Ein Maschinenraum wie eine Kathedrale, Platz für 14.770 Standardcontainer. Wie die Reederei Maersk die Materialschlacht auf dem Meer gewinnen will.
Bremerhaven. Schon die Gangway ist eine Herausforderung. Rund 100 Meter weit führt sie mit einem strammen Anstieg die Bordwand entlang an Deck der "Elly Maersk". Im Brückenhaus fährt zum Glück ein Fahrstuhl. Nur für die letzte Treppe hinauf auf die Brücke ist noch einmal gute Kondition gefragt. Der Ausblick, der dann folgt, besteht aus Stahl, Hunderte Meter weit zum Bug und zum Heck hin, Container, Lukendeckel, Laschgeschirre. Die "Elly Maersk" und ihre sieben Schwesterschiffe messen 397 Meter Länge und 56 Meter Breite, es sind die größten Schiffe, die derzeit die Meere befahren.
Morgens um 4 Uhr hat das Schiff in Bremerhaven festgemacht, nachts um 22 Uhr soll es wieder hinausgehen, über Rotterdam und Algeciras nach Fernost. Zehn Wochen dauert eine Rundreise von Europa nach Asien und retour. "Wir bleiben dieses Mal nicht lange in Bremerhaven, wir drehen nur 2000 Boxen", sagt Chief Officer Jack Volder, der Erste Offizier des Schiffes, vor dem Steuerstand. Gut 1000 Container werden von der "Elly Maersk" entladen, etwa ebenso viele kommen aufs Schiff hinauf. Die "nur" 2000 Boxen würden zwei ansehnliche Zubringerschiffe füllen, für Volder aber ist das keine große Zahl. Auf den Flaggschiffen der weltgrößten Reederei Maersk denkt man in anderen Dimensionen.
2006 stellte die Reederei die "Emma Maersk" in Dienst, das erste der acht riesigen sogenannten PS-Typschiffe. Zum ersten Mal hatte ein Schifffahrtsunternehmen damit die Grenze von 10.000 Stellplätzen für 20-Fuß-Container (TEU) überschritten. Mit 11.000 TEU gab Maersk die Ladekapazität an. Die Fachwelt nahm beides erstaunt zur Kenntnis, die Größe des Schiffes und die Zahl der Container, die angeblich darauf gestapelt werden können. Jeder Kenner der Branche weiß, dass Maersk diese Größenangaben meist untertreibt, um der Konkurrenz voraus zu bleiben. So auch diesmal.
Andere Reedereien zogen nach und ließen in Asien Schiffe bauen mit 11.000 TEU Kapazität und darüber hinaus. Erst Ende März stellte der Hamburger Charterreeder Claus-Peter Offen auf der Daewoo-Werft in Südkorea die "CPO Savona" in Dienst, das Typschiff für eine ganze Serie von Megafrachtern, die in den kommenden Jahren für die zweitgrößte Linienreederei MSC fahren werden. Die Stellplatzkapazität der "CPO Savona" beträgt exakt 14.069 TEU - offiziell wäre sie damit das größte Containerschiff der Welt. Doch Maersk gefiel diese Entwicklung gar nicht, denn Größe ist in der Containerschifffahrt ein Schlüsselfaktor. Diskret änderte die Reederei deshalb in den vergangenen Wochen die Zählweise, auf der sie zuvor so lange beharrt hatte - und gelangte für die PS-Typschiffe plötzlich zu dem für Maersk erfreulichen und nunmehr offiziellen Ergebnis, dass sie 14.770 TEU tragen können. Was wiederum Weltrekord ist.
"Wir haben eigentlich gar nicht viel geändert", sagt Jack Volder auf der Brücke der "Elly Maersk". "Vorher kalkulierten wir die Kapazität mit einem Durchschnittsgewicht von 14 Tonnen je Container. Jetzt berechnen wir - wie es auch die anderen Reedereien tun - die absolute Zahl der Stellplätze an Bord." Für die Reederei sind die Jumbos in der Krise so wertvoll wie nie, denn mit keinem anderen Schiffstyp lässt sich ein Container so billig von Kontinent zu Kontinent transportieren - wenn die Frachter voll sind. "Seit die Frachtmengen im vergangenen Jahr deutlich einbrachen, versuchen unsere Planer vorrangig, auf den Asienrouten die ,Elly Maersk' und ihre Schwestern zu füllen", sagt Volder.
Die Zugabe bei der Berechnung der Stellplätze für die "Elly Maersk" und die typgleichen Schiffe erklärt auch, warum diese Frachter die größten und stärksten Motoren besitzen, die je gebaut wurden. Der Maschinenraum tief unten im Schiff wirkt wie das Gewölbe einer stählernen Kathedrale. Nebenan donnert einer der 4300 PS starken Hilfsdiesel, die den Frachter im Hafen mit Strom versorgen. Aus allen Richtungen zischt, surrt und dröhnt es. In der Mitte des Saals ragt ein 14-Zylinder-Wärtsilä-Motor empor. Darüber hängen mächtige Rohrleitungen und Wasserboiler, Teil einer Anlage, mit der die Abgaswärme des Schiffes in elektrischen Strom umgewandelt werden kann. 109.000 PS leistet die Maschine. "Wenn der Strom aus der Abwärmenutzung zugeschaltet wird, spart das beim Ölverbrauch des Schiffes gut zwölf Prozent", ruft Nils Houmøller, Leitender Ingenieur auf der "Elly Maersk", durch den Lärm.
Der Wartungsgang von der Maschinenhalle zum Heck führt durch einen tunnelartigen Raum, der die 120 Meter lange, massiv stählerne Schraubenwelle des Schiffes beherbergt. An mehreren Stellen läuft die Welle durch Generatorkästen. "Hier wird die elektrische Energie bei Bedarf auf die Welle übertragen, die dann im Prinzip Teil eines Elektromotors ist", sagt der Ingenieur Kay Tigges, der die Anlage bei Siemens in Hamburg für Maersk mitentwickelt hat.
Alles auf diesem Schiff wirkt im Vergleich zu anderen Frachtern überdimensional. Genau das war die Absicht der Werft im dänischen Odense, die wie Maersk zum Konzern A.P. Møller gehört. "Die Konstrukteure haben damals den größten Schiffspropeller bestellt, der weltweit zu bekommen war", sagt der Erste Offizier Jack Volder. "Drum herum haben sie dann das Schiff konstruiert, denn der Propeller ist physikalisch der begrenzende Faktor." Das Unternehmen Mecklenburger Metallguss in Waren an der Müritz fertigte den Propeller, der 135 Tonnen wiegt und elf Meter Durchmesser hat, das größte Vortriebsteil für ein Schiff, das je entworfen wurde.
Auf der "Elly Maersk" kann ein 14 Tonnen schwerer Container mit einem Brennstoffeinsatz von 2,7 Liter Schweröl 100 Kilometer weit gefahren werden. Das bringt einen enormen Vorteil im Wettbewerb - doch eben nur dann, wenn die Schiffe möglichst viel transportieren. Denn die Brennstoffpreise sind hoch, und der Gesamtverbrauch der Großfrachter ist enorm. 350 Tonnen Schweröl würde die "Elly Maersk" pro Tag bei voller Fahrt von 26 Knoten verbrauchen. Maersk wie auch die meisten anderen Reedereien setzen seit der Krise auf geringeres Tempo, um die Kosten zu drücken. Bei 16 Knoten schluckt die "Elly Maersk" nur noch 80 Tonnen Schweröl täglich. Ähnliche Werte verzeichnet die "CPO Savona" des Hamburger Reeders Offen mit ihrem 99 000 PS starken MAN-Zwölfzylinder. Von 240 Tonnen bei 24 Knoten sinkt der Verbrauch auf 80 Tonnen bei 18 Knoten.
Mehr als 100 Containerschiffe mit mehr als 10 000 TEU Kapazität stehen noch in den Orderbüchern der Werften hauptsächlich in Korea. Bestellt wurden die Frachter allesamt vor der Weltwirtschaftskrise. Abbestellen lassen sie sich praktisch nicht, denn die koreanischen Werften nehmen hohe Anzahlungen, die bei Stornierung des Schiffes verloren gehen. Eine Reihe nagelneuer Schiffe liegt vor den Werften Samsung und Daewoo in Südkorea - selbst führende Reedereien wie OOCL, CMA CGM oder MSC können derzeit nicht für alle Bestellungen die nötige Endfinanzierung aufbringen. Der Hamburger Charterreeder Erck Rickmers verschob den Bau und die ersten Ablieferungen einer Serie von 12 800-TEU-Schiffen von diesem auf das nächste Jahr.
Jene Riesenfrachter, die bereits in Fahrt sind, versuchen die Linienreedereien auf den Asienrouten bevorzugt zu befrachten. "Das sind nun mal die effizientesten Schiffe der Welt", sagt Siemens-Entwickler Tigges auf dem Weg von Bord der "Elly Maersk". Bei den Reedereien führt das auch zu internen Verdrängungen. Weil die Frachter frei sind, schickt Maersk seit einigen Wochen Schiffe mit 8500 TEU Ladekapazität aus Asien kommend direkt in die Ostsee hinein. Vor einigen Jahren noch waren sie die Königinnen der Meere - und der Verkehr auf einer schnöden Zubringerroute wie der Ostsee für diese Schiffe undenkbar.