Die EU-Finanzminister ringen um eine Lösung. Finanzminister Schäuble sieht keinen Grund für eine Verdoppelung des Rettungsfonds.
Hamburg. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist die Eurozone weiter in einer schwierigen Lage, kann aber geschlossen handeln. Bei der Bewältigung der Finanzkrise müsse aktuell vor allem darauf geachtet werden, „dass man in einer so nervösen Lage nicht Ansteckungsgefahren verstärkt“, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Brüssel dem Deutschlandfunk. Dort hatte die Eurogruppe zuvor beschlossen, die Notkreditlaufzeiten zu verlängern und die Zinsen zu senken, um die Krise einzudämmen.
Auch die Spekulationen über die Zahlungsfähigkeit Italiens würden bald wieder zurückgehen, erklärte der CDU-Politiker. Der italienische Finanzminister habe den Haushaltsentwurf vorgelegt. Und es bestehe kein Zweifel, dass das Parlament ihn so auch beschließe. Schäuble sagte, die zu hohen Schulden in einigen Mitgliedsländern gefährdeten das Vertrauen in die Euro-Zone als Ganzes. Die zu hohen Defizite in einzelnen Mitgliedsländern seien die Ursache dieser Vertrauenskrise und müssten beseitigt werden. „Jetzt braucht es natürlich ein wenig Zeit, bis die Märkte davon überzeugt sind, dass das auch tatsächlich so funktioniert“, sagte der Finanzminister. „Ich glaube, dass wir insgesamt auf einem vernünftigen Weg sind.“
Auf jeden Fall müsse die Schuldentragfähigkeit Griechenlands weiter verbessert werden, forderte Schäuble. Es müsse eine Form gefunden werden, „wie die privaten Gläubiger beteiligt werden, ohne dass es zu den Zuspitzungen an den Märkten kommt“. Auch dabei sei man auf einem guten Weg. In diesem Zusammenhang könne man auch darüber nachdenken, wie man Laufzeiten verlängere oder Zinssätze anpasse und damit die Schuldentragfähigkeit verbessere.
Seit wenigen Tagen wird heftig über die Zukunft von Italien debattiert.Die Finanzmärkte sind unberechenbar: Nach Griechenland, Irland, Portugal und Spanien leuchtet nun Italien, immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, auf dem Schuldenkrisenradarschirm auf. Weil besorgte Investoren italienische Staatsanleihen verkauften, kletterte die Rendite der zehnjährigen Papiere am Montag im Vormittagshandel um 0,16 Punkte auf 5,421 Prozent. Damit lag der Risikoaufschlag zu entsprechenden Bundesanleihen bei 2,63 Prozentpunkten, so hoch wie noch nie seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Auch die Absicherungen gegen einen Ausfall von Staatsanleihen erreichten neue Rekordpreise.
"Es könnte passieren, was nicht passieren darf: Dass sich die Märkte auf eines der größeren Länder in Europa einschießen", sagte Carsten Klude, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses M.M.Warburg, dem Abendblatt. Dabei gehe es hier um eine ganz andere Größenordnung als etwa in Griechenland: Während Athen bei den Gläubigern mit 350 Milliarden Euro in der Kreide steht sind es in Italien rund 1,8 Billionen Euro. Auch die Anleger schickten die Börsen gestern europaweit auf Talfahrt, der deutsche Leitindex DAX sank um 2,33 Prozent auf 7230,25 Punkte. Der Euro rutschte unter die Marke von 1,40 Dollar.
Es sei nach derzeitigem Stand keineswegs auszuschließen, dass die Schuldenkrise auch Italien voll erfasse, so Klude. Vor diesem Hintergrund kamen zuletzt Spekulationen auf, der Euro-Rettungsschirm solle auf ein Volumen von 1,5 Billionen Euro verdoppelt werden - so wie dies Nout Wellink, Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) aus den Niederlanden, jüngst vorgeschlagen hatte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilte derartigen Überlegungen eine Absage. "Davon kann überhaupt keine Rede sein", sagte Schäuble vor Beginn eines Treffens mit seinen Amtskollegen der Euro-Runde. "Das sind die üblichen Gerüchte, die von wem auch immer gestreut werden, sie haben mit der Realität nichts zu tun."
Ob eine Verdoppelung überhaupt ausreichen würde, sollte auch Italien die Hilfen in Anspruch nehmen müssen, stehe auf einem anderen Blatt, so Klude. Tatsache ist, dass Italiens Schuldenstandsquote in diesem Jahr 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen dürfte - nach Griechenland ist dies der höchste Wert im Euro-Raum. Auffallend ist die Wachstumsschwäche der Wirtschaft: "Italien wächst derzeit kaum und das, obwohl das Land nicht wie die anderen Peripherieländer darunter leidet, dass eine Immobilienblase geplatzt ist, der Privatsektor seine Bilanzen bereinigt oder der Staat massiv spart", erklärte Ulrike Rondorf, Analystin bei der Commerzbank. Zusammen mit Portugal habe Italien in den zurückliegenden zehn Jahren die niedrigsten Wachstumsraten unter den Staaten der Währungsunion aufgewiesen, so Klude. "Außerdem gibt es in der italienischen Volkswirtschaft einen erheblichen Schattensektor, was die Steuereinnahmen drückt."
