Wolfsburg. Der neue VW-Vorstandschef sollte Martin Winterkorn schon einmal beerben. Wie geht Matthias Müller mit den neuen Enthüllungen um?
So schnelllebig ist das Auto-Geschäft: Kaum, dass Martin Winterkorn wegen der Diesel-Abgas-Affäre als Vorstandsvorsitzender zurückgetreten ist, kommt schon sein Nachfolger. Das Personalkarussell dreht sich offenbar so schnell wie in der Fußball-Bundesliga, der der Volkswagen-Konzern ja eng verbunden ist, über den VfL Wolfsburg und den FC Bayern München über die VW-Tochter Audi. Nun soll Porsche-Mann Matthias Müller den Konzern aus der Vertrauenskrise führen. Der bisherige Vorstandsvorsitzende der VW-Tochter Porsche muss bei VW das Steuer herumreißen. Das Unternehmen gab die Personalie am Freitag nach einer Sitzung des Aufsichtsrates bekannt.
Müller, 62, übernimmt nicht nur die Nachfolge von Martin Winterkorn. Er muss seine Aufgabe „mit ganzer Kraft angehen“, wie der Interimsvorsitzende des Kontrollgremiums, Berthold Huber, sagte. Auf Müller kommen schwierige Aufgaben zu. Neben der Aufarbeitung der Affäre um manipulierte Abgasdaten von Dieselmotoren gehören die Schwäche des VW-Absatzes in den USA, die schwierige Lage in China und die bisher stark zentralistische Struktur des Konzerns zu den größten Baustellen. Betriebsratschef Bernd Osterloh fordert einen „grundlegenden Kulturwandel“ in der Zwölf-Marken-Gruppe.
Personalwechsel: VW wechselt Top-Manager aus
Und der geht mit einem Personalwandel einher – einem extrem schnellen: Der Vertriebschef des VW-Konzerns, Christian Klingler, verlässt das Unternehmen wegen des Ärgers um den Abgas-Skandal. Der bisherige Skoda-Chef Winfried Vahland leitet künftig die neu gegründete Marktregion Nordamerika. Als Konsequenz aus dem Abgas-Skandal sollen künftig zudem die Märkte USA, Mexiko und Kanada in der neu geschaffenen Region Nordamerika zusammengefasst werden. Davon verspricht sich der Konzern eine „maßgebliche Stärkung“ des dortigen Absatzes. Der infolge des Skandals in die Kritik geratene US-Regionalchef von Volkswagen, Michael Horn bleibt im Amt.
Abgas-Skandal: 2,8 Millionen VW in Deutschland betroffen
Nach Angaben von Volkswagen sind weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge von dem Abgas-Skandal betroffen. Dabei geht es um eine spezielle Software, die dafür sorgt, dass die Schadstoff-Reinigung von Dieselmotoren im normalen Betrieb auf der Straße geringer ist als bei Tests. Die Affäre erschüttert die gesamte Autoindustrie. Nach Angaben von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sind in Deutschland mindestens 2,8 Millionen Diesel-Fahrzeuge von den manipulierten Abgasmessungen bei Volkswagen betroffen.
Für Müller muss die Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW vor sechs Jahren wie ein Klacks vorkommen im Vergleich zu der Herkulesaufgabe heute. Damals versuchte Porsche, den Giganten VW zu übernehmen, was am Ende scheiterte. Müller verbreitete am Freitag Optimismus: "Wir können und wir werden diese Krise bewältigen."
Müller sollte Winterkorn schon früher beerben
Müller war schon im Frühjahr als Wunschkandidat von Ferdinand Piech an der Konzernspitze im Gespräch. Der Firmenpatriarch wollte Vorstandschef Martin Winterkorn demontieren, den Müller nun beerbt. Piech scheiterte am geschlossenen Widerstand des Landes Niedersachsen, der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat und dem Rest seiner Miteigentümerfamilie Porsche/Piech. Müller genießt nicht nur Piechs Vertrauen, er ist auch ein Weggefährte Winterkorns – aus Sicht mancher Analysten ist er deshalb nicht unbelastet genug für den dringend notwendigen Neuanfang bei VW.
Aus Sicht seiner Anhänger spricht für Müller aber, dass er den riesigen Konzern aus zwölf Marken mit rund 600.000 Mitarbeitern gut kennt und steuern kann. Bei Porsche habe er für ein Klima der Offenheit und für Dialog gesorgt, sagte ein Mitarbeiter. Einen solchen Kulturwandel braucht auch die Konzernzentrale, wie der Betriebsrat jüngst erklärte.
Der nahe Chemnitz geborene und in Bayern aufgewachsene Müller bezeichnet sich selbst als Konzernzögling. Seinen Weg bei VW begann er als Auszubildender bei Audi in Ingolstadt. Der gelernte Werkzeugmacher setzte ein Informatikstudium drauf und kehrte zu Audi zurück, wo er als Produktmanager unter dem damaligen Audi-Chef Winterkorn den A3 zum Verkaufsschlager machte.
Der Neue war Produktstratege
Als Winterkorn 2007 VW-Chef wurde, machte er Müller zum Produktstrategen des Konzerns in Wolfsburg. Nur drei Jahre später schickte Firmenpatriarch Ferdinand Piech ihn in heikler Mission als neuen Chef zu Porsche. Die Stuttgarter Sportwagenschmiede - im Besitz der VW-Familienhauptaktionäre Porsche und Piech - war 2009 mit dem Versuch gescheitert, den viel größeren VW-Konzern zu übernehmen. Nach den milliardenschweren, kreditfinanzierten Käufen von VW-Aktien hoch verschuldet, wurde der Autobauer Porsche schließlich von VW übernommen.
Müllers Aufgabe war es, die Integration zu vollziehen. So nutzt Porsche heute zum Beispiel das VW-Baukasten-System in der Produktion. Das Absatzziel von mehr als 200.000 Fahrzeugen im Jahr wird Porsche voraussichtlich in diesem Jahr - drei Jahre früher als ursprünglich angepeilt erzielen. Inzwischen sind die Stuttgarter neben Audi die Cash-Cow des VW-Konzerns.
Bericht: Manipulation wurde aus VW-Zentrale überwacht
Unterdessen wurde bekannt, dass eine US-Anwaltskanzlei die Volkswagen-Affäre weiter aufklären soll. Die US-Umweltbehörde EPA will Autos künftig genauer unter die Lupe nehmen. Die Hersteller seien informiert worden, dass das Abgastestverfahren überarbeitet werde, teile die EPA mit. Die Fälschung von Abgaswerten ist einem Medienbericht zufolge in großen Teilen von VW-Managern in der Wolfsburger Konzernzentrale überwacht worden. In den USA habe der Hersteller gar nicht die Ingenieure, um die Autos entsprechend zu manipulieren, berichtete "Bloomberg" unter Berufung auf drei mit dem US-Geschäft von VW vertraute Personen.