Die Bahn muss noch länger als vereinbart auf ICE-Züge warten. Warum kann Siemens nicht liefern und was könnte Bahnkunden drohen?

Berlin/München. Für die Deutsche Bahn ist es kurz vor dem Winter ein empfindlicher Rückschlag: Weil Siemens die neuen ICE-Züge nicht rechtzeitig liefert, fehlt der Bahn die erhoffte größere Reserve, die sie bei Zugausfällen einsetzen könnte.

Denn bevor die neue Züge fahren dürfen, muss die Bahn sie technisch überprüfen. Bei dieser Abnahmeprüfung Anfang November haben die Experten der Bahn bei dem ICE 3 des Typs Velaro D (Baureihe 407) technische Fehler entdeckt: Die Software für die Zugsteuerung funktionierte nicht wie vorgesehen. Zum einen riss die Verbindung zur Leit- und Sicherungstechnik während der Fahrt ab. Außerdem gab es Probleme bei der Kommunikation zwischen vorderem und hinterem Zugteil.

Eine Lösung mit Hilfsprogrammen wurde ausprobiert, funktionierte aber nicht, wie Bahnmanager Volker Kefer berichtete. Nun müssen die Computerprogramme nachgebessert und dann erneut überprüft werden. Dies wird nicht bei allen Zügen gleichzeitig gemacht, sondern nacheinander. Siemens versprach der Bahn, die Züge nach der erforderlichen Abnahme „sukzessive“ zur Verfügung zu stellen.

Wann werden die Züge nun geliefert?

Siemens lässt das offen. Einen neuen Liefertermin kann das Unternehmen nach Worten eines Sprechers nicht nennen. Zu groß ist wohl für Siemens die Gefahr, dass auch das nächste Datum nicht eingehalten werden kann. Zwar kann der Konzern die eigenen Produktionszeiten kalkulieren – Verzögerungen könnten sich aber beim Zulassungsverfahren ergeben. Die Bahn spricht davon, dass es mindestens zwei Monate dauern wird, bis die neue Software entwickelt, geprüft und genehmigt ist. Erst dann dürfen die ICE auf die Schiene.

Was bedeuten die fehlenden ICE für den Bahnverkehr im kommenden Winter?

Es kommt darauf an, wie sehr Eis und Schnee den Zugbetrieb behindern. Die Bahn hat nach eigenen Angaben „nicht weniger Fahrzeuge als im letzten Winter“. Und die acht neuen ICE seien auch nicht für den normalen Betrieb eingeplant gewesen, „weil wir nicht sicher genug waren, ob sie rechtzeitig zur Verfügung stehen“, sagte der Chef des Bahn-Personenverkehrs, Berthold Huber.

Damit fehlen inmitten neuer Passagier-Rekorde für die Bahn-Kunden im Winter Entlastungs- und Reservezüge. Die Fahrgäste sind damit erneut von Zugausfällen und Verspätungen bedroht.

Die Züge fehlen aber als Reserve, sollten Fernzüge mit technischen Problemen ausfallen. Damit müssten sich Bahnkunden im Ernstfall bei einem . „Das tut schon weh“, klagte Huber. Die Bahn hätte die zusätzlichen 3200 Sitzplätzen gerade im Weihnachtsverkehr auf den Hauptrouten „sehr gut gebrauchen können“. Weil die Achsen der ICE häufiger in der Werkstatt überprüft werden müssen, ist die Reserve seit Jahren gering.

Muss Siemens jetzt eine Vertragsstrafe zahlen?

Wenn Liefertermine nicht eingehalten werden können, sind Vertragsstrafen in der Industrie üblich. Siemens hüllt sich darüber aber in Schweigen. Für die Verzögerungen im vergangenen Jahr haben Bahnchef Rüdiger Grube und Siemens-Chef Peter Löscher über eine ungewöhnliche Form der Entschädigung verhandelt: Einen zusätzlichen ICE im Wert von 30 bis 35 Millionen Euro als Gratis-Beigabe. Unterschrieben ist dieser Deal für den 17. ICE aber noch nicht – und auch dieser Zug müsste dann erstmal geliefert werden. Bahnmanager Kefer sagte, eine Entschädigung könne erst dann beziffert werden, wenn die Züge da sind.

Warum beauftragt die Bahn nicht einen anderen Hersteller für ihre Züge?

„So ganz einfach ist ein Wechsel von einem zum anderen Anbieter nicht möglich“, sagte Kefer. Gerade bei Hochgeschwindigkeitszügen sei der Entwicklungsaufwand groß, die Hersteller müssten auch zuverlässige Qualität liefern. Die Bahn bemühe sich aber generell, auch anderen Herstellern als Siemens Aufträge für Fahrzeuge zu erteilen, um den Wettbewerb zu forcieren. Bei Fernzügen kämen auch Alstom, Bombardier oder japanische Unternehmen infrage, die den Schnellzug Shinkansen gebaut haben.

Welche Pläne haben Siemens und die Bahn für die Zukunft?

Das nächste große Projekt beider Konzerne heißt ICx. Für sechs Milliarden Euro hat die bundeseigene Bahn voriges Jahr bei Siemens vorerst 220 Züge bestellt. Sie sollen im Jahr 2016 die teils 40 Jahre alten Intercitys ablösen. Später könnten sie auch im ICE-Netz fahren. Die ICx sollen maximal Tempo 249 fahren und bis zu 724 Passagiere transportieren.