (EEHH), ist ein solcher Forschungswindpark „deutschlandweit einmalig“. Abgesehen von dem Fledermaus-Projekt geht es zum Beispiel um Fragen der Stromnetzstabilität im Hinblick auf eine Zukunft mit höheren Anteilen von Energie aus erneuerbaren Quellen. Dazu entstand Ende 2018 am Rande des Windparks ein Batteriespeicher: Aufgeteilt auf zwei grüne Container stehen hier nun 18 Akkus, wie sie auch in BMW-Elektroautos des Typs i3 verbaut sind.
Dabei ist es nicht das Ziel, Windstrom für stundenlange Flautephasen zu speichern. Dazu wäre die Batteriekapazität mit insgesamt 790 Kilowattstunden viel zu gering. Man möchte vielmehr erforschen, wie sich Netzspannung und -Frequenz durch solche „Momentanreserven“ besser konstant halten lassen, wenn künftig weniger der vergleichsweise „trägen“ Großkraftwerke mit ihrer gut planbaren Energieabgabe in Betrieb sind als heute.
So ist der Stadtstaat Hamburg zwar mit gerade einmal 65 Turbinen kein mengenmäßig bedeutender Windenergie-Standort, leistet aber Pionierarbeit für die Zukunft der Branche.