Teilweise kam nur noch jeder fünfte Fernzug pünktlich. Die Deutsche Bahn ist auf Winter nicht genügend vorbereitet, kritisieren Experten.
Hamburg. Menschenmassen auf den Bahnhöfen, lange Wartezeiten, Zugausfälle, genervte Reisende, die auf den Bahnsteigen froren: Bei der Bahn ging über Weihnachten nur noch wenig, und wenn, kamen die Züge teilweise um Stunden später an als geplant. Nun liegen die ersten Zahlen über das Verkehrschaos über die Feiertage vor: Im Fernverkehr soll zeitweise nur jeder fünfte Fernzug fahrplanmäßig unterwegs gewesen sein, im Regionalverkehr waren es noch rund 60 Prozent.
Die Werte, über die der "Tagesspiegel" aus einer internen Bahnstatistik berichtet, halten von Abendblatt befragte Experten für realistisch. "Ich habe über Weihnachten so gut wie keinen pünktlichen Fernzug erlebt", sagte Karl-Peter Naumann, der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, dem Abendblatt. "Die genannte Quote passt auch für Regionalzüge", so Dennis Fiedel, Sprecher der Verkehrsservicegesellschaft (LVS) des Landes Schleswig-Holstein, die die Nah- und Regionalverbindungen koordiniert.
Die Bahn wollte das Ausmaß der Verspätungen gestern nicht bestätigen. "Unsere Pünktlichkeit liegt aufs Jahr gerechnet bei 90 Prozent. Es ist nicht sinnvoll, dies für einzelne Tage oder Wochen anzugeben", sagte Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis. Solche Offenheit hält jedoch Dirk Fischer, der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, für nötig. "Dabei müssen die Statistiken getrennt nach Fern- und Regionalzügen aufgeschlüsselt werden", forderte Fischer gestern.
Die massiven Verspätungen, da ist sich Experte Naumann sicher, sind jedoch längst nicht nur auf Schnee und Eis zurückzuführen. "Eine langfristige Vorbereitung auf den Winter hat bei der Bahn nicht stattgefunden", sagte er. Für außergewöhnliche Wetterlagen fehle es an Reserven bei Loks und Waggons. Dazu seien mit Blick auf den geplanten Börsengang zu viele Überhol- und Ausweichgleise abgebaut worden, sodass es schon bei leichten Verspätungen eines Zuges zu weitreichenden Verzögerungen bei weiteren komme. "Dazu hat zum Teil die Leistung der Weichenheizungen nicht ausgereicht, um die Gleise befahren zu können", sagte Naumann. Die Probleme vergrößert hatte zudem der Ausfall von Triebwagen auf den Strecken zwischen Kiel und Lübeck sowie zwischen Kiel und Eckernförde. Zwischen Kiel und Lübeck ist die Bahn noch immer nur jede Stunde statt im 30-Minuten-Takt unterwegs. "Von Montag an werden wir jedoch alle Verbindungen wieder anbieten", sagte Meyer-Lovis. Wann jedoch auch die beiden durchgehenden Züge zwischen den beiden Städten wieder unterwegs sein werden, ist offen. "Das hängt davon ab, wann die Triebwagen wieder zur Verfügung stehen, über deren Technik wir mit dem Hersteller Alstom beraten."
Die Konsequenzen der Zugausfälle bei Bahn und Nord-Ostsee-Bahn sind allerdings noch nicht abgehakt. Darüber werden beide Unternehmen heute mit der Verkehrsservicegesellschaft Schleswig-Holstein in Kiel verhandeln. "Seit Anfang Dezember sind 600 bis 800 Züge nicht gefahren", so der LVS-Sprecher Fiedel. Diese wird das Land nicht bezahlen. Dazu werde über weitere Strafzahlungen nachgedacht.
Immerhin: Naumann sieht mit dem neuen Bahnchef Rüdiger Grube Anzeichen für eine Trendwende in der Flottenpolitik. So habe der Topmanager jetzt begonnen, den Lok- und Waggonpark wieder aufzubauen. "Nachdem zuvor Wartungsintervalle gestreckt wurden, steuert Grube jetzt entgegen", sagt auch Verkehrsexperte Fischer. Anhaltspunkte dafür sind für ihn das neue Vorstandsressort Eisenbahnsicherheit und Eisenbahntechnik, die Überholung der ICE-Flotte und andere Milliardeninvestitionen, um Betriebsstörungen künftig auszuschließen.
Um Kunden rasch mit Informationen über Anschlusszüge oder andere Waggonreihenfolgen zu informieren, fehlt es nach Auffassung der gerade neu formierten Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft an Personal. Schließlich seien seit 2008 rund 30 000 Stellen weggefallen, sagte Sprecher Uwe Reitz.
In Berlin werden nun am Montag die Verkehrsminister der Länder bei einer außerordentlichen Konferenz über ihren künftigen Kurs gegenüber der Bahn beraten. Dabei wird auch die Frage im Raum stehen, ob der Bund weiter auf einer Dividende von 500 Millionen Euro bestehen kann. Der Verkehrsexperte der SPD im Bundestag, Uwe Beckmeyer, ist da anderer Ansicht. "Die Dividendenpläne müssen vom Tisch", sagte er der "Welt". "Das Geld ist nötig, um die Bahn wieder flottzumachen."