Selbst die Anziehungskraft der funkelnden Steine lässt in der Krise nach. Der Diamantenhandel ging um 25 Prozent zurück.
Antwerpen. Es geht um Bruchteile von Millimetern, und es geht um Tausende Euro. Gelassen drückt Rudi Van Oirschot die Zange auf die Drehscheibe. Ssst – der Diamant berührt das beschichtete Metall. Milliarden Jahre alter Kristall wird zu Staub. Facette für Facette ist an der Reihe, bis das Feuer des edlen Steins zu glimmen beginnt.
Diese Arbeit könnte ein Roboter niemals machen. Im belgischen Antwerpen sitzen Diamantschleifer wie Van Oirschot häufig wochenlang an einem einzigen Edelstein. Sie prüfen seine Beschaffenheit, entscheiden sich für Brillant-, Prinzess-, Tropfen- oder Smaragdschliffe. Fünf bis zehn Jahre, heißt es hier, muss ein guter Schleifer an Erfahrung mindestens mitbringen.
Luxus verkauft sich, auch in der Wirtschaftskrise und besonders in der Vorweihnachtszeit. Und dennoch herrschte in Antwerpen, dem weltweit wichtigsten Handelsplatz für Diamanten, in den letzten Monaten große Nervosität. Um 25 Prozent sei das Geschäft mit geschliffenen Diamanten in diesem Jahr eingebrochen, gab der örtliche Branchenverband Antwerp World Diamond Center (AWDC) bekannt. Für den Handel mit Rohdiamanten gelten ähnliche Zahlen.
„Und dabei sind wir bislang glimpflich davongekommen“, sagt Freddy J. Hanard, Direktor des AWDC. Zwar habe es Entlassungen gegeben, die Kreditklemme und die Unsicherheit der Kunden seien ein Problem. „Doch wegen der engen Verflechtungen mit dem Weltmarkt hätte es noch schlimmer kommen können.“
Besonders hart habe es zum Beispiel das Lieferantenland Botswana getroffen, berichten Antwerpener Experten. Der südafrikanische Staat gehört zu den wichtigsten Diamantenexporteuren der Welt. Seit die Edelsteinlager vor vier Jahrzehnten entdeckt wurden, hat sich Botswana vom Armenhaus zu einem der reichsten Länder des Kontinents gewandelt. Dank geschickter Regierungspolitik gingen damit Entwicklung und Demokratie einher.
Doch 2009 schlug die globale Krise ein. Die Diamantenexporte schrumpften in den ersten drei Quartalen um 56 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Botswanas größter Kunde sind die USA – in der Wirtschaftskrise fatal. Für das kommende Jahr erwarten Ökonomen eine Erholung. Dennoch überlegt man nun fieberhaft, wie man die Wirtschaft diversifizieren kann, um die Abhängigkeit von den Diamanten zu schmälern.
Das Wohlergehen Botswanas und anderer Exportländer liegt auch den europäischen Schmuckfirmen am Herzen. Neben wirtschaftlichen Gründen spielen Image-Fragen eine Rolle. Mit „Entwicklungsdiamanten“ lässt es sich gut werben – die Schatten der „Blutdiamanten“ hat die Branche bis heute nicht ganz verscheuchen können. In den 90er Jahren hatten Rebellen in Krisenstaaten wie Liberia damit ihre Waffen finanziert. Heute kommen sie noch vereinzelt vor.
In den Räumen der Diamantenbörse von Antwerpen indessen geht es in diesen Wochen so unaufgeregt zu wie immer. In dem stuckverzierten Saal scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Händler, viele von ihnen ältere Männer in traditioneller jüdischer Kleidung, sitzen an langen Tischen. Sie plaudern beim Kaffee und feilschen, bevor es - „Mazal!“ – zum berühmten Handschlag kommt.
Und auch im „Diamantenamt“ auf der anderen Straßenseite herrscht Routine. Hier arbeiten Gutachter und Zollbeamte, die unter anderem prüfen, ob die Edelsteine nicht aus Konfliktregionen stammen. Einer der Experten wirft eine unscheinbare Plastiktüte auf die Tischplatte, als sei ein Pausenbrot darin. Als er sie öffnet, kullern Dutzende von Sternchen heraus. „40.000 Dollar“, sagt der Experte und betrachtet versonnen die Steine, die im gelben Licht der Schreibtischlampe funkeln.