Hamburg. In den Autohäusern der Hansestadt ist die Diesel-Affäre das Top-Thema. Verunsicherte Kunden treffen auf uninformierte Verkäufer.

Der Verkäufer bei Volkswagen in Wandsbek redet sich um Kopf und Kragen. „Es gibt gar kein Risiko, da können Sie sicher sein“, sagt er, umrundet langsam seinen Schreibtisch in der Ausstellungshalle und zeigt auf die Golfs und Beetles, die hier im Licht der Deckenspots glänzen. Die deutschen Modelle sind nicht betroffen, sagt der Mann mit dem dunklen Kurzhaarschnitt, „dafür lege ich meine Hand ins Feuer“.

Die Szene in dem Autohaus im Osten der Hansestadt ist nur eine Facette des VW-Skandals um Abgaswerte. Die Reaktionen in der gebeutelten Branche auf die weltweit mindestens elf Millionen Fahrzeuge, die mit einer Software zur Manipulierung des Schadstoffausstoßes ausgeliefert wurden, sind ganz unterschiedlich, wie die Recherche des Abendblatts vor Ort zeigt. Einige der Vertriebler sehen sich selbst in der Opferrolle, andere versuchen standhaft, das einstige Saubermann-Image der Wolfsburger zu retten, teilweise auch mit falschen Angaben über das Abgas-Desaster, das bereits VW-Chef Martin Winterkorn das Amt kostete.

In der schnelllebigen digitalen Welt sind die Folgen des VW-Falls bereits an Zahlen abzulesen. Der Neuwagenvermittler MeinAuto.de meldet, dass auf seinem Verkaufsportal im Internet die Nachfrage der Käufer nach Dieselmotoren aus dem Hause VW eingebrochen ist – von 40 Prozent im laufenden Jahr auf momentan 28 Prozent.

Beinahe jeder Kunde fragt nach

In einem Hamburger Gebrauchtwagenzentrum eines VW-Partnerbetriebs gibt der Verkäufer zu, dass beinahe jeder Besucher nach den Vorfällen in Übersee fragt. „Aber ich bin sicher, dass alle Hersteller betroffen sein werden, die zittern doch jetzt schon“, versucht der Profi das Augenmerk auf die Konkurrenz zu lenken. Im folgenden Verkaufsgespräch legt er dem Interessenten einen Audi ans Herz, er zeigt auf ein schickes schwarzes Cabrio und argumentiert dann mit falschen Angaben: „Audi war in den USA ja gar nicht betroffen“, beschwichtigt er mit Blick auf die Premiumfahrzeuge innerhalb der VW-Markenfamilie. Stimmt allerdings nicht. Die zuständige US-Behörde meldete, dass bei den Emissionstests auch ein Audi A3 aufgefallen sei.

Diesel-Skandal: Was Autofahrer jetzt wissen müssen

Es bleibt den VW-Händlern kaum etwas anderes übrig, als sich um Schadensbegrenzung bei den Kunden zu bemühen. Offiziell wollten sich die Geschäftsführer von Tiedtke und Wichert gestern jedoch nicht äußern, zumal immer mehr Einzelheiten nach außen dringen, welche die Händler auch nicht unbedingt als erste erfahren. So hat VW am Donnerstag nach den Worten von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt eingeräumt, auch in Europa bei Tests die Abgaswerte bei Dieselmotoren manipuliert zu haben. Die Verwirrung der Kunden kann der Vertrieb kaum abmildern, denn auch die Verkäufer sind verunsichert. „Ich weiß nicht, was in den nächsten Tagen noch auf uns zukommt“, sagt ein Mitarbeiter eines Volkswagenpartners und zuckt mit den Schultern. Inwiefern Modelle ins Visier der Behörden geraten, die auf dem Gelände langsam mit Herbstlaub bedeckt werden, vermag der Anzugträger auch nicht zu sagen.

Kämpferischer VW-Verkäufer

Beim VW-Wettbewerber ein paar Fahrminuten weiter gibt es mehr Details vom selbstbewussten Mann an der Front. „Mit keinem der Modelle, das wir hier verkaufen, werden Sie Probleme bekommen“, beruhigt der Verkäufer auf die bange Frage, ob als nächstes deutsche Prüfbehörden zu Rückrufaktionen von Passat, Golf und Co. auffordern könnten. „In deutschen Fahrzeugen sind die Geräte für die gefälschten Abgaswerte ja gar nicht eingebaut“, sagt der VW-Profi. Der Grund: „Hier sind die Grenzwerte für die Emissionen leichter einzuhalten, sodass auch die in den USA beanstandeten Wagen bei Tests in Deutschland keinen Grund zu Beschwerden geben würden“, gibt sich der eloquente Kfz-Mann kämpferisch. Die Grenzwerte für Stickstoffoxide sind tatsächlich unterschiedlich: In der EU liegt die Obergrenze bei 80 Milligramm pro Kilometer. Der von der US-Behörde EPA geforderte Wert liegt bei 70 Milligramm pro Meile und ist damit strenger – denn eine Meile ist rund 1,6 Kilometer lang.

So entschieden der VW-Verkäufer seine Modelle beim Thema Emissionen verteidigt, so nebulös bleibt er beim Verbrauch: „Die Verbrauchsangaben sind nicht unbedingt realistisch, das ist bei allen Herstellern so“, sagt er und zeigt auf die Kraftstoffangaben an den Preistafeln. „Wenn Sie in den Kasseler Bergen wohnen, kommen Sie damit nicht aus, dann haben Sie einen ganz anderen Verbrauch“.

Stimmung ist stark getrübt

Bei VW und Audi an den Hamburger Automeilen mit ihren glänzenden Glasfassaden ist die Stimmung derzeit stark getrübt, denn schließlich geht es hier auch um das Überleben von Familienbetrieben. Während Luxusmarken wie BMW und Mercedes in den vergangenen Jahren die gesamte Wertschöpfungskette bis zum Kunden übernommen haben und sich in Großstädten wie Hamburg eigene Niederlassungen leisten, arbeiten VW und Audi nach wie vor auch mit Vertragshändlern zusammen. Die Betriebe müssen Millionen von Euro investieren, um die Fahrzeuge den Wünschen des Herstellers entsprechend zu präsentieren. Auch die Hamburger Firmen treiben dafür einen gewaltigen finanziellen Aufwand. Alles für das Image, das die Wolfsburger jetzt gründlich zerstört haben.

Selbst bei einem italienischen Importeur macht sich der Mitarbeiter wegen der VW-Affäre Sorgen um das gesamte Bild der Branche. „Wir verkaufen zwar fast nur Benziner, aber es geht hier um mehr, es geht um den Standort Deutschland“, sagt der junge Mann und runzelt die Stirn. „Die Auswirkungen dieser Sache werden wir alle spüren.“