Drei Hamburger Manager aus Griechenland, Italien und der Türkei sprechen im Abendblatt über die Euro-Krise und die Zukunft der EU.
Hamburg. Kaum ein Tag vergeht ohne Schlagzeilen zur Euro-Krise. Europa droht auseinanderzufallen. Dem Norden gehen die Sparanstrengungen der Staaten im Süden nicht weit genug, die Bürger dort wiederum klagen über viel zu harte Vorgaben. Das Abendblatt hat drei Hamburger Manager mit ausländischen Wurzeln zum Gespräch eingeladen, um mit ihnen die aktuelle Situation, ihre Gefühlslage und Wege aus der Krise zu diskutieren.
Panos Drossinakis, 49, aus Chalkidiki in Nordgriechenland lebt seit 1996 in Hamburg. Der Diplom-Physiker arbeitet als selbstständiger Systemberater für Informationstechnologie.
Loreto Pizzileo, 41, wurde in Hamburg geboren, ging mit seiner Mutter nach Italien und kehrte als junger Mann in die Hansestadt zurück. Nach Jahren in der Gastronomie studierte er Betriebswirtschaftslehre und arbeitet beim Netzwerk Unternehmer ohne Grenzen als Berater.
Kazim Abaci, 47, kam als Jugendlicher aus dem türkischen Kayseri nach Hamburg. Der studierte Volkswirt und Sozialökonom ist Geschäftsführer von Unternehmer ohne Grenzen.
Hamburger Abendblatt: Herr Drossinakis, drei Jahre nach dem Beginn der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise scheint sich die Situation in Ihrem Heimatland Griechenland nicht zu bessern, im Gegenteil. Es mehren sich die Stimmen, Griechenland solle die Euro-Zone verlassen. Finden Sie solche Forderungen richtig?
Panos Drossinakis: Überhaupt nicht. Die Sparmaßnahmen, die Griechenland seit Jahren gezwungenermaßen umsetzen muss, sind in Europa beispiellos. Ich frage mich oft, wie die Bürger in anderen europäischen Ländern damit umgehen würden. Die griechische Wirtschaft, die seit 2008 um mehr als 17 Prozent geschrumpft ist, war jahrzehntelang ohne Orientierung und Entwicklung. Bürokratie und Korruption blockieren dort bis heute oft die Entfaltung eines kreativen Unternehmertums. Das zu ändern und das Land wirtschaftlich und politisch wieder auf die Beine zu bringen, dauert lange. Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone würde alles, was bisher geleistet wurde, wieder zunichte machen. Zudem würde es die anderen Euro-Länder, allen voran Deutschland, viel Geld kosten.
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Wie nehmen Sie die Stimmung in Griechenland wahr?
Drossinakis: Ich bin regelmäßig in Griechenland, zuletzt mehr als fünf Wochen lang in diesem Sommer. Meine Verbindungen zu Verwandten, Freunden und Bekannten sind eng. Die meisten Menschen sehen dort zurzeit keine Verbesserung oder Perspektive. Die harten Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft treiben viele Griechen, vor allem die mit geringen Einkommen, in die Verelendung. Die Suizide nehmen dramatisch zu. Viele Bürger sind mittlerweile abhängig von staatlichen oder karitativen Hilfsprogrammen wie etwa öffentlichen Essensausgaben. Griechenland hat ein großes wirtschaftliches Potenzial. Aber die Menschen sind nach den harten letzten Jahren enttäuscht und glauben nicht, dass die beschlossenen Maßnahmen das Land tatsächlich aus der Krise führen. Dementsprechend wagen sie es nicht, Veränderungen anzugehen oder auch selbst Unternehmen zu gründen.
Herr Pizzileo, in Deutschland denken viele Menschen, die Länder im Süden wollen sich gar nicht anstrengen, um die Krise zu überwinden. Im Süden wiederum fühlen sich viele Bürger unter dem Reformdruck regelrecht ausgepresst.