Zudem belaste das vergleichsweise großzügige Rentensystem, so Rondorf: "Das frühe Renteneintrittsalter sowie die hohe Lebenserwartung führen dazu, dass italienische Frauen durchschnittlich 27,3 Jahre in Rente sind. Dies ist der höchste Wert in der EU."
Zwar plant die Regierung in Rom Sparmaßnahmen im Umfang von 71 Milliarden Euro. Doch die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) erklärte das Sparpaket für nicht überzeugend, die Agentur Moody's drohte mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit, sollte Italien seine Schulden nicht in den Griff bekommen. Schäuble hingegen versuchte gestern, Zuversicht zu verbreiten: "Italien ist auf einem guten Weg." Das Land stehe zwar vor "nicht einfachen Haushaltsentscheidungen". Er habe aber "gar keinen Zweifel, dass Italien die richtigen Entscheidungen trifft". Laut dem Stabilitätsprogramm der dortigen Regierung soll das Budgetdefizit bis 2014 auf 0,2 Prozent des BIP schrumpfen. Im vorigen Jahr betrug die Neuverschuldung noch 4,6 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Ob Italien die Situation in den Griff bekommt oder nicht, ist nicht zuletzt auch für die deutschen Banken von hoher Bedeutung: Nach Angaben der Bundesbank hatten die Geldhäuser Ende März Forderungen an Italien in Höhe von insgesamt rund 116 Milliarden Euro, davon betrafen knapp 36 Milliarden Euro die öffentlichen Haushalte Italiens. Zum Vergleich: Der griechische Staat schuldete den deutschen Banken 18 Milliarden Euro.
Anders als etwa in Irland haben sich die Staatsschulden Italiens nicht erst seit wenigen Jahren bedrohlich erhöht. So lag der Schuldenstand im Jahr 1997 - dem Basisjahr, das über die Euro-Teilnahme entscheidend war - schon einmal bei 121,6 Prozent. Gemäß den Kriterien des Maastricht-Vertrags wären nur 60 Prozent zulässig gewesen. Doch aus politischen Erwägungen schlug man die damals geäußerten Bedenken des Europäischen Währungsinstituts, Vorgänger der EZB, in den Wind, Italien bekam den Euro.
Die Beschlüsse der Euro-Finanzminister zur Verstärkung des Euro-Rettungsschirms haben die Märkte am Dienstag allerdings nicht beeindruckt. Die Zinsen für italienische Staatsanleihen stiegen auf 5,9 Prozent, die für spanische auf 6,28 Prozent. Der Euro fiel am Vormittag um über ein Prozent auf 1,3845 Dollar. Die Börsen in ganz Europa gaben auf breiter Front nach. In Mailand sackten die Kurse um 3,8 Prozent ab.
Auch die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, sucht Sorgen über Italien zu dämpfen. „Italien hat ganz klar im Moment mit Problemen zu tun, die im wesentlichen von den Märkten befeuert wurden“, sagte sie am Montag (Ortszeit) in Washington. Einige der Wirtschaftsdaten des Landes seien „exzellent“; ein großer Teil der Schulden werde im Inland gehalten. Das bedeutet, dass der Einfluss internationaler Märkte begrenzt ist. Die Direktorin der globalen Finanzfeuerwehr zeigte sich aber zugleich überzeugt, dass „die italienische Regierung zusammen mit ihren Partnern darauf ein Auge hat“. Allerdings sei ebenso klar, dass sich das italienische Wirtschaftswachstum verbessern müsse. Zusammen mit den beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Schuldensituation sei dies entscheidend, um die Lage wieder zu normalisieren.
Mit Blick auf Griechenland lobte Lagarde, dass Athen viel unternommen habe, das Defizit zu reduzieren. „Das ist eine bedeutende Leistung“, meinte sie. Gleichzeitig sei aber klar, dass dies nicht ausreiche. „Da ist noch mehr Arbeit nötig“, mahnte sie. Der IWF hatte erst vorige Woche weitere Milliardenhilfen für das krisengeschüttelte Land freigegeben. Die Hilfen des IWF belaufen sich mit der neuen Tranche von rund 3,2 Milliarden Euro auf 17,4 Milliarden Euro. Griechenland war als erstes Land an den internationalen Finanztropf gekommen; später folgten Irland (85 Milliarden Euro) und Portugal (78 Milliarden Euro). Insgesamt summieren sich die bisherigen Hilfen für Athen auf 65 Milliarden Euro.