Die Verkehrsminister der Länder sind sauer auf den Bahn-Konzern. Sie wollen drastische Maßnahmen beschließen, um das Chaos zu beenden.

Wünsche für ein gutes Neues Jahr müssen Rüdiger Grube derzeit wie Hohn vorkommen. Denn 2011 fängt schlecht an, und am Montag wird es knüppeldick kommen für den Vorstandschef der Deutschen Bahn. Erst muss Grube vor dem Berliner Abgeordnetenhaus Rede und Antwort zum S-Bahn-Chaos in der Hauptstadt stehen, anschließend geht es zur Konferenz der Länderverkehrsminister. Und die planen nach Informationen der „Welt Online“, dass sich der Bahnchef und seine Spitzenmanager ihr Krisenmanagement künftig von der Politik absegnen lassen – schärfer kann man einen Vorstandschef nicht an die Kandare nehmen.

Der Vorstoß kommt aus Sachsen, ist aber mit mehreren Bundesländern, darunter Sachsen-Anhalt und Thüringen grundsätzlich abgestimmt. Die Dresdner werden in der außerordentlichen Verkehrsministerkonferenz fordern, dass die Bahn „zur Gewährleistung des zukünftig uneingeschränkten und sicheren Betriebes bei witterungsbedingten Erschwernissen einen Maßnahmeplan für die Winterperiode 2011/2012 aufstellt“. Dieser sei „der Verkehrsministerkonferenz im Herbst vorzulegen“, damit diese ihn absegnen kann. „Die Deutsche Bahn muss dafür sorgen, dass es ab sofort nicht mehr zu derartig starken Einschränkungen im Bahnbetrieb kommt. Und damit ist nicht nur die jetzige Winterperiode gemeint, sondern 365 Tage im Jahr“, sagt Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) „Welt Online“. „Ich erwarte von der DB einen konkreten Maßnahmenplan, der spätestens zur nächsten Verkehrsministerkonferenz vorgelegt wird.“

Zuvor hatte sich bereits Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ungewöhnlich direkt in die Dauerkrise bei der S-Bahn Berlin eingeschaltet und den Mutterkonzern DB AG zu umfassenden Investitionen in den Wagenpark und die Werkstattkapazitäten sowie Aufstockung des Personals aufgefordert. Selten hat sich die Bundespolitik so direkt in das Geschäft der Bahn eingemischt. Am Donnerstag waren Grube und der für Personenverkehr zuständige Bahn-Vorstand Ulrich Homburg ins Ministerium geladen worden, damit sie ein Konzept zur Behebung der S-Bahn-Krise vorlegen. Die Gespräche dauerten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch an.

Eisenbahnbundesamt lässt neue Züge nicht auf die Schiene

Das Hauptproblem der Bahn ist derzeit der Mangel an einsetzbaren Fahrzeugen. Das gilt bundesweit für den Fern- und Regionalverkehr sowie für die S-Bahn Berlin – und an dem Engpass wird sich voraussichtlich in den kommenden Jahren nichts ändern. Die ICE-Flotte braucht neue Achsen und die S-Bahn eine Rundumerneuerung. Das dauert.

Besonders brisant ist das Problem aber im Regionalverkehr, für den die DB AG dringend Reservezüge bräuchte. Denn in diesem Fall sind die neuen Bahnen zwar bestellt und sogar fertig. Aber das zähe Zulassungsverfahren sorgt dafür, dass fabrikneue Züge auf Halde stehen und nicht für den Einsatz freigegeben werden – derweil leiden im ganzen Land täglich Hunderttausende von Pendlern unter Verspätungen und Zugausfällen, weil die DB witterungsbedingt ausgefallene Fahrzeuge nicht ersetzen kann. Der Hersteller Bombardier und das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), das die Fahrzeuge abnimmt, geben sich gegenseitig die Schuld an dem endlosen Verfahren.

Den Berlinern bietet sich am Stadtrand im Westen und Norden ein kurioses Bild. Während täglich Regionalzüge wegen Fahrzeugmangels ausfallen und die S-Bahn im Chaos versinkt, stehen auf Bahn-Flächen bei Spandau und auf dem Werksgelände bei Bombardier Dutzende nagelneuer Züge der Baureihe Talent 2 ungenutzt auf Halde. Insgesamt handelt es sich um 60 Fahrzeuge. Die Bahn hatte 170 Züge des Talent 2 bei Bombardier bestellt, der Zug sollte das neue Basismodell der DB AG im Regionalverkehr werden.

Ursprünglich sollten die ersten Talent-Bahnen bereits im Sommer vergangenen Jahres fahren, doch dann hieß es: Dezember, später sogar Anfang 2011. Inzwischen will sich keiner mehr zum Start der dringend benötigten Baureihe äußern. Die Folge ist, dass die Deutsche Bahn den Verkehr in mehreren Regionen mit anderen Zügen organisieren muss. 76 Talent 2 sollten eigentlich derzeit im Einsatz sein, davon 42 bei der S-Bahn Nürnberg, 13 bei der Moselbahn sowie 15 beim Rhein-Sieg-Express und sechs zwischen Cottbus und Leipzig. Die Lücke stopft die Bahn mit Zügen, die sie an anderen Stellen abzieht. In Nürnberg zum Beispiel fahren anstatt der Talent-Züge 32 Lokomotiven und 82 Reisezugwagen, beim Rhein-Sieg-Express versucht der Konzern den Mangel mit 47 Doppelstockwagen und 17 Loks auszugleichen. „Dadurch fehlen uns überall entscheidende Reserven im Regionalverkehr“, sagt eine Bahn-Sprecherin.

Inzwischen wagt keiner der Beteiligten – weder die Bahn, noch das EBA oder Bombardier – mehr eine Prognose, wann die ersten Züge der neuen Regio-Flotte zum Einsatz kommen könnten. „Im Frühjahr – vielleicht“, sagt einer der an den Vorgängen Beteiligten.

Behörde und Hersteller Bombardier liegen im Clinch

Bombardier wirft dem EBA vor, die Behörde habe während des Zulassungsverfahrens für die Talent-Züge neue Sicherheitsrichtlinien erlassen. Darauf könne selbst der weltgrößte Schienentechnikhersteller nicht angemessen reagieren. Das EBA kontert, Bombardier haben seinen Zulassungsantrag Anfang 2009 gestellt, und genau zu diesem Zeitpunkt seien die Änderungen mitgeteilt worden. „Darüber hinaus sind schlicht Mängel an den Fahrzeugen die Ursache dafür, dass eine Zulassung bislang nicht erteilt werden konnte“, sagt ein EBA-Sprecher.

Es habe Probleme an den Bremsen und der Fahrzeugsteuerung gegeben, dies müsse – unabhängig von neuen Richtlinien – abgestellt werden. Bei Bombardier räumt man Mängel ein, die inzwischen jedoch abgestellt worden seien: „Wir haben kürzlich weitere Unterlagen eingereicht und werden diese in den nächsten Wochen mit zusätzlichen Dokumenten ergänzen“, sagt ein Konzernsprecher. Dass es sich um offenbar gravierende Konstruktionsmängel handelt, zeigt die ungewöhnlich harsche Reaktion der Bahn Ende Juni 2010 bei ersten Testfahrten. Die Bahn brach damals die Versuchsreihe aufgrund der Probleme einfach ab.

Dennoch wird zunehmend Kritik am Zulassungsprozedere des EBA laut – und Bombardier ist nicht der erste Hersteller, dem die neuen Richtlinien Ärger bereiten. Dem Bahnhersteller Stadler hatte das EBA in der Vergangenheit ebenfalls für bereits fertiggestellte Regio-Züge vom Typ Flirt die Zulassung mit Hinweis auf neue Richtlinien verweigert. Daraufhin war unter anderem die Berchtesgadener Land Bahn in Bedrängnis geraten, weil ihr die Fahrzeuge fehlten. „Richtlinien werden gemeinsam mit der Industrie erarbeitet, das tun wir nicht im Alleingang“, sagt ein hoher EBA-Beamter. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Hersteller auch bei sich abzeichnenden Änderungen nach Plan weiterbauen und hoffen, damit durchzukommen.“

Das will der Verband der Bahnindustrie in Deutschland VDB nicht gelten lassen. Axel Schuppe, technischer Geschäftsführer, fordert einschneidende Änderungen beim Zulassungsverfahren: „Wir brauchen Planungssicherheit. Und dazu gehört, dass die Anforderungen mit dem Tag der Antragstellung auf Zulassung festgeschrieben werden.“ Es sei irrwitzig, das für Züge, die bereits im Einsatz seien, andere Richtlinien gelten, als für baugleiche Fahrzeuge, die erst noch in Betrieb gehen sollen.

Derweil macht die Bahn einen neuen Kriegsschauplatz auf. Weil sich der Konzern mit Siemens nicht auf einen Preis für den Bau einer neuen IC-Flotte einigen kann, will er nun bestellte Doppelstockwagen zu Fernzügen umrüsten. Das wäre ein harter Schlag für Siemens, denn die Doppelstöcker baut Konkurrent Bombardier.

Quelle: Welt Online