Markt wird 2013 liberalisiert. Mehrere Unternehmen wollen dann Fahrten deutlich günstiger als mit der Bahn anbieten. Milliardenmarkt wächst.

Hamburg. Wenn Jennifer Benthin ihre Freundin in Berlin besucht, reist sie generell mit dem Bus. "Das ist nicht so anstrengend wie mit dem Auto. Man kann sich gleich nach der Ankunft entspannt ins Nachtleben stürzen. Außerdem ist die Fahrt viel günstiger als mit der Bahn", sagt die Grafik-Designerin. Zusammen mit drei Dutzend anderen Reisenden wartet die 26-Jährige am Zentralen Omnibusbahnhof in Hamburg - kurz ZOB genannt - auf den "Berlin Linien Bus" in die Hauptstadt.

Der doppelstöckige Reisebus mit bequemen Sitzen kommt an diesem Vormittag pünktlich um 11.30 Uhr an der Haltestelle 16 in Hamburg aus Berlin zum Stehen, um schon eine halbe Stunde später wieder an die Spree aufzubrechen. Die Fahrt dauert in der Regel 3,5 Stunden, gerät der Omnibus allerdings in einen Stau, braucht er entsprechend länger. Der ICE der Deutschen Bahn bewältigt die Strecke - laut Fahrplan - schon in rund 100 Minuten. Der Fahrpreis liegt aber deutlich höher. Zahlt man für die Busfahrt zwischen Hamburg und Berlin zum Normaltarif 27 Euro, werden bei der Bahn 73 Euro fällig - also mehr als doppelt so viel. Bei Hin- und Rückfahrt liegt der Preis mit dem Bus bei 47 Euro. Wer frühzeitig bucht, kann noch günstigere Tickets ergattern. So hat die Arzthelferin Julia Fock aus Pinneberg für ihre Fahrkarte nur neun Euro bezahlt, weil sie diese vor einer Woche gebucht hat: "Günstiger geht's wohl nicht."

Trotz attraktiver Preise führt der Fernbusverkehr in Deutschland dennoch ein Schattendasein - noch. Von Hamburg aus gibt es nur zwei Strecken in andere deutsche Städte: eine Verbindung nach Berlin - zwölfmal täglich im Stundentakt. Sowie einen Nachtbus nach Mannheim über Hannover, Göttingen, Kassel, Frankfurt und Heidelberg. Das war's. Doch diese Situation dürfte sich 2013 deutlich ändern - und der Fahrplan vielfältiger werden.

Denn mit Beginn des nächsten Jahres wird der Fernlinienverkehr liberalisiert. Dann fallen fast alle Beschränkungen im Busverkehr weg, die schon 1935 zum Schutz der Bahn im Personenbeförderungsgesetz festgeschrieben wurden. Somit dürfen Fernbusse künftig auch wieder zwischen deutschen Städten pendeln. Nur eine Einschränkung bleibt: Zum Schutz der Regionalzüge dürfen die Strecken nicht unter 50 Kilometer lang sein und die Reisezeit weniger als eine Stunde betragen.

Zahlreiche Busunternehmen stehen bundesweit bereits in den Startlöchern, um ihre Chancen in dem neuen Markt zu nutzen. "Wir erwarten, dass durch die neue Busverbindungen einige Millionen weitere Passagiere gewonnen werden", ist der Hauptgeschäftsführer des Internationalen Bustouristik Verbands (RDA), Dieter Gauf, überzeugt. "Auch in Norddeutschland haben einige Busunternehmen Pläne für neue Verbindungen in der Pipeline", sagt der Geschäftsführer des Omnibus Verbands Nord (OVN), Joachim Schack. Konkrete Namen wollte er nicht nennen. Noch werde die Wirtschaftlichkeit geprüft.

