Schifffahrt bleibt Wachstumsbranche - Gefahr durch Piraten bleiben großees Problem. Gespräch mit Reeder-Verbandschef Ralf Nagel.

Hamburg. Die Seeschifffahrt kommt langsam aus der Krise . Doch die künftige Schiffsfinanzierung bleibt ungewiss. Bewaffnete Piraten werden zudem zur täglichen Gefahr für die Handelsschiffe auf den Weltmeeren . Das Abendblatt sprach mit dem Chef des Verbands Deutscher Reeder (VDR), Ralf Nagel , über die aktuellen Herausforderungen für die Zukunft.

Hamburger Abendblatt:

Der Aufwärtstrend in der Schifffahrt ist deutlich. Steuert die Branche aus der Krise?

Ralf Nagel:

Ohne Zweifel. Denn die Schifffahrt wird auf absehbare Zeit eine Wachstumsbranche bleiben. Die Weltbevölkerung nimmt zu, die Ansprüche der Menschen steigen zum Beispiel in China und Indien deutlich, die weltweite Arbeitsteilung geht weiter voran und damit wird mehr und in immer neuen Regionen produziert und gehandelt. Das geht nur über die Seefahrt. Deutschland muss ein vitales Interesse daran haben, dass die deutschen Reeder ihr Geschäft von Deutschland aus betreiben können. Dann entfaltet sich die Wirtschaftskraft hier in Deutschland, wird hier verdient und werden hier Steuern gezahlt, werden hier Arbeitsplätze auf See und an Land gesichert und neue geschaffen.

Zunächst muss die aktuelle Krise überwunden werden. Wann wird das sein?

Wir rechnen mit zwei bis drei Jahren, bis die Krise endgültig überwunden ist. Dann können deutsche Reeder auch wieder vermehrt Neubauten bestellen. Auch in Deutschland, wenn es um Spezialschiffe wie Fähren, Kreuzfahrer, Spezialtanker oder Schiffe für die Offshore-Industrie geht. Gerade im Offshore-Bereich halte ich eine enge Kooperation der deutschen maritimen Wirtschaft für unerlässlich. Nur dann werden wir aufholen und erfolgreicher als die Wettbewerber sein können.

Ist weitere Staatshilfe notwendig?

Neue Hilfen brauchen wir nicht. Aber wir sind uns mit der gesamten deutschen Wirtschaft einig, dass der Deutschlandsfonds, der die Inanspruchnahme von Krediten und Bürgschaften zum Überwinden der Krise ermöglicht, nicht zum Jahresende auslaufen sollte. Die Schiffsfinanzierer können nicht in ausreichendem Maße zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen. Zudem sind die in den Fonds eingestellten 100 Milliarden Euro bislang gar nicht komplett vergeben.

+++ Service: Schiffspositionen im Hamburger Hafen und auf der Elbe +++

Die mittelständischen Reeder aus der Unterelberegion fürchten, dass die HSH Nordbank ihre Schiffe versteigern lässt, wenn sie ihren Kreditverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Gibt es einen Ausweg?

Der Verband steht bereits im engen Dialog mit der Bank, und es wird kurzfristig ein Treffen mit dem Vorstand geben. Wir hoffen sehr, dass die Bank die angekündigten acht Milliarden Euro an Krediten nicht bis 2014 abbauen wird.

Welche Chancen haben Chinas Banken, in die Schiffsfinanzierung einzusteigen?

Die Chinesen sind schon die Schiffbaunation Nummer eins, und sie wollen vermutlich auch in der Schiffsfinanzierung stärker werden. Deshalb könnten sie einsteigen und Chancen nutzen, wenn europäische Banken Partner suchen. So sichern sie sich das nötige Know-how. Die Chinesen wissen: Wer eine Branche finanziert, entscheidet darüber, wo was gebaut wird und welche Zulieferer gewählt werden. Welche Auswirkungen das haben wird, ist heute ungewiss. Aber an der Schiffsfinanzierung hängen letztlich alle gut 400.000 Arbeitsplätze in der hiesigen maritimen Industrie. Die Sorge ist: An ihrem Erhalt dürften chinesische Banken weniger interessiert sein als die deutschen Institute.

Neben der Wirtschaftskrise belastet eine zweite Gefahr die Reeder: die Piraten.

Das Problem wird von vielen unterschätzt. Es handelt sich hier um ein zentrales Thema der internationalen Schifffahrt, schlicht um die Freiheit der Meere. Damit werden wir uns noch lange auseinandersetzen müssen.

Warum?

Es gibt weltweit fünf besonders gefährdete Seegebiete, durch die jährlich Tausende von Schiffen fahren. So sind es im Golf von Aden beispielsweise rund 25.000 jährlich. Wenn auch in anderen Regionen klar wird, dass man bewaffnet und ausgerüstet mit schnellen Booten und moderner Navigationstechnik viel Geld verdienen kann, könnte sich die Piraterie noch stärker ausweiten - nicht nur entlang der Küsten, sondern auch auf hoher See.

Wie groß ist die Bedrohung?

Für viele Menschen schwingt bei Piraterie noch Romantik mit. Darum geht es nicht. Vielmehr haben wir es mit Menschenraub, Lösegelderpressung und Geiselnahme zu tun. In den vergangenen zwei Jahren waren durchschnittlich 200 Seeleute gefangen. Bis zu ihrer Freilassung mussten sie oft mehrere Monate warten. Die psychischen Belastungen danach sind ganz erheblich.

Was sind die wirtschaftlichen Folgen?

Die Versicherungen werden teurer, Umwege verlängern die Transportwege und führen so zu weiteren Preissteigerungen. Auch die Maßnahmen zum Schutz der Schiffe sind aufwendig. Verständlicherweise wollen außerdem einige Seeleute bestimmte Strecken nicht mehr befahren.

Wie lässt sich gegensteuern?

Die Reeder wollen ihre Besatzungen nicht bewaffnen, und private Sicherheitskräfte an Bord sind unserer Meinung nach auch nicht die richtige Lösung. Um eine internationale Bedrohung zu bewältigen, ist hoheitlicher Schutz nötig. Das Innen- und das Verteidigungsministerium denken derzeit über Möglichkeiten nach. Eine Fregatte für ein Jahr am Horn von Afrika einzusetzen, kostet rund 50 Millionen Euro. Das ist viel Geld, zudem ist die Überwachung eines solch riesigen Gebietes wie des Indischen Ozeans sehr schwierig. Wir halten den Einsatz von staatlichen Einsatzkräften an Bord von gefährdeten Handelsschiffen für richtig, die in risikoreichen Gewässern unterwegs sind. Die Erfahrung lehrt, dass diese Schiffe nicht angegriffen werden und Piraten von solchen Schiffen sofort ablassen.

Das Piratenproblem hängt auch mit der Armut an Land zusammen. Wäre es nicht am wirkungsvollsten, sie auch dort zu bekämpfen?

Sicher, und die Erfahrung zeigt, dass dafür die Unterstützung des Küstenstaates notwendig ist. Aber dazu bräuchte es eine funktionierende, effektive Staatsgewalt, die kurzfristig in Somalia kaum zu realisieren ist.

Die Schifffahrt soll in den kommenden Jahren auch ihren Kohlendioxidausstoß verringern. Wie schnell wird dieses Vorhaben umgesetzt?

Tatsächlich ist die internationale Schifffahrt, obwohl 90 Prozent des internationalen Handels über See abgewickelt werden, nur für 2,7 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Gleichwohl soll bis Ende 2011 über die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) ein Abkommen zur Reduzierung vorgelegt werden.

Die EU will in jedem Fall eine rasche Lösung und will für den Fall des Scheiterns eine eigene Lösung präsentieren. Danach sollen die Emissionen basierend auf den Werten von 2005 bis 2020 um 20 Prozent sinken. Die EU schlägt dafür den Handel von Emissionszertifikaten wie bei der Industrie vor. Eine Alternative?

Nein, ein europäischer Alleingang wäre ein Desaster. Weil dann vor allem die Staaten benachteiligt würden, deren Flotten die jüngsten und damit die saubersten weltweit sind. Die Reduktion beim CO2 wäre bei einer regionalen Regelung gering, dafür hätten die Reedereien in der EU einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Um diesen zu vermeiden, würden voraussichtlich viele Unternehmen ihren Standort in Länder außerhalb der EU verlagern. Nur wer wirtschaftlich stark bleibt, kann auch ökologisch vorne sein.

Dann müsste die IMO also eine andere Lösung finden. Welche schlagen die deutschen Reeder vor?

Wir setzen uns für die Einrichtung eines internationalen Klimafonds auf der Ebene der IMO ein. Dabei geht es darum, eine Abgabe auf den Treibstoff zu erheben, die in den Klimafonds fließen würde. Mit dem Geld könnten Klimaprojekte, insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern, unterstützt werden sowie Forschungsprojekte, um die Schiffe noch effizienter zu machen. Eine solche Lösung wäre für die Reeder wettbewerbsneutral, ließe sich mit wenig Bürokratie regeln.So würde auch ein Anreiz geschaffen, ältere Schiffe mit dem höchsten CO2-Ausstoß rasch zu modernisieren oder durch energieeffizientere zu ersetzen.