Loreto Pizzileo: In Zeiten der Krise wachsen meist auch die Vorurteile, und das ist sehr bedenklich. Ich habe allerdings im Moment nicht den Eindruck, dass in Italien eine antideutsche Stimmung heranwächst. Deutschland genießt in Italien hohes Ansehen. Wichtig ist, die Dinge differenziert zu sehen. Italien hat, ähnlich wie Griechenland, ein großes Problem mit Bürokratie und Korruption. Aber wirtschaftlich ist Norditalien - eine der stärksten Regionen Europas - in einer deutlich besseren Position als der Süden. Ein Gefälle gibt es also nicht nur zwischen Nord- und Südeuropa, sondern zum Beispiel auch in Italien selbst.
Ein beliebtes Klischee in Deutschland ist der italienische Mann, der mit 30 Jahren immer noch im "Hotel Mama" wohnt.
Pizzileo: Das kenne ich. Die Realität sieht aber so aus: In Italien spielt die Familie eine überragende Rolle. Schon allein deshalb, weil sich die Italiener nicht auf den Staat und auf dessen häufig korrupte und ineffiziente Strukturen verlassen. Männer, die noch lange bei ihren Eltern wohnen, tun das nicht wegen Mamas Pasta. Sie bauen sich in dieser Zeit üblicherweise ein Fundament für ihre eigene Familie auf.
Herr Abaci, die Arbeitslosigkeit in Südeuropa wächst. Nehmen Sie diesen Druck bei Unternehmer ohne Grenzen hier in Hamburg wahr? Steigt bei Ihnen die Zahl der beruflichen Hilferufe?
Kazim Abaci: Wir bekommen aus Südeuropa deutlich mehr Anfragen. Es geht darum, wie man hier als Arbeitnehmer Fuß fassen kann oder auch als Unternehmer. Kürzlich erst sprach ich darüber mit einem spanischen Gastronomiegroßhändler, der verstärkt junge Menschen aus Spanien einstellen will. Eine Anstellung in einem Unternehmen der eigenen Nationalität verschafft jungen Menschen aus dem Ausland sicher den besten Zugang nach Hamburg und zum städtischen Arbeitsmarkt.
Pizzileo: Wenn junge Menschen aus Italien, Spanien oder Griechenland in Deutschland, in Hamburg Arbeit finden, können sie damit ihre eigene Situation verbessern. Man darf aber nicht vergessen: Es sind meist die klügsten Köpfe, die ihr Land in so einer Situation verlassen. Und gerade jetzt werden sie dort gebraucht. Die hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei jungen Menschen in Südeuropa macht mir große Sorgen.
Drossinakis: Etliche junge Griechen sind hervorragend ausgebildet. Es sind, wie Sie richtig sagen, gerade diese Leute, die in der Krise am ehesten ihr Land verlassen, aus Mangel an beruflichen Perspektiven, obwohl sie ihre Heimat lieben. Ich bekomme immer wieder Anfragen, ob ich Kontakte vermitteln oder bei einer Bewerbung helfen kann.
Könnte der europäische Arbeitsmarkt nicht viele Probleme lindern? Im Süden sind die Menschen arbeitslos, und im Norden fehlen Fachkräfte.
Drossinakis: Ich glaube, das funktioniert nur, wenn es in beide Richtungen läuft. Sicher können junge Menschen aus dem Süden einen guten Start ins Berufsleben finden, wenn sie einen Arbeitsplatz im Norden bekommen. Aber zugleich muss in Griechenland, in Süditalien, Spanien und Portugal auch investiert werden, um die Wirtschaft dort wieder aufzurichten und sie zu modernisieren. Das können im Moment nur die Unternehmen aus den stärkeren EU-Ländern leisten, vor allem die deutschen. Wenn das gelänge, bekämen viele junge Arbeitnehmer oder Unternehmer die Chance, nach einiger Zeit wieder in die Heimat zurückzukehren.