Der Geschäftsführer des Hamburger ZOB sieht die Hansestadt für einen möglichen Ansturm neuer Anbieter jedenfalls gut gerüstet: "Wir gehen davon aus, dass wir künftig in Hamburg täglich 150 bis 200 zusätzliche Abfahrten von Fernbussen erhalten", sagt Wolfgang Marahrens. In den Hauptverkehrszeiten würde dies etwa 20 Busse pro Stunde mehr bedeuten. "Das kann der ZOB gut verkraften", sagt Marahrens. Bislang starten wöchentlich rund 400 Busse im Linienfernverkehr - davon die meisten ins Ausland, insbesondere nach Polen. Pro Jahr nutzen rund 800 000 Passagiere diese Verkehre, eine weitere Million ist mit Reisebussen auf Ausflugsfahrten unterwegs.

Noch liegen keine konkreten Anträge für neue Strecken vor. "Hamburg liegt geografisch gesehen in einer Randlage", sagt Marahrens. Die Hansestadt werde somit vor allem End- oder Ausgangspunkt von Fernstrecken sein und nicht - wie etwa Hannover oder Frankfurt - eine Durchgangsstation. Der ZOB-Chef erwartet, dass von Hamburg aus vor allem die Strecken nach Bremen, Köln, Flensburg, Hannover erschlossen werden. "Lübeck, Uelzen oder Lüneburg sind als Ziele nicht möglich, da sie mit dem Zug in weniger als einer Stunde erreichbar sind und damit nicht angeboten werden dürfen."

Zu den neuen Anbietern werden große internationale Unternehmen gehören wie National Express, First Group oder Veolia. Aber auch inländische Busfirmen bringen sich in Stellung, wie eine Umfrage des Abendblatts ergab. Die Deutsche Touring/Eurolines Germany, die europaweit etwa 700 Ziele ansteuert, will ab Januar 2013 ihre internationalen Strecken auch für Inlandsreisende öffnen. "Dies war bislang verboten", sagt der Geschäftsführer Frank Zehle. So können Passagiere auf der Strecke Hamburg-Neapel künftig auch Teilstrecken im Inland buchen und beispielsweise nur bis nach Hannover, Würzburg oder München mitfahren und dort aussteigen. Auf der Linie Hamburg-Paris sei ein Ausstieg dann auch in Köln oder Düsseldorf möglich. "Für uns ist dies ein gutes Zusatzgeschäft. Die internationalen Busse fahren bereits und können dann noch besser ausgelastet werden. Wir könnten die Tickets sogar zu Grenzkosten - also besonders günstig - anbieten", sagt Zehle. Zudem soll die bestehende Nachtstrecke Hamburg-Frankfurt-Mannheim künftig auch tagsüber angeboten werden, hier gebe es Fahrscheine bereits ab neun Euro. Wie schnell weitere Strecken geschaffen werden, hänge auch von den Behörden ab, die jede neue Linie genehmigen müssen. "Dies dauerte bisher bis zu drei Monate", sagt Zehle.

Offensiv agieren auch zwei junge Firmen, die erst vor wenigen Jahren mit Fernbusangeboten an den Start gingen. "Mein Fernbus wird bereits im Frühjahr 2013 Hamburg an sein bestehendes Fernliniennetz anbinden", sagt Gregor Hintz, Pressesprecher der MFB MeinFernbus: "Die Hansestadt stellt für uns mit seinem attraktiven und zentral gelegenen ZOB einen wichtigen Knotenpunkt für Norddeutschland dar." Das Berliner Unternehmen ist derzeit vor allem im Süden aktiv und will sein Netz sukzessive nach Norden ausbauen. "Wir glauben, dass der Fernbusverkehr große Marktchancen bietet." Seit April habe MeinFernbus bereits 85 000 Passagiere befördert - unter anderem auf den Strecken München-Freiburg. "Unsere Busse sind zu 75 Prozent ausgelastet und die Fahrpreise etwa halb so teuer wie bei der Bahn." Allerdings will sich das junge Unternehmen auch über guten Service an Bord behaupten. So würden Busse mit bequemen Sitzen eingesetzt, an Bord gebe es Snacks und Getränke.

Auch DeinBus.de will im nächsten Jahr Hamburg anfahren, sagt Christian Janisch, Mitgründer des Offenbacher Unternehmens: "2013 haben wir im Norden und Westen der Republik viel vor." Aktuell bedient DeinBus.de Strecken in Süddeutschland. Die Busse zwischen Stuttgart und Freiburg seien "rappelvoll". Dies liege nicht nur an den günstigen Preisen, sondern vor allem daran, dass Busse auf der Strecke deutlich komfortabler seien als die Bahnverbindung, wo die Passagiere zweimal umsteigen müssten, so Janisch. DeinBus.de kooperiert mit sechs Busfirmen, die sowohl die Fahrzeuge als auch die Fahrer stellten.

Autokraft, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, das bislang mit seinen Berlin-Linien-Bussen die Verbindung in die Hauptstadt bedient, plant dagegen "keine neuen Strecken", sagte ein Bahnsprecher. Pro Jahr befördert der Staatskonzern etwa 120 000 Fahrgäste auf der Busstrecke aus Norddeutschland. Die Auslastung sei zufriedenstellend. Auch das Busunternehmen Jasper, an dem die Hochbahn beteiligt ist, plant derzeit keinen Einstieg ins Liniengeschäft. "Aber wir beobachten den Markt", sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum.

Damit das neue Angebot ein Erfolg wird, bedarf es aber noch eines Umdenkens in der Bevölkerung. "Im Ausland sind die Menschen es gewohnt, mit dem Bus zu reisen. Nur in Deutschland ist diese Praxis noch nicht eingeübt", meint der Hamburger Filialleiter von Sindbad Reisen, Patrick Becker. Das Busunternehmen bietet von Hamburg aus täglich ein Dutzend Verbindungen nach Polen in verschiedene Städte an. Je nach Bedarf werden auch mehrere Busse eingesetzt, um an manchen Tagen die große Nachfrage zu bedienen.

Insgesamt ist der deutsche Busmarkt bereits heute laut RDA eine bedeutende Branche. 4400 Busunternehmen beschäftigten rund 144 000 Mitarbeiter und erzielten 2011 einen Umsatz von 6,6 Milliarden Euro. Im Vorjahr wurden rund 110 Millionen Passagiere befördert, davon zwei Millionen Reisende mit den Fernbussen im Inland. In der Regel kosten die Bustickets etwa ein Drittel des Normaltarifs der Bahn.

Auch die Umweltbilanz kann sich sehen lassen. So liegt der Kraftstoffverbrauch je Person und 100 Kilometer (dieseläquivalent) im Reisebus bei 1,4 Litern. In der Bahn kommen 2,5 Liter auf jeden Passagier, im Auto sind es sogar sechs Liter (siehe Grafik). "Der Omnibus ist das ökologischste Verkehrsmittel nach dem Fahrrad", meint der OVN-Verbandschef Joachim Schack.

Der Nachteil der Busse liegt in seiner Reisezeit. "Aufgrund des starken Verkehrs sind Fahrpläne nicht immer einzuhalten", so Schack. Gerade im Großraum Hamburg werde die Situation durch immer neue Bauarbeiten zunehmend prekärer. Gleichzeitig müssten Großstädte von Linienbus-Betreibern angefahren werden. "Nur in den Metropolen finden sich genügend Passagiere, damit eine Strecke rentabel betrieben werden kann. Wer den Norden mit Buslinien erschließen will, braucht Hamburg als Halt auf seiner Strecke."

Für die Rentnerin Rita Küter gibt es jedenfalls keine Alternative zum Bus: "Ich vertrage Bahnfahren kreislaufmäßig gar nicht." Der Hamburger Michael Sebald schätzt unterdessen die Verlässlichkeit des Omnibusses - auch im Winter: "Die Busse fahren selbst bei Schnee und Eis, was man von der Bahn ja nicht immer behaupten kann."