Der Bericht der Bundesnetzagentur zur Lage der Stromnetze löst Sorgen aus. Die Lage sei „kritisch“, heißt es darin. Doch was bedeutet das?
Dortmund. Ein europaweiter Stromausfall wie zuletzt 2006 nach der Abschaltung einer Starkstromleitung für ein Kreuzfahrtschiff an der Ems ist der Alptraum jedes Netzplaners. Damals saßen rund zehn Millionen Menschen im Dunkeln, es gab Chaos, Überfälle, steckengebliebene Aufzüge und hohen Schaden. Wenn nun die Bundesnetzagentur vor einer „kritischen Lage“ für die deutschen Netze warnt, löst das Sorgen aus.
Wie kommt es eigentlich zu einem Netzausfall?
Kleinere Netzausfälle zum Beispiel durch Vögel in Hochspannungsleitungen oder technische Störungen gehören zum Alltag der Stromversorgung. Der Bericht der Bundesnetzagentur spricht von fast 207.000 Unterbrechungen über drei Minuten Länge im vergangenen Jahr. Sie stellen aber meist keine größere Gefahr dar.
Wie reagieren die Netzbetreiber?
Die Netzbetreiber leiten Strom um, wenn er an bestimmten Stellen fehlt, rufen Reserveleistung ab und schalten bei größeren Störungen Kraftwerke ganz oder teilweise an und ab. Dabei helfen Computerprogramme. Der größte deutsche Hochspannungsnetzbetreiber Amprion hat seine rund 11.000 Kilometer Netz zum Beispiel in 1031 Teile zerlegt. Alle 15 Minuten erfasst der Rechner für diese Netzabschnitte Störungen und Reaktionsmöglichkeiten.
Sind Eingriffe in die Netze also gefährlich?
Prinzipiell nicht. Das ist Alltag in den Netzzentralen. Allerdings ist dieser Alltag deutlich stressiger geworden, berichten Fachleute. Die Eingriffe seien wesentlich häufiger, umfangreicher und es habe auch mehr kritische Situationen gegeben.
Was verstehen Netzbetreiber denn unter kritisch?
Wenn die schnell bereitstehende Primär- und Sekundärleistung nicht ausreicht und auch die sogenannte Minutenenergie, die innerhalb von 15 Minuten aktivierbar ist, das Problem nicht löst, müssen ganze Reservekraftwerke hochgefahren werden. Das Überschreiten der Minutenreserve sei bereits kritisch, sagte ein Amprion-Sprecher. Richtig schwierig wird es, wenn das Netz durch weitere negative Faktoren an die Kapazitätsgrenze gerät, wie zuletzt bei eisigen Temperaturen im Februar dieses Jahres.
Wie groß ist eigentlich der Sicherheitsspielraum der Netze?
Dazu äußern die Betreiber sich ungern, da Störungen ja jederzeit lokal von einer überlasteten Leitung entstehen und sich blitzschnell ausbreiten können, wie das Beispiel des Ems-Blackouts zeigt. Als Richtwert gilt aber 130 Prozent Belastbarkeit – also 30 Prozent Sicherheitspuffer.
Und wo und wann ist es besonders gefährlich?
Zwischen 18.00 und 22.00 Uhr, wenn der Stromverbrauch am höchsten ist, die Sonne nicht mehr scheint und der Wind meist abflaut. Regional ist nach der Abschaltung der Atomkraftwerke Süddeutschland die kritische Region. Wenn dort abends hohe Verbräuche entstehen, kann es zu Einbrüchen kommen.
Aber das müsste man doch vorhersagen können?
In den meisten Fällen ja. Die Stromtransporte des Folgetages müssen bis 14.00 Uhr angemeldet werden. Da zeichnen Engpässe sich in der Regel ab. Aber plötzliche Leitungsstörungen können trotzdem immer passieren.
Was ist jetzt mit unserer Versorgungssicherheit?
Die Netzbetreiber haben sich bereits mehr „Kaltreserve“ an zusätzlicher Kraftwerkskapazität in Süddeutschland und in Österreich gesichert, als nach den Berechnungen nötig sein wird. Doch absolute Sicherheit gibt es nicht und das Black-Out-Risiko ist durch die Energiewende eindeutig gewachsen.