Berlin. Wenige Stunden nach dem Rücktritt des VW-Vorstandsvorsitzenden stritten sich Renate Künast und Ulf Poschardt im ARD-Talk über Autos.
Was wusste Winterkorn? Knapp sieben Stunden nach dem Rücktritt des VW-Vorstandsvorsitzenden beschäftigte Polit-Talkerin Anne Will sich und ihre Gäste am späten Mittwochabend in der ARD (1,18 Millionen Zuschauer/12,9 Prozent Marktanteil) mit dieser Frage, auf die es vermutlich so schnell keine genaue Antwort geben wird. Und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Rücktritt das Konzept der Sendung unter dem Titel „Kunden betrogen, Image ruiniert – ist VW noch zu retten?“ etwas durcheinander gebracht hatte.
Kein Wunder, schließlich hatte Martin Winterkorn noch am Dienstagabend ein Video veröffentlichen lassen, in dem er den Eindruck erweckte, den Betrugsskandal um die Abgas-Werte der Diesel-Autos selbst aufzuklären zu wollen. Keine 24 Stunden später war der 68-Jährige zurückgetreten, und Anne Will konnte ihre Gäste nicht mehr – wie geplant – darüber diskutieren lassen, ob Winterkorn noch zu halten sei.
Anne Will animierte Gäste zu Spekulationen
Stattdessen animierte die Moderatorin zu Spekulationen: Ob jemand es für glaubhaft halte, dass Winterkorn von dem groß angelegten Betrug nichts gewusst habe, wollte sie wissen. Und bekam reichlich schwammig Antworten, nur die Grünen-Abgeordnete Renate Künast, früher Verbraucherschutz-Ministerin, wurde deutlich: „Eins kann mir keiner erzählen: Dass er nicht weiß, wie viel hinten an Schadstoff aus den Autos rauskommt.“
Ulf Poschardt, stellvertretender Chefredakteur der Welt-Gruppe, konnte sich das schon vorstellen. Und auch Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup, der selbst früher Vorstand eines Unternehmens, wandte ein: „Man kann nicht alles wissen. Man muss aber Kontroll-Systeme schaffen. Das ist die originäre Aufgabe eines Vorstandes: Dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert.“
Winterkorn erzeugte „ungeheuren Druck“ im Unternehmen
Wie das passieren konnte, warum einer der größten Auto-Konzerne der Welt ein solches Risiko eingeht, wollte die Runde auch klären. Winterkorn habe Volkswagen zum größten Konzern der Welt machen wollen, erinnerte Bontrup, „das hat er 2009 verkündet“. Dadurch sei im Unternehmen ein ungeheurer Druck entstanden. „Dann kann sich sowas auch verselbstständigen, auf unteren Ebenen, dass dann da manipuliert wird, kann man nicht ausschließen.“
Die Rolle des Aufsichtsrates sprach die Runde gar nicht an, was der Betrug für die Kunden bedeutet, war auch kaum Thema. Moderatorin Will stellte allerdings diese Frage: Ist die Volkswagen AG durch den Skandal existenziell bedroht? „Ich glaube schon“, sagte Wirtschaftswissenschaftler Bontrup, der vorrechnete, dass der Skandal und seine Bereinigung Volkswagen nach bisherigen Schätzungen bis zu 40 Milliarden Euro kosten könnte – fast die Hälfte des Eigenkapitals des Unternehmens, das sei dann natürlich eine existenzielle Bedrohung.
„Auto-Industrie nicht madig machen“
Künast stimmte dem Experten zu: „Ich glaube wirklich, dass VW nicht nur schwere, sondern existenzielle Zeiten bevorstehen“ – unter anderem wegen all der Klagen, die gegen den Autobauer angestrengt würden. Die Grünen-Abgeordnete unkte noch ein wenig mehr: Sie sei zu einem Treffen mit dem Deutschland-Chef des US-amerikanischen Elektroauto-Bauers Tesla eingeladen, und während ein Konzern wie Volkswagen sich jetzt ganz neu aufstellen müsse... Weiter kam Künast nicht, weil sowohl CDU-Politiker Fuchs als auch Porsche-Fahrer Poschardt ihr ins Wort fielen. Fuchs stellte lauthals fest, dass mit Elektro-Autos noch nie ein Cent verdient worden sei, und Poschardt, der sich offenbar Mühe gegeben hatte, die Augen nicht zu verdrehen, sagte, man wisse ja, was jetzt komme – woraufhin Künast ihn aufforderte, „jetzt nicht den Chauvi zu spielen.“
Leitartikel: Bei VW ist ein Neuanfang geboten
Später entschuldigte sich Poschardt für seine Aussage, nur um Künast dann vorzuwerfen, dass sie einen Golf 2.0 TDI als „alte Technik“ bezeichne; die Tesla-Autos seien Modelle für Millionäre, die könne sich die breite Masse der Autofahrer nicht leisten. Und setzte dann richtig nach: „Sie als Politikerin sollten die deutsche Auto-Industrie nicht so madig machen, das haben Sie immer gemacht.“ Wenn diese Sparte ein Problem habe, seien die Grünen nie solidarisch, nie unterstützend, „sondern immer drauf, das finde ich unmöglich, das kostet Arbeitsplätze.“ Dafür gab’s Applaus vom Publikum.
Fuchs warnte davor, im Angesicht des Skandals die deutsche Industrie „kaputt zu reden“. Und zeigte auch gleich, wie das Gegenteil davon aussieht: „Unsere Autos sind die besten der Welt. Es gibt kein Land, das so gute Autos produziert wie wir.“ Es klang ein bisschen wie ein Mantra.