Sparen und Kreditpakete für den Süden schnüren - das hat in den vergangenen Jahren nicht genügt, um die Schuldenkrise in Europa zu lindern. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, Herr Abaci?
Abaci: Wir brauchen in Zukunft viel mehr Europa und nicht weniger. Eine strenge Haushaltsdisziplin für die hoch verschuldeten Euro-Staaten ist richtig. Es muss aber auch ein großes Investitionsprogramm der EU geben, um die schwachen Regionen der Gemeinschaft wieder zu stärken. Oft mangelt es ja nicht einmal an Geld. In Griechenland werden viele EU-Fördermittel gar nicht abgerufen. Erfolgreich zu investieren, heißt eben auch, die Menschen zur Gründung von Firmen zu ermutigen und einem Land wie Griechenland dabei zu helfen, seine öffentliche Verwaltung modern und effizient zu gestalten. Drittens wird man um eine gemeinsame Haftung für die Staatsschulden in der Euro-Zone nicht herumkommen, wie auch immer man das dann nennen mag.
Pizzileo: Vor einigen Jahren hätte man eine solche Gemeinschaftshaftung in der Euro-Zone vielleicht noch vermeiden können. Mittlerweile muss man dieses Signal setzen, um den Druck der Schuldenkrise, der von den Finanzmärkten kommt, überhaupt noch senken zu können. Und was die Investitionen betrifft: Der Süden Europas wird nicht durch neue Investitionen gestärkt, er wurde zuletzt wirtschaftlich sogar noch weiter geschwächt. In den vergangenen zwei Jahren sollen allein aus Italien 300 Milliarden Euro Kapital abgezogen worden sein.
Drossinakis: Es gäbe viele Ansätze, die griechische Wirtschaft zu stärken, vor allem im Tourismus, aber auch in der Informationstechnologie, im Dienstleistungssektor, in den Häfen und bei den erneuerbaren Energien. Aber diejenigen in Griechenland, die Geld haben und es investieren könnten, übernehmen häufig keine Verantwortung. Sie bringen ihr Kapital außer Landes.
Welchen Beitrag kann Hamburg zur Linderung der Euro-Schuldenkrise leisten?
Abaci: Etliche Hamburger Unternehmer, die aus südeuropäischen Ländern stammen, unterstützen ihre Angehörigen oder Freunde in ihrer Heimat nach Kräften: mit Geld, Rat und Tat, mit Arbeit. Das sollte man nicht unterschätzen. Was Hamburg angeht: Die Stadt hat für mich in vieler Hinsicht Vorbildcharakter. Hamburg baut seine Verschuldung ab und konsolidiert seinen Haushalt. Zugleich investiert die Stadt Geld und Expertise in Forschung und Innovation in einer ganzen Reihe von Branchen, von der maritimen Wirtschaft über die Luftfahrt bis zur Medizintechnik und jüngst den erneuerbaren Energien. Das schafft wirtschaftliche Stärke und Arbeitsplätze. So sollte es überall in der EU sein.
Glauben Sie, dass die EU diese Krise überwindet und dass es in einigen Jahren noch dieselben 17 Mitgliedstaaten in der Euro-Zone geben wird?
Pizzileo: Ich wünsche mir sehr, dass die Euro-Zone in ihrer jetzigen Form erhalten bleibt und dass die Mitgliedstaaten die Krise überwinden. Im Moment bin ich aber nicht sicher, ob es gelingt.
Abaci: Es muss gelingen. Wenn nicht, werden übrigens auch die Menschen in Deutschland leiden. Deutschland hat bislang wie kein anderes Land von der EU und vom Euro profitiert. Deshalb sind die Äußerungen deutscher Politiker verantwortungslos, die Griechenland aus der Euro-Zone herausdrängen wollen, wie etwa Bayerns Finanzminister Markus Söder. Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenpolitik.
Drossinakis: Ich bin für Europa und für den Euro optimistisch. Aber ich wünsche mir auch viel klarere Worte der Bundesregierung dafür, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